Für einen kurzen Moment starrte der Detektiv
seinem eigenen Spiegelbild entgegen und nahm am Rande wahr, dass sein
Aussehen nach diesem Regentag eher dem eines begossenen Terriers
ähnelte als dem scharfsinnigen Privatschnüffler, als den er sich
begriff. Bevor er sich jedoch an dieser Tatsache stören, geschweige
denn etwas an ihr ändern konnte, wurde das zuvor klare Glas des
Spiegels milchig trüb, als hätte ein unsichtbarer Riese dagegen
gehaucht. Jedoch währte auch dieser Zustand nicht lange und in
Wellenringen von innen nach außen, wie ein Tropfen, der in einen
stillen Bergsee fällt, breitete sich glänzende Schwärze über die
Fläche aus.
Als der gesamte Spiegel von schimmerndem Schwarz
ausgefüllt war, erklang Uhlenbrocks Stimme ruhig und sachlich von
hinter dem Schreibtisch: "Ihre erste Frage muss ich mit einem
uneindeutigen Nein beantworten: Till Haubold hält sich entweder
nicht in der Stadt auf oder er hat Vorkehrungen getroffen, um nicht
über magische Mittel aufspürbar zu sein."
Fiedler brummte eine unwillige Bestätigung. Ein
alter Hase unter den Grenzgängern, wie Haubold einer war, hatte
sowohl Gründe als auch Möglichkeiten, sich vor einfacher
Wahrnehmungsmagie, wie sie Uhlenbrock gerade einsetzte zu verstecken.
Für seine Belange war es aber gleichgültig, ob Haubold abwesend
oder beschäftigt war - in beiden Fällen konnte er nicht auf ihn
zurückgreifen. Andererseits wäre Haubold wahrscheinlich auch zu
vorsichtig gewesen, um bei der Sache mitzumachen...
Mittlerweile hatte eine erneute Wellenfront ihre
Kreise über den Spiegel gezogen und das Bild zeigte nun das Bild
eines gepflegt wirkenden Mannes Anfang 30, der auf einem einfachen
Bett in einen recht kahlen Raum lag und in einem Buch las. Fiedler
verdrehte die Augen. "Vergessen Sie es, Balthasar, natürlich
sitzt Leymann noch seine Haftstrafe ab. ich habe verdrängt, dass er
eingebuchtet wurde - und im Gefängnis ist er mir sowas von unnütz."
"Gut, dann wechsle ich zu Steinmeier. Wie war
gleich der Vorname?"
"Finn."
"Ah ja. Gut. Das ist eindeutig in dieser
Stadt."
Ein weiterer Wellenschlag, ein weiterer
Bildwechsel und im Spiegel zeigte sich das Abbild eines hageren
Mannes Mitte zwanzig mit unbändigen langen krausen Haaren, der in
einer zerschlissenen und völlig durchnässten Jeansjacke auf dem
Schoß einer gußeisernen Frauenstatue saß und mit Steinen nach ein
paar Vögeln warf. Unter ihm zogen die grün-grauen Fluten der Elm
ihren Weg in Richtung Meer und vor ihm spannte sich in schmalem
eleganten Bogen die moderne überdachte Plastik-, Glas- und
Betonkonstruktion der Neuen Schlosserbrücke durch das Bild.
"Na bitte. Wenigstens einer, der wirkt, als
hätte er nichts besseres zu tun!" Fiedlers Stimme schwankte
zwischen Sarkasmus und Zufriedenheit. Dann runzelte er die Stirn.
"Ahm ... Sie sind doch immer bestens informiert, Balthasar. Hat
die Neue Schlosserbrücke denn noch den Troll?"
"Ja, soweit ich unterrichtet bin schon. Soll
ich ihn ins Bild holen?"
"Nein, nicht nötig. Mit dem kriege ich keine
Probleme." ...und Finn offenbar auch nicht, fügte er
unausgesprochen hinzu.
"Eine Kleinigkeit vielleicht noch: Könnten
Sie mir einen kurzen Ausblick von den Ausgängen der Buchhandlung
geben? Ich möchte wissen, wo sich meine Begleiterin und Aufpasserin
gerade aufhält."
Uhlenbrock lachte trocken. "Ich würde Sie
auch gleich auf die Brücke bringen, wenn das bei Ihnen möglich
wäre. Damit wären Sie eine Verfolgerin sicherlich los."
"Danke, aber da bin ich eben schwierig.“
Fiedler feixte routiniert „Vielleicht komme ich aber auf ihr
Angebot zurück, Balthasar, und bitte Sie darum, mir einen Ihrer
legendären Schleichwege hier heraus zu öffnen."
Der Spiegel trübte sich erneut und zeigte nun
zwei Bilder nebeneinander, deren Grenze in einem unscharfen Streifen
verlief. Auf beiden Hälften sah man ein unterschiedliches Stück
Straße - jeweils vor und hinter dem Buchgeschäft. Bei genauerer
Betrachtung wäre einem Normalmenschen allerdings der Umstand
merkwürdig vorgekommen, dass auf beiden Bildern die selbe
schwarzhaarige orientalisch anmutende Frau mit schwarzer Bomberjacke,
Kopfhörern und gelangweilter Körpersprache zu sehen war, die einmal
an einem Laternenpfahl und einmal an einer Hauswand lehnte. Sina.