18. Ins Dunkel (2)

Den Wahrheitsgehalt ihrer Worte abwägend und um Selbstbeherrschung bemüht blickte sich Finn Steinmeier um. Gerade entließ Fiedler die Ratte auf seiner Hand wieder auf den Boden. Dabei machte er ein Gesicht, als habe ihm jemand saure Milch in den Kaffee gekippt. Von dem anderen Nager war nichts zu sehen. Konnten die Viecher tatsächlich beleidigt sein? Irgendwie ein krasser Gedanke!
Unzufrieden richtete sich Fiedler wieder auf und sah missmutig zu ihnen herüber. "Hier endet wohl unser Rundum-Sorglos Vertrag. Immerhin war der Weg hierher für uns effektiv gefahrlos, soweit will ich mich nicht beschweren. Allerdings hätte ich mir deutlich mehr Hilfestellung erwartet, wenn es um die Schutzmagie um den Brunnen geht. Viel mehr als eine Bestätigung für deren Existenz und ein vages ‘warten Sie hier’ habe ich nicht bekommen. Mal sehen, was ein bisschen Geduld bringt.” Fiedler sah sich um in Richtung des unscheinbaren Türspalts, durch den sie gekommen waren. “Allerdings schätze ich, dass wir unsere Verfolger nicht vollständig abhängen konnnten. Brack ist ein zäher Brocken mit vielen Kontakten und es würde mich wundern, wenn er nicht irgendeinen Faden zieht, an dessen Ende er uns doch noch aufspürt.”
Steinmeier nickte zustimmend. “Die haben uns schon einmal einfach so gefunden - warum sollten sie den Trick nicht einfach nochmal machen? Also müssen wir ein bisschen Dampf machen, wenn wir Astrid vor den anderen aus dem Brunnen holen wollen. Können Sie nicht ein bisschen mehr Licht machen, Fiedler?”
Mit unschlüssigem Blick auf die etwas funzelig flackernde Taschenlampe in seiner Hand legte der Detektiv den Kopf etwas schief. “Nun ja, entweder gehen meiner guten alten Leuchte die Batterien aus oder hier drin wirkt eine verdunkelnde Kraft.” Er zögerte kurz und fuhr dann mit besorgterem Gesichtsausdruck fort: “Ich weiß nicht genau, welche Nachricht mir lieber wäre. Ohne Lichtquelle wird es hier unten zwar verdammt ungemütlich, aber die meisten Dinge, die Dunkelheit verströmen, sind eher unangenehm bis extrem gefährlich. So lange aber unser einheimischer Führer hier ”, Fiedler gestikulierte in Richtung der vor ihm am Boden schnüffelnden Ratte, “sich so entspannt gibt, dürfte sich die Gefahr in Grenzen halten - und eigentlich müsste die Lampe hier ein paar Monate leuchten.”
Nun war es an Steinmeier, verwundert die Augenbrauen hochzuziehen: “LEDs? An der Grenze?” Fiedler schüttelte den Kopf “Nein, nur altmodische Hexerei. High Tech wie LEDs neigt an magischeren und obskureren Orten dazu, nicht mehr zuverlässig zu funktionieren - und gerade da braucht man doch am ehesten ein bisschen Licht im Dunkel.”
Der Detektiv grinste, wobei sein Blick auf Sina fiel. Mit einer auffordernden Geste adressierte er die regungslos dastehende, in sich gekehrt wirkende Beschworene: “Können Sie uns vielleicht ein wenig erhellen, was diesen Raum angeht? Keine Sorge, diese Frage würde ich ohne Zögern auch Ihrem und meinem Vertragspartner Ebenezer Unbehaun stellen!”

Während Steinmeier noch versuchte, sich einen Reim auf Fiedlers offensichtlich als Provokation formulierte Bemerkung zu machen, löste sich die Angesprochene aus ihrer Starre und warf Fiedler einen mahnenden Blick zu. Offenbar hatten dessen Worte ihr Ziel nicht verfehlt. “Erhellen ist hier drin ein schwieriges Vorhaben. So lange Sie auf Licht zur Orientierung angewiesen sind, haben Sie an diesem Ort eher schlechte Karten, mein lieber Herr Fiedler.” Sinas Stimme klang spöttisch und liebevoll arrogant wie immer. “Aber falls Sie sich nicht scheuen, ihre Vorstellungskraft ein wenig anzustrengen, will ich Ihnen gerne eine Beschreibung der hiesigen Umstände liefern: Wir stehen am Rande einer Halle, deren Grundriss einem Kreuz aus zwei etwa fünfzehn mal zwanzig Schritt langen Balken besteht, die sich gegenseitig in der Mitte schneiden. Jedes dieser gekreuzten Schiffe trägt ein leicht spitzes Gewölbe eines mir nicht näher geläufigen Baustils, das sich hier und da im Raum auf reichlich unelegante Säulen stützt, um uns nicht ein Stück Durnburg auf den Kopf fallen zu lassen. Eine weitere Parallele zu euren neumodischen europäischen Kirchen sind die drei Reihen von Holzbänken, die sich um die Mitte drängen, in der sich aber anstelle eines Altars ein Loch befindet. Was da unten ist, kann ich von hier aus nicht erkennen, aber was auch immer die betonte Dunkelheit hier drin verursacht, kommt von da unten. Außerdem könnte es sich für Sie lohnen, mal kurz still zu sein und Ihrem mäßig entwickelten Gehör zu vertrauen.”
Mit hochgezogenen Augenbrauen und feinem Lächeln machte die Beschworene eine betonte Pause. Reflexartig gehorchte Steinmeier und lauschte in die Dunkelheit. Da war in der Tat etwas, eine Art Rauschen, wie von einem entfernten Wasserfall oder einer weit entfernten viel befahrenen Straße. Ob sie wohl in der Nähe eines Straßentunnels waren? Nein, das war zu wenig mystisch, geheimnisvoll und gefährlich - solch eine Banalität wäre der selbstinszenierenden Sina sicherlich keine Erwähnung wert. Vielleicht ein unterirdischer Wasserfall? Das Wasserthema würde auch gut zu dem Brunnen passen, von dem Astrid und Fiedler gesprochen hatten.

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