4. Verschlungene Wege (6)


Für einen kurzen Moment starrte der Detektiv seinem eigenen Spiegelbild entgegen und nahm am Rande wahr, dass sein Aussehen nach diesem Regentag eher dem eines begossenen Terriers ähnelte als dem scharfsinnigen Privatschnüffler, als den er sich begriff. Bevor er sich jedoch an dieser Tatsache stören, geschweige denn etwas an ihr ändern konnte, wurde das zuvor klare Glas des Spiegels milchig trüb, als hätte ein unsichtbarer Riese dagegen gehaucht. Jedoch währte auch dieser Zustand nicht lange und in Wellenringen von innen nach außen, wie ein Tropfen, der in einen stillen Bergsee fällt, breitete sich glänzende Schwärze über die Fläche aus.

Als der gesamte Spiegel von schimmerndem Schwarz ausgefüllt war, erklang Uhlenbrocks Stimme ruhig und sachlich von hinter dem Schreibtisch: "Ihre erste Frage muss ich mit einem uneindeutigen Nein beantworten: Till Haubold hält sich entweder nicht in der Stadt auf oder er hat Vorkehrungen getroffen, um nicht über magische Mittel aufspürbar zu sein."

Fiedler brummte eine unwillige Bestätigung. Ein alter Hase unter den Grenzgängern, wie Haubold einer war, hatte sowohl Gründe als auch Möglichkeiten, sich vor einfacher Wahrnehmungsmagie, wie sie Uhlenbrock gerade einsetzte zu verstecken. Für seine Belange war es aber gleichgültig, ob Haubold abwesend oder beschäftigt war - in beiden Fällen konnte er nicht auf ihn zurückgreifen. Andererseits wäre Haubold wahrscheinlich auch zu vorsichtig gewesen, um bei der Sache mitzumachen...

Mittlerweile hatte eine erneute Wellenfront ihre Kreise über den Spiegel gezogen und das Bild zeigte nun das Bild eines gepflegt wirkenden Mannes Anfang 30, der auf einem einfachen Bett in einen recht kahlen Raum lag und in einem Buch las. Fiedler verdrehte die Augen. "Vergessen Sie es, Balthasar, natürlich sitzt Leymann noch seine Haftstrafe ab. ich habe verdrängt, dass er eingebuchtet wurde - und im Gefängnis ist er mir sowas von unnütz."

"Gut, dann wechsle ich zu Steinmeier. Wie war gleich der Vorname?"

"Finn."

"Ah ja. Gut. Das ist eindeutig in dieser Stadt."

Ein weiterer Wellenschlag, ein weiterer Bildwechsel und im Spiegel zeigte sich das Abbild eines hageren Mannes Mitte zwanzig mit unbändigen langen krausen Haaren, der in einer zerschlissenen und völlig durchnässten Jeansjacke auf dem Schoß einer gußeisernen Frauenstatue saß und mit Steinen nach ein paar Vögeln warf. Unter ihm zogen die grün-grauen Fluten der Elm ihren Weg in Richtung Meer und vor ihm spannte sich in schmalem eleganten Bogen die moderne überdachte Plastik-, Glas- und Betonkonstruktion der Neuen Schlosserbrücke durch das Bild.

"Na bitte. Wenigstens einer, der wirkt, als hätte er nichts besseres zu tun!" Fiedlers Stimme schwankte zwischen Sarkasmus und Zufriedenheit. Dann runzelte er die Stirn. "Ahm ... Sie sind doch immer bestens informiert, Balthasar. Hat die Neue Schlosserbrücke denn noch den Troll?"

"Ja, soweit ich unterrichtet bin schon. Soll ich ihn ins Bild holen?"

"Nein, nicht nötig. Mit dem kriege ich keine Probleme." ...und Finn offenbar auch nicht, fügte er unausgesprochen hinzu.

"Eine Kleinigkeit vielleicht noch: Könnten Sie mir einen kurzen Ausblick von den Ausgängen der Buchhandlung geben? Ich möchte wissen, wo sich meine Begleiterin und Aufpasserin gerade aufhält."

Uhlenbrock lachte trocken. "Ich würde Sie auch gleich auf die Brücke bringen, wenn das bei Ihnen möglich wäre. Damit wären Sie eine Verfolgerin sicherlich los."

"Danke, aber da bin ich eben schwierig.“ Fiedler feixte routiniert „Vielleicht komme ich aber auf ihr Angebot zurück, Balthasar, und bitte Sie darum, mir einen Ihrer legendären Schleichwege hier heraus zu öffnen."

Der Spiegel trübte sich erneut und zeigte nun zwei Bilder nebeneinander, deren Grenze in einem unscharfen Streifen verlief. Auf beiden Hälften sah man ein unterschiedliches Stück Straße - jeweils vor und hinter dem Buchgeschäft. Bei genauerer Betrachtung wäre einem Normalmenschen allerdings der Umstand merkwürdig vorgekommen, dass auf beiden Bildern die selbe schwarzhaarige orientalisch anmutende Frau mit schwarzer Bomberjacke, Kopfhörern und gelangweilter Körpersprache zu sehen war, die einmal an einem Laternenpfahl und einmal an einer Hauswand lehnte. Sina.

4. Verschlungene Wege (5)


Uhlenbrock erhob sich höflich von seinem Stuhl, winkte Fiedler heran und wies auf einen üppig gepolsterten Stuhl vor den Schreibtisch "Das wird auch noch ein paar Tage so weitergehen, wenn ich meinen Augen trauen darf - aber Sie sind sicher nicht wegen des Wetterberichtes gekommen."

"Nein Balthasar, mit Sicherheit nicht." Nach einem kurzen aber herzlichen Händeschütteln ließ sich Fiedler mäßig elegant in den angebotenen Gästestuhl plumpsen. "Ich habe mal wieder einen Auftrag für eine Suche, bei der Sie mir mal wieder unschätzbar hilfreich sein könnten."

"Worum geht's?" Balthasar Uhlenbrocks Antwort klang offen, freundlich und hilfsbereit, doch Fiedlers Aufmerksamkeit wurde ein wenig abgelenkt von einer Konstruktion aus Schmiedeeisen auf Uhlenbrocks Schreibtisch. Sie stellte offensichtlich einen stilisierten Baum dar, an dessen Ästen elf kleine in Metall gefasste Spiegel hingen. In einigen der silbrigen Oberflächen bewegten sich schemenhaft die Umrisse von Gesichtern, während andere davon einfach nur spiegelten.

Über Uhlenbrocks verwitterte Miene huschte ein kurzes Aufleuchten, als er Fiedlers Blick bemerkte. "Es ist noch nicht ganz fertig. Sie erinnern sich an die paar Kleinigkeiten, die Sie mir neulich organisieren sollten? Die sind da mit drin."

"Die Kundin, deren Enkel Normalos sind und die Andenken von ihnen haben wollte?" Fiedler lachte leise. "Wenn sie sie auf diese Art und Weise im Auge behalten will, dürfte sie einige der Spiegel wahrscheinlich in einem oder zwei Jahren abhängen wollen - ein paar der Bälger halten deutlich auf die Pubertät zu. Da tun die erfahrungsgemäß Dinge, bei denen Oma nicht zuschauen sollte oder möchte. Aber Respekt - die Arbeit ist brilliant!"

Auch Uhlenbrock grinste verschmitzt. "Tja, das kostet auch ein kleines Vermögen. Sie haben jedoch Recht - ich will sicherlich nicht so genau wissen, was meine Enkel die ganze Zeit tun, selbst wenn ich die Mittel habe, das zu überprüfen. Aber wenn sich die gute Frau am Verhalten ihrer Enkel stören sollte, ist, kann ich ihr ja als Zusatzausstattung noch einen kleinen Schutzgeist einbinden, der das Bild bei Bedarf ausblendet. Jetzt aber wirklich, Alexander, was kann ich für Sie tun?"

"Nun, nichts Großes - ein paar Einblicke innerhalb Durnburgs. Keine Indiskretionen. Ach ja - vielleicht noch eine Kleinigkeit dazu, aber das hängt von dem ab, was wir sehen."

"Darf ich das mit den Enkel-Andenken verrechnen?"

"Dürfen Sie gerne." Fiedler und Uhlenbrock verband eine ausgeprochen lange Liste von gegenseitig erwiesenen und geschuldeten Diensten - zu Fiedlers Glück, denn Uhlenbrock wusste nur zu gut, was seine Fähigkeiten wert waren und gegen manche seiner Preise waren die Dienstleistungen von Griselda von Radewitz geradezu Schnäppchen.

Zufrieden und interessiert lehnte sich Uhlenbrock mit den Ellenbogen auf seinen Schreibtisch. "Dann legen Sie los, alter Freund, was wollen Sie sehen?"

"Ich hätte gerne die Information, ob sich Till Haubold derzeit in Durnburg befindet. Dabei will ich nicht wissen wo, nur ob – keine Indiskretion, wie gesagt. Außerdem wüsste ich gerne die aktuellen Aufenthaltsorte zweier namentlich bekannter Personen: Björn Leymann und Finn Steinmeier."

"Dann wollen wir mal sehen." Uhlenbrock lehnte sich zurück und schloss die Augen, während sich Fiedler zu dem großen Spiegel umwandte.

4. Verschlungene Wege (4)


Jetzt war es an Fiedler, verblüfft zu sein. "Sie kennen Uhlenbrock?"

"Flüchtig. Ich hatte schon einmal das Vergnügen und bin damals glücklicherweise nicht in seinem Spiegel geendet. Allerdings verzichte ich gerne auf das Erlebnis. Sie haben Ihr Wort gegeben, überflüssiges Misstrauen ist meiner Ansicht nach nicht angebracht. Ich warte hier draußen."

Das war ja einfach. Mehr war nicht nötig, um seine Verfolgerin loszuwerden? "Na dann hole ich Sie nachher hier wieder ab - die Straße rauf ist 'n Mac und gegenüber noch ein Café. Wenn Sie hier nicht sind, suche ich Sie da und wenn Sie da nicht sind, mache ich alleine am Auftrag weiter."

Sina nickte mürrisch, lehnte sich an eine der auf alt gemachten Straßenlaternen im Schmiedeeisen-Look, verschränkte die Arme und materialisierte einen Kopfhörer auf ihren Ohren. Kopfschüttelnd und beschwingten Schrittes ließ Fiedler sie zurück.

Das Innere der Buchhandlung Uhlenspiegel war alles andere als übersichtlich. Hier gab es keine Tische mit ausgelegten Bestsellern und daran angelehnten aber weniger erfolgreichen Trittbrettfahrern, statt dessen stand alles voll mit hohen Regalen, vom Boden bis zur Decke gefüllt mit Büchern gebunden in Karton, Papier, Tuch oder Leder. Ein paar Schritte vom Eingang entfernt war ein kleiner Kassentisch, hinter dem eine junge Frau mit kurzen aschblonden Haaren und mäßig geschmackvoller Kleidung Fiedler freundlich zunickte, bevor sie sich wieder einem Bücherstapel zuwandte und Preisschilder aufklebte.

Zielstrebig suchte Fiedler seinen Weg durch das Labyrinth der verschiedenen mit Literatur unterschiedlicher Art und Thematik vollgestopften Räume. Er stapfte die schmalen ausgetretenen Stufen eine alten gewendelten Holztreppe hinauf in den ersten Stock und hielt dann inne um sich umzusehen. Während im Erdgeschoß doch einige Kunden (vornehmlich Studenten und andere nach Fachliteratur Suchende) in den engen Regalschluchten gestanden hatten, war der erste Stock für gewöhnlich fast menschenleer. Eigentlich entsprach das Konzept der Buchhandlung Uhlenspiegel voll und ganz Fiedlers Geschmack: Seit die beiden "jungen" Uhlenbrocks das Geschäft übernommen hatten, richtete sich ein guter Teil des Buchangebotes in Form von Fachliteratur verschiedenster Gebiete vornehmlich an Normalos und gewährleistete damit sowohl ein gewisses normalweltliches Einkommen als auch die Präsenz des Hauses in der normalen Welt. Im ersten Stock standen dagegen eher antiquarische Bücher standen, für die sich nur wenige Normalbürger interessierten. Hinter diesen verborgen waren zwei Dinge: mehrere Räume mit Grenzgängerliteratur (Encyclopädien, Magiebücher, Chroniken, ...) und Fiedlers eigentliches Ziel, das Studierzimmer von Balthasar Uhlenbrock.

Nach kurzem Umsehen und Orientieren setzte sich Fiedler wieder in Bewegung und ging zwischen den Regalen entlang, einem unsichtbaren Pfad folgend mal links abbiegend, mal ein Regal umrundend und dann wieder innehaltend, um ein Buch in die Hand zu nehmen und wieder zurückzustellen. Schließlich endeten seine Schritte vor schweren dunkelbraunen Holztüre, eingerahmt von Regalen mit dicken, ledergebundenen und gleichzeitig abgewetzt und würdevoll anmutenden Wälzern. Er schüttelte kurz den Kopf: in den letzten Jahren war es deutlich komplizierter geworden, die Türe des alten Uhlenbrock zu erreichen - offenbar setzte sich dieser immer weiter von der Normalität ab. Wenn Balthasar nicht etwas Vorsicht walten ließ, dann lief er Gefahr, zusammen mit seinem Büro irgendwann "aus der Welt" zu fallen und überhaupt nicht mehr Teil davon zu sein. Andererseits wusste Uhlenbrock immer selbst am besten, was er tat ...

Achselzuckend wischte Fiedler alle Bedenken hinweg und klopfte an. Ein paar Atemzüge vergingen, dann drang durch das dämpfende Holz der Türe die tiefe rauhe Stimme eines alten Mannes. "Kommen Sie rein, Herr Fiedler!"

Die Atmosphäre in Uhlenbrocks Büro war geprägt von dicken Teppichen, vollgestopften Regalen vor denen sich weitere Bücher stapelten und dem leichten aber allgegenwärtigen Aroma von Pfeifenrauch. Durch das einzelne kleine Fenster drang ein trüber Strahl Abendlicht, in dessen Licht der gesamte Raum irgendwie trist wirkte. Balthasar Uhlenbrock, ein mittelgroßer mittelschlanker Mann mit grauem Haarkranz, ordentlich gestutztem Bart, dicken Brillengläsern und tief von Sorgen, Leben und Lachen zerfurchtem Gesicht saß hinter einem riesigen, alten, schwarzen Schreibtisch, dessen mächtig aufragende Front wie eine Festungsmauer mitten im Raum stand. Ihm gegenüber dominierte ein übermenschengroßer (bestimmt anderthalb auf zwei Meter messender) Spiegel in einem silbernen mit Zeichen übersähten Rahmen einen nennenswerten Teil der Wand und hatte dort die sonst allgegenwärtigen Bücherregale verdrängt.

"Guten Abend Herr Uhlenbrock. Grässliches Wetter, was?" Fiedler schloss die Türe hinter sich.

4. Verschlungene Wege (3)


Es gab Tage, da war sich Fiedler sicher, jeden Pflasterstein in der Altstadt mit Vornamen zu kennen. Derzeit musste er sich aber mürrisch eingestehen, dass er etwas suchte und irgendwie nicht fand - dieser verdammte Regen spülte ihm offenbar den Verstand aus dem Kopf. Es kostete ihn glatte zehn Minuten Fußmarsch durch die regennassen Gassen bis es endlich fand, was er gesucht hatte. Das Ziel endlich vor Augen, hielt er schnurstracks auf den Zigarettenautomaten unter dem leckenden Vordach der verlassenen Bushaltestelle zu.

Unter Sinas leicht erstaunten und mehr als nur leicht skeptischen Blicken zog er den papierumwickelten Hosenknopf aus der Jackentasche, überprüfte noch einmal, dass die beschriftete Serviettenbanderole richtig saß und beförderte dann den Knopf in den Einwurf des Automaten. Aus dem Gerät drang leises mechanisches Klackern, dann rollte der Knopf samt Banderole wieder heraus. Ohne eine Miene zu verziehen nahm ihn Fiedler wieder auf und warf ihn noch einmal ein. Beim dritten Versuch schließlich verblieb der Knopf in den Eingeweiden der Maschine und Fiedler wandte sich zufrieden zu seiner ein wenig zweifelnd dreinblickenden Begleiterin um.

"So. Auf zu Uhlenbrock! Die haben nur bis 18:00 geöffnet - und ich will den guten Balthasar nicht aus seinem wohlverdienten Feierabend klingeln."

"Was auch immer Sie sagen - und Glückwunsch zu Ihrer Entscheidung lieber nicht rauchen zu wollen, das ist viel gesünder. Dabei hätte ich gedacht, dass der Trick mit dem Knopf schon seit fünfzig Jahren nicht mehr funktioniert..." Sina klang gespielt gelangweilt und fast schon maulig.

"Wissen Sie, anders als Sie bin ich sowohl in dieser Stadt als auch in diesem Jahrhundert zuhause. Vertrauen Sie mir - ich weiß schon, was ich tue. Kümmern Sie sich lieber weiter darum, ihre mühsam manifestierte Haut nicht nass werden zu lassen!"

Wortlos und zügig gingen die beiden Grenzbewohner durch die frühabendliche Durnburger Altstadt bis Sina schließlich das Schweigen brach. "Wer ist dieser früh zu Bett gehende Uhlenbrock?"

Fiedler grinste in sich hinein. Sieben Minuten und zwölf Sekunden war seine Begleiterin beleidigt gewesen bis die Neugier gesiegt hatte. Bei aller Stichelei - ihre Menschlichkeit und ihre Reaktionen machten es ihm leicht, sich mit dem Gedanken ihrer Anwesenheit anzufreunden. Im Laufe seiner Karriere als Detektiv und noch viel mehr in seinem Leben zuvor als Söldner hatte schon viele weitaus schlimmere Beschworene erlebt - und die meisten davon hatten einen auf "guter Geist" gemacht. Dieses Exemplar hier war offenbar einfach so, wie sie war - unverhohlen Beschworene und unverhohlen Mensch. Natürlich spielte sie nicht mit offenen Karten (wer tat das schon?), aber wenigstens machte sie keinen Hehl draus. Trotzdem musste er sie für einige Zeit loswerden um alleine mit Uhlenbrock zu sprechen und wenn es ging auch um Giorgios Nachrichtensystem nicht gänzlich preiszugeben.

"Uhlenbrock? Ach ein alter Bücherfritze. Ihm gehört die Buchhandlung da drüben!" Mit der linken Hand gestikulierte er in Richtung eines ehrwürdig wirkenden Altstadthauses, das sich zwischen zwei pastellfarben renovierten Häusern mit dem mangelndem Charme der 60er Jahre einzwängte. In den relativ kleinen und altmodisch wirkenden Schaufenstern zur Straße hin lagen Reihen um Reihen von Büchern und über dem Eingang des Gebäudes prangte eine metallene Eule, die in ihren Klauen einen Handspiegel hielt. Darüber prangte von Wetter und Zeit mattierte Schriftzug "Uhlenspiegel - Buchhandlung und Antiquariat" in grausilbernen Lettern.

Als der erwartete spitzfindige Kommentar zu lange ausgeblieben war, drehte sich Fiedler zu Sina um und war überrascht festzustellen, dass sie das Gebäude mit großen Augen ansah.

"Balthasar Uhlenbrock - der Spiegelmagier im Hinterzimmer, nicht wahr? Danke, Herr Fiedler, zu dem Herren gehen Sie alleine."

4. Verschlungene Wege (2)


Scheinbar in Gedanken versunken riss er einen schmalen Streifen Papier von einer der dünnen mit blassen Werbeaufdrucken versehenen Servietten ab und strich ihn auf dem dunkelbraun lackierten Holz des Cafétischs glatt. Dann griff er mit blinder Sicherheit in die rechte Innentasche seiner Lederjacke und zückte seinen weißen abgegriffenen Kugelschreiber, mit dem er seinen Namen und das Wort "Heute" auf den dünnen Papierstreifen. Ein aufmerksamer Beobachter hätte dabei feststellen können, dass Fiedlers Hand dabei um ein mattschwarzes Objekt herumgreifen musste, das eine Pistole hätte sein können.

Nichts trübte die naive Unschuld in Sinas Gesicht, doch in ihrer Stimme perlte Ironie. "Führen Sie Tagebuch?" Mit einer Mischung aus Coolness und Neugier neigte sich Sina etwas näher zum Tisch und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf die Tasse in ihrer Hand.

"Ja, ich notiere mir, wie ich heute heiße. Wenn Sie sich vielleicht bei der Gelegenheit auch ein wenig nützlich machen wollen, dann könnten Sie beispielsweise einen Knopf auftreiben."

"Einen Knopf?"

"Einen Knopf. Wie in 'Hosenknopf'. Nicht zu groß - etwa so wie die Dinger an Ihrem Oberteil. Ob Plastik, Metall, Holz oder Horn ist mir egal ... ich hoffe, Sie haben die Erfindung des Plastiks nicht verpasst – oder gar die des Knopfes."

Mit unverhohlenem Amüsement lehnte sich Sina wieder in ihren Stuhl zurück. "Einen Knopf. Wenn das alles ist, was Sie brauchen, um glücklich zu sein. Ich hoffe, Sie leben daran jetzt keine seltsamen oder gar langweiligen Fantasien aus ..." Lässig und beiläufig beugte sie sich seitlich nach links zum Boden hinunter.

Just in diesem Moment erlagen ein paar Polyesterfasern an der Hose des Kellners der mit jedem Waschgang stärker an ihnen zehrenden Materialermüdung. Der Faden, den sie ausmachten riss und gab den von ihm gehaltenen schwarzen schlichten Knopf den Kräften der Spannung und der Gravitation zum Spiel frei. Lautlos rutschte der Knopf das von Nadelstreifen gezierte Hosenbein hinunter, glitt über den Umschlag, prallte mit leisem Klicken auf den Boden, sprang einmal, zweimal, dreimal auf und rollte und kullerte dann zwischen und unter den Tischen des Cafés hindurch über eine Strecke von etwa zwei Metern und dreiunddreißig Zentimetern.

In einer fließenden Bewegung fasste Sina den einher kullernden Knopf, hob ihn auf und hielt ihn Fiedler hin. "Da. Sonst noch etwas?"

"Danke. Nein." Fiedler nahm den Knopf entgegen, wog ihn in der Hand und schätzte ihn mit prüfendem Blick. Dann befand er ihn für tauglich und umwickelte ihn erstaunlich flink mit dem Serviettenstreifen. Mit den Worten "Das sollte gehen – und wir auch." stand er auf, sah noch einmal kurz auf seine Armbanduhr und legte einen Geldschein auf den Tisch.

Sina, die sich ebenfalls erhoben hatte, stutzte. "Sie zahlen wirklich in einem Normalo-Café?" Dann, nach einem kurzen Moment schien in ihrem Gesicht zum ersten Mal seit Fiedler sie gesehen hatte so etwas wie ein Funke von Sympathie. "Respekt."

"Selbstverständlich prelle ich meine Zeche nicht!" In Fiedlers Stimme lag beinahe Entrüstung. "Und natürlich ist es hart, das Paradox unten zu halten - aber hey," er kniff ein Auge halb zu und grinste schief "Professionalität verlangt eben Opfer."

Mit diesen Worten drehte er Sina den Rücken zu (worauf die ihm eine genervte Grimasse schnitt) und machte sich auf den Weg zur Tür nach draußen, wo langsam der Regen abflaute. In ihrer fließenden Art ging ihm Sina hinterher, nickte höflich, als er ihr die Türe aufhielt und wartete scheinbar gelangweilt ins große Panoramafenster des Cafés starrend, während Fiedler wieder einmal den Kragen seiner Lederjacke hochkrempelte. Drinnen hatte der junge Kellner offenbar die Abrechnung an seiner Stehkasse erledigt und bemerkte wohl gerade, dass die Gäste am Ecktisch gegangen waren, ohne dass er kassiert hätte. Gerade als er eilig in die Richtung los laufen wollte, verloren seine Beinkleider mangels Knopf den Halt und rutschten ein Stück nach unten - was seinem Bewegungsablauf zu einem slapstickartigen Stocken verhalf.

Diebisch grinsend zog Sina die Stirn kraus und knurrte etwas wie "na da haben wir auch schon besseres gesehen", wandte sich vom Fenster ab, hinter dem der peinlich berührte Kellner gerade hastig in der Küche verschwand und folgte der im Grau des trüben Spätnachmittages verschwindenden Gestalt des Detektivs.

4. Verschlungene Wege (1)


"Guten Tag, der Herr, was darf ich Ihnen bringen?" Mit professionell-freundlichem Lächeln fixierte der junge adrett gekleidete Kellner vom "Café Hinterhof" den lässig auf der gepolsterten Eckbank fläzenden Alexander Fiedler.

"Zwei doppelte Espresso bitte."

Ein kurzes Nicken, eine Notiz, dann waren Sina und Fiedler wieder alleine am Tisch in dem halbwegs gut besuchten Café.

"Respekt, Fiedler, ich habe schon lange keinen Grenzgänger mehr erlebt, der von einem Kellner ohne weiteres angesprochen wurde - müssen Sie am Schluss auch noch bezahlen?" Sina sah sich um. "Mal im Ernst - wieso bleiben Sie so nahe an der Normalität? Das muss doch verflixt schwierig sein?"

"Wissen Sie, mein Spezialgebiet sind Fälle, in die beide Seiten des Schleiers verwickelt sind - Grenzweltler und Normalos – und da ist es ziemlich praktisch, wenn man von allen Beteiligten wahrgenommen wird. Allerdings reicht es nicht, wenn man ab und zu mal gesehen wird, sondern man muss halbwegs Teil des Systems sein. Ein Normalo will von einem Privatdetektiv wie mir auch mal 'ne Lizenz und 'nen Ausweis sehen und so Dinger sind auch tierisch nützlich, wenn man mit den Bullen auf der anderen Seite zusammenarbeiten möchte oder muss. Also ist es für mich quasi geschäftlich wichtig, so wenig Paradox aufzusammeln wie möglich. Sie verstehen?"

Fiedler setzte sich ein wenig auf und lehnte sich dann mit einem Ellbogen auf den Tisch zwischen ihnen.

"Wenn wir aber schon bei persönlichen Fragen sind, meine Liebe, lassen Sie mich doch ein bisschen in Ihrer Privatsphäre herumschnüffeln." Sinas Ausdruck blieb gelassen, doch ihre Augen stellten sichtlich auf Fiedlers Gesicht scharf - messerscharf. "Ich bin kein Experte, was Beschworene angeht, aber ich habe schon ein paar von Ihresgleichen erlebt. Wenn ich überlege, wie Sie sich darstellen, sich geben, auf Menschen und Menscheleien reagieren, - verdammt, Sie trinken Kaffee - würde ich sagen, dass Sie wahrscheinlich keine Anderweltlerin und kein Konstrukt sind, sondern ein Geist dieser Welt. Für eine ruhelose oder verfluchte Seele sind Sie zu gelassen und positiv, für einen einfachen hilfreichen Geist haben Sie zu viel Biss. Außerdem scheinen Sie nicht besonders positiv Ihrem Beschwörer gegenüber eingestellt zu sein - eine generelle Abneigung gegen das Beschworenwerden oder eine persönliche Sache zwischen Ihnen und Herrn Unbehaun?"

Die Frage blieb im Raum stehen und beide warteten ab, bis der Kellner herangekommen war, zwei modern wirkende Kaffeetassen zwischen sie gestellt hatte und wieder verschwunden war.

"Sie sagen, Sie kennen sich mit unsereins aus, Fiedler? Dann erwarten Sie jetzt sicher keine Antwort. Was zwischen Herrn Unbehaun und mir ist, geht Sie nichts an. Lassen Sie uns doch über sinnvollere Dinge sprechen. Wie wollen Sie an die Sache heran gehen?"

Während Sinas Antwort hatte sich Fiedler eine der beiden Tassen geschnappt, mehrere Löffel Zucker hinein rieseln lassen und sich mit dem schwarzen dampfenden Gebräu wieder zurück an die Wand gelehnt.

"Nun ja ..." ein gedankenverlorenes Schlürfen am Kaffee "... bei allem, was ich über ihn weiß, gehe ich nicht davon aus, dass Herr Unbehaun mich ohne nähere Überlegung engagiert hat. Es ist anzunehmen, dass er die klassischen Wege, Frau Kirchner über Medien, Geisterbeschwörer und ähnliche Leichenschänder aufzuspüren schon so weitestgehend durchprobiert hat. Aber selbst wenn dem so sein sollte - wieso heuert er mich an? Weil ich ihm einen Gefallen schulde? Unwahrscheinlich, meinen Sie nicht? Vor allem, bei dem beachtlichen Aufwand, den dazu noch getrieben hat - das Siegel, Frau von Radewitz, Sie ..."

Fiedler ließ das Satzende offen und nippte abermals an seinem Kaffee. Auch Sina hatte sich inzwischen die Tasse genommen, noch mehr Zucker als Fiedler hinein gefüllt, umgerührt, genussvoll daran gerochen, genippt und sich dann mit unschuldig erwartungsvollem Gesicht auf ihren Gegenüber konzentriert.

"Nein, Verehrteste, wie ich bereits zuvor schon sagte - Ihr Herr und Meister hat gerade mich für den Job ausgesucht, weil ich dabei war ... oder zumindest beinahe." Ein weiterer kleiner Schluck schwarzen süßen Espressos verschwand zwischen Fiedlers Lippen. "Wahrscheinlich wissen Sie das besser als ich: Dinge finden sich viel einfacher, wenn man ein Ende eines Fadens in der Hand hat, an dem sie hängen. Offenbar glaubt Unbehaun, ich hätte einen solchen Faden, oder würde leicht an einen kommen. Mal sehen, ob er damit richtig liegt."

Fiedlers Gesicht wurde ernst und er blickte auf das silberne Ziffernblatt der abgenutzten Uhr an seinem Arm. Zehn Minuten vor fünf. Noch etwas Zeit. Sein Blick wanderte wieder hinüber zu Sina und ihrer fast schon zärtlich gehaltenen Espressotasse. In der Tat ziemlich menschlich - eine Beschworene, die ein Faible für (zugegebenermaßen guten) Kaffee besaß und diesen zudem noch trank. Offensichtlich hatte sie das Menschsein entweder selbst erfahren oder auf irgendeine Art sehr zu schätzen gelernt. Er fragte sich, wie alt die Dame wohl sein mochte. Jahrzehnte? Jahrhunderte? Jahrtausende? Beschworene waren schwer einzuschätzen.

3. Sonstige Besucher (5)


Wenig später traten Sina und Fiedler wieder aus dem Toilettenhäuschen auf den Rathausplatz hinaus. Regen prasselte vom grauen Himmel, der Platz war menschenleer und auch von den fröhlichen Mädels des Jungesellinnenabschieds war nichts mehr zu sehen.

Unter dem schmalen Vordach klappte Fiedler den Kragen seiner Lederjacke hoch. "Ich denke, es wird Zeit, dass wir ein paar Dinge besprechen. Vielleicht sollte ich vorher aber noch ein paar Erkundigungen einziehen - alleine."

"Vergessen Sie's, Fiedler. Ich soll Sie nicht aus den Augen lassen, vor allem nicht in Durnburg ."

"Es gibt Orte, da bin ich alleine willkommen und in Ihrer Anwesenheit nicht."

"Ich kann verflucht unauffällig sein." Sina grinste.

"Nein, Verehrteste, tut mir leid, da wo ich hin will, ist Ihresgleichen nicht gerne gesehen - in welcher Gestalt auch immer."

"Dann bringe ich Sie eben bis vor die Tür. Und noch etwas, Fiedler, ich will Ihr Wort darauf, dass Sie keine weiteren Ermittlungen über Ihren Auftraggeber anstellen!"

In Fiedlers Stimme lag Unmut. "Ich bin kein Freund von Knebelverträgen - aber eine Wahl hab' ich wohl nicht. Sie haben mein Wort. Auf was für Überraschungen muss ich mich noch einstellen? Lassen Sie mich raten: Ich darf nicht versuchen, etwas über Sie herauszufinden und muss anderen gegenüber den Auftrag verschweigen."

"So in der Art - Sie scheinen sich ja auszukennen. Für alle Regeln gibt es natürlich Ausnahmen, wenn dadurch das Gelingen der Mission gefördert werden kann - die letzte Instanz bin wie immer ich."

Sardonisch verzog Fiedler das Gesicht "Na denn, Euer Ehren. Wie wäre es mit einem Kaffee? Können Sie den Annehmlichkeiten des Geborenendaseins etwas abgewinnen?"

Sina nickte zustimmend "Worauf Sie sich verlassen können. Ich folge Ihnen, mein einheimischer Führer."

Nach einem kurzen missbilligenden Blick zum Himmel machte sich Fiedler mit schnellen Schritten und hochgezogenen Schultern auf den Weg über den Platz, um ein einer der Gassen zwischen den alten protzigen Patrizierhäusern zu verschwinden. Knapp hinter ihm, mit etwas gelangweiltem Blick folgte Sina (und nur wer genau hinschaute, stellte fest, dass kein Regentropfen ihre Bomberjacke oder gar sie selbst berührte).

3. Sonstige Besucher (4)


Auf subtile Art und Weise erinnerten Griselda von Radewitz Augen an die eines Raubvogels, als sie Zeichen um Zeichen, Zeile für Zeile das Schreiben auf dem cremeweißen Büttenpapier des Briefes abrasterten. Nicht zum ersten Mal fragte sich Fiedler insgeheim, was in ihrem Kopf wohl vorgehen musste, wenn sie das tat, wofür sie bekannt war: den Wahrheitsgehalt von Aussagen (seien sie schriftlich, mündlich oder in Bildform verfasst) zu überprüfen. Konnte man das als eine Art Seherei betrachten oder als Form des indirekten Gedankenlesens? Teilten ihr die Buchstaben mit, ob sie bedeuteten, was sie sagten oder hatte sie über das Geschriebene Zugang zu dem Teil der Realität, der von diesem beschrieben wurde? Eigentlich egal, dann was zählte war, dass sie sich offenbar bislang noch nie geirrt hatte.

Nach dreifacher Lektüre des Briefes wich etwas Anspannung aus ihrem Gesicht, sie senkte das Dokument und blickte Fiedler mit ernstem Blick an. "Nach allem was ich feststellen kann, entspricht das hier geschriebene in allen Aspekten der Wahrheit. Der Verfasser dieser Zeilen heißt Ebenezer Unbehaun und ist tatsächlich die Person, die mit den beschriebenen Ereignissen in Baltungshult in Verbindung steht. Der Auftrag ist Wort für Wort ernst gemeint und gilt bindend als Einlösung des von Ihnen geschuldeten Gefallens. Zu guter Letzt", ihre Augen nahmen nun Sina ins Visier, "ist diese Dame dort die bereits angekündigte und im Brief erwähnte beschworene Botin des Herrn Unbehaun - auch hier ist die Aussage vertrauenswürdig. Allein der Schlußabsatz mit dem besten Wünschen erscheint mir als Floskel und ohne Bedeutung - aber wenn ich Sie richtig enschätze, Herr Fiedler, darauf kommt es Ihnen wahrscheinlich nicht an."

Fiedler wirkte etwas gequält aber entschlossen. "Danke, Frau von Radewitz. Ich kann nicht sagen, dass ich mit dem Ergebnis besonders glücklich bin - aber danke." Er warf einen Blick zu der sehr mit dem Ergebnis und sich selbst zufrieden wirkenden Sina hinüber.

Griselda von Radewitz deutete ein höfliches Nicken an. „Nichts zu Danken, Herr Fiedler. Gibt es vielleicht noch etwas, mit dem ich Ihnen behilflich sein kann?“

Es entstand eine kurze Pause, in der Fiedler erst zu einer ablehnenden Geste anhob, dann zögerte und schließlich mit nachdenklicher Miene zurückfragte: „Nun, eine Sache vielleicht. Haben Sie nicht Quentin Fechtner in Ihre Dienste genommen?“

„Ja, in der Tat, das habe ich.“ Frau von Radewitz wirkte von der Frage überrascht. „Aber ich denke nicht, dass seine Expertise in dieser Angelegenheit weiterführt.“

Erneut schüttelte Fiedler den Kopf. „Mitnichten. Ich gehe nur davon aus, dass zu den Vertragsbedingungen Ihrer Leute wahrscheinlich ein Verzicht auf das Eingehen jeder Art von rituellen Verbindung steht. Irre ich mich?“

Diesmal war es Griselda, die verneinend entgegnete: „Sie irren sich nicht. Selbstverständlich ist das Eingehen einer rituellen Verknüpfung für meine Experten tabu. Das Potential zur Kompromittierung, das eine solche Verbindung mit sich bringt, ist in unserer Branche ein untragbares Risiko für die Integrität.“

Einen Moment lang fragte sich Fiedler, ob die von Radewitz sich wohl auf die Zunge beißen musste, um nicht nachzuhaken oder ob sie sich für den Hintergrund seiner Frage tatsächlich nicht interessierte. Wie dem auch sein mochte, der Brief war echt, der eingeforderte Gefallen damit auch und so war es an der Zeit, den Minotauren bei den Hörnern zu packen.

Die Sache mit Fechtner wäre eine nette Chance gewesen, so einfach wie zu ihm würde er wohl zu keinem anderen Kontakt aufnehmen können, der in den Tod von Astrid Kirchner verwickelt war, aber Vertrag war nun mal Vertrag und Fechtner kam als Anker für eine rituelle Verbindung nicht in Frage. Es musste also ein anderer Ansatzpunkt für eine Verbindung her – und Fiedler hatte schon eine Idee, wer ihm helfen könnte, die geeigneten Kandidaten zu finden.

„Danke, Frau von Radewitz, in diesem Fall gibt es wohl nichts, was Sie für uns und unser Anliegen tun können. Vielen Dank auch, dass Sie sich so ausgiebig Zeit für uns genommen haben – es ist wohl besser, wir gehen jetzt und lassen Sie Ihren sicher zahlreichen weiteren Verpflichtungen nachkommen.“ Höflich lächelnd stand er auf und wandte sich zu Sina: „Verehrte Statthalterin meines Auftraggebers, ich nehme an, es wird nicht nötig sein, Ihnen Ihre Jacke zu reichen?“

3. Sonstige Besucher (3)


War da ein momentaner Anflug von Anspannung bei seiner beschworenen Begleiterin erkennbar gewesen? Fiedler musterte sie so unauffällig wie möglich. Nein, Sina wirkte gelassen und ruhig - und hatte offenbar seinen Blick bemerkt, denn sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu, während sie mit leisen Schritten weiterging.

Am Beichtstuhl angekommen teilten sich schwere Samtvorhänge und alte dicke Holzbohlen pochten und knarrten leise unter ihren Schritten beim Betreten des Gestühls. Vor ihnen hatte Frau von Radewitz im muffigen Dämmerlicht schon eine unauffällige hölzerne Tür an der Rückwand geöffnet und hielt diese für ihre Kunden geöffnet. Der dahinterliegende durch drei Kronleuchter und mehrere Kerzen erhellte fensterlose Saal im Stil der Renaissance kontrastierte deutlich mit der Erwartung, die an das Hinterzimmer eines Beichtgestühls gestellt werden könnte - was aber offenbar keinen der Anwesenden störte. Mittig im Raum unter dem größten der drei Lüster stand auf dem kunstvoll in schwarz weißen Mustern gelegten Marmorboden ein Tisch, groß genug für acht oder zehn Personen, dessen polierte Platte ebenfalls aus Marmor bestand.

Griselda von Radewitz hiel zielstrebig auf das entfernte Ende der Tafel zu. „Nehmen Sie doch bitte beide Platz! Es freut mich, Sie einmal mehr als meinen Kunden begrüßen zu dürfen, Herr Fiedler. Ich nehme an, Sie haben das zu prüfende Dokument bei sich?“

„Das zu prüfende Dokument? Darf ich daraus messerscharf kombinieren, dass Sie uns nicht nur erwartet haben und über die Person meiner Begleiterin im Vorfeld informiert waren, sondern, dass Sie auch schon wissen, worum es geht?“ In Fiedlers Stimme schwang mehr als eine Spur von Ironie mit?

Griselda lachte kurz und angemessen: „Ich denke nicht, dass diese Schlussfolgerung eine große Herausforderung für Ihre legendären detektivischen Fähigkeiten war. Natürlich haben Sie Recht: Ihr Anliegen ist mir bereits angekündigt worden.“ (Fiedler notierte routinemäßig, dass sie es stets vermied, die seit der Ankündigung verstrichene Zeit zu erwähnen.) „Mir ist auch klar, das mein Vorwissen in der Angelegenheit mich im Grunde nicht vertrauenswürdiger macht. Allerdings denke ich, Sie arbeiten lange genug mit mir zusammen, um sich meiner Integrität sicher sein zu können. Sollten Sie natürlich aus irgendwelchen Gründen Zweifel hegen, steht es Ihnen selbstverständlich frei, die Dienste eines anderen Experten in Anspruch zu nehmen – ich werde es Ihnen sicherlich nicht krumm nehmen.“

Schon bevor sie den letzten Satz vollendet hatte, schüttelte Fiedler den Kopf: „Ihre Integrität will ich nun wirklich nicht anzweifeln, Frau von Radewitz, und wenn ich an unsere bisherigen Geschäfte zurückdenke, sehe ich auch keinen Grund dafür. Außerdem,“ ein sarkastischer Zug schlich sich um Fiedlers Mundwinkel, als er mit einem Seitenblick auf Sina fortfuhr „scheint der Verfasser des zu prüfenden Dokumentes Ihre Dienste bereits im Voraus gebucht zu haben, was mir die üblicherweise lästige Diskussion um die Spesenabrechnung erleichtert.“ Mit leicht großspurig wirkender Geste fischte Fiedler den Umschlag aus der Innentasche seiner Lederjacke und platzierte ihn vor sich auf dem glänzenden Marmor der Tischplatte. „Voilà. Das zu prüfende Dokument.“  

3. Sonstige Besucher (2)


Sina wirkte weniger beeindruckt. "Nichts was ein begabter Gossenhexer mit einem Händchen für Lichteinfall nicht hinbekommen könnte. Offensichtlich haben Sie noch nie wirklich beeindruckende orthomantische Räumlichkeiten gesehen. Kleopatra zum Beispiel schlief jede Nacht des Monats in einem anderen Zimmer, das sie aber stets durch die gleiche Türe betrat - oder haben Sie sich schon einmal gefragt, wie Noah die ganzen Tiere in sein kleines hölzernes Schiffchen pferchen konnte? ... Aber Sie haben recht. Für diese zweitklassige Ära ist es ganz beachtlich. Können wir jetzt zum Geschäftlichen kommen? Wo ist denn der Lakai, der uns die Türe geöffnet hat?" Sie blickte sich suchend um, fand aber die Türe geschlossen und den hinter ihnen liegenden Teil des Raumes menschenleer.

"Bei Frau von Radewitz ist es üblich, sich ins ... ähm ... Wartezimmer zu setzen, bis man abgeholt wird. Wir haben zwar keinen Termin, wurden aber erwartet - lange kann es also nicht dauern." Schnurstracks hielt Fiedler auf die dünn mit abgewetztem weinroten Samt gepolsterten Kirchenbänke aus dunklem Holz zu.

Offenbar waren sie nicht die einzigen Besucher in der dämmrigen, farbdurchwirkten, gedämpften Stille der Kirche. So weit verstreut wie möglich saßen eine Handvoll weiterer Gestalten auf den ehrwürdig wirkenden Bänken, die meisten von ihnen relativ normal und unauffällig gekleidet. Auffällig waren ein mit etwa drei Metern übergroßer klobiger Kerl aus dessen Kiefern zwei ellenlange Stoßzähne zu sprießen schienen und eine Frau in den hinteren Reihen, deren lange rote Haare sich nach oben reckten und dabei wie Flammen züngelten. Manche studierten konzentriert irgendwelche Schriftstücke, die sie vor sich hatten, einige saßen einfach da und warteten und andere hatten scheinbar den Kopf in stiller Andacht gesenkt. Allen Anwesenden gemein war eine gewisse Bedachtheit darauf, sich nur um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern und die Privatsphäre der anderen nicht zu verletzen.

Nach ein paar Minuten des Wartens in einer mittleren Reihe trat eine mittelgroße zierliche Frau in dunkelgrauem Nadelstreifenanzug mit schulterlangen Haaren und schwer schätzbarem Alter zwischen 40 und 60 aus einem Seiteneingang vorne im Kirchenschiff und eilte mit leisen Schritten eine auf Sina und Fiedler zu.

"Aha, Griselda nimmt sich persönlich für uns Zeit..." in Fiedlers Flüstern lag Erstaunen.

Bei den beiden angekommen, lächelte die Dame professionell, blickte kurz von einem zum anderen und sprach sie mit gedämpfter Stimme an: "Herr Fiedler, Frau ... ich kann Sie Sina nennen?"

Als sie das kurze Nicken seitens Sina gesehen hatte, fuhr sie fort: "Wenn ich sie in mein Büro bitten darf?" Die beiden Besucher erhoben sich leise und folgten Griselda von Radewitz zum Beichtstuhl an der linken Seite.

3. Sonstige Besucher (1)


"Wie ausgesprochen stilsicher! Ich bin beeindruckt." Das amüsierte Lächeln, welches seit dem Aufbruch aus Fiedlers Büro nie vollständig von Sinas Gesicht gewichen war wuchs zu einem breiten Grinsen. "Hat das Reinigungspersonal in eurem schicken neuen Jahrtausend jetzt Nebenjobs als Notare für Grenzgänger?"

"Tja, meine Liebe, lassen Sie sich überraschen. Gerade Frauen in Ihrem Alter sollten wissen, dass der äußere Schein nur all zu oft trügt." Befriedigt realisierte Fiedler, dass Sinas Mimik von Erheiterung zu leichter Empörung wechselte.

Mittlerweile hatte Gruppe von etwa einem Dutzend junger Frauen (allesamt in orangefarbenen Trikots mit der Aufschrift "Tinas Jungesellinnenabschied"), ihre vollständige Blockade des Toilettenhäuschens aufgehoben und verzog sich fröhlich schnatternd in Richtung Rathauscafé. Mit kurzem Schulterblick versicherte sich Fiedler, dass sie gerade keine besondere Aufmerksamkeit auf sich zogen, nickte zufrieden, schritt auf die Türe "Sonstige Besucher" zu und hielt sie mit einer galanten Geste für Sina offen. "Nach Ihnen, gnä' Frau..."

"Für einen Grenzgänger sind Sie ganz schön besorgt, nicht bei Grenzgängerdingen beobachtet zu werden. Achten wir darauf, unser Paradox niedrig zu halten, Herr Fiedler?" Der Spott war zurück in Sinas Stimme.

"Man tut, was der Beruf verlangt." Als die Türe hinter ihnen ins Schloss fiel, standen die beiden in einer von dämmrigem Notlicht erleuchteten Kammer, an deren kahlen Betonwänden einige Besen und Reinigungswerkzeuge in vorhängeschlossgesicherten Gitterkäfigen ihr tristes Dasein fristeten. Gegenüber des Eingangs befand sich gleich noch eine Türe, diesmal aus schwarzem matten Metall - mit einem geschlossenen Sichtschlitz in Augenhöhe.

Auf energisches Klopfen seitens Fiedlers erklangen von der anderen Seite erst gedämpft ein paar schwere Schritte, wie von Stiefeln auf Steinboden in einem großen Raum, dann glitt der Sichtschlitz mit aggressivem Zischen auf und enthüllte ein Gitter, hinter dem eine spiegelnde Glasfläche das fahlgrüne Licht der Deckenlampe in der Abstellkammer reflektierte. "Ja?" Die Männerstimme, die hinter der Tür hervor klang war klar und deutlich hörbar - und wirkte überraschend höflich und freundlich.

"Alexander Fiedler und ein Gast. Ich bin zur Verifikation eines Dokumentes hier und die Dame in meiner Begleitung ist eine Beschworene meines Auftraggebers." Nach einem kurzen Seitenblick zu Sina fügte er lächelnd und mit höflichem Bedauern hinzu: "Leider kann ich nur für meine Person bürgen - über Absichten und Fähigkeiten meiner Begleiterin bin ich nicht informiert."

Wahrscheinlich war es nur seine Magieimmunität, die ihn davor rettete, von Sinas bloßen Blicken getötet zu werden, doch die Stimme auf der anderen Seite der Türe schien völlig unbeeindruckt. "Herr Fiedler und ein beschworener Gast. Sehr wohl. Haben Sie bitte einen Moment Geduld, ich melde Ihren Besuch." Mit erneutem fiesen Zischen schloss sich der Schlitz und Schritte entfernten sich.

In Sinas Stimme lag mehr als nur ein bisschen Fauchen: "Diese Bemerkung war äußerst unangebracht, Herr Fiedler! Ich dachte, Sie hätten verstanden, dass Sie mich als Repräsentanten Ihres Auftraggebers behandeln sollen! Etwas mehr Respekt hielte ich für durchaus angemessen."

Fiedlers Gesicht war die Unschuld selbst, während in seiner Stimme ein leises Lachen mitklang: "Aber aber, meine Liebe, nun fahren Sie doch nicht gleich aus Ihrer selbstgemachten Haut! Natürlich behandle ich Sie genau so, wie ich Herrn Unbehaun als meinen Auftraggeber behandeln würde - aber erst sobald sich die Sache als sauber herausgestellt hat. Bis dahin sind Sie für mich ein potentielles Risiko, das ich meinen Geschäftspartnern nicht einfach so aufbürden möchte. So viel Professionalität muss sein, finden Sie nicht?"

Bevor Sina etwas entgegnen konnte, näherten sich wieder die Schritte von jenseits der Türe. "Herr Fiedler und die beschworene Dame werden bereits erwartet. Ich bitte einzutreten!" Bei den letzten Worten schwang die Türe lautlos auf und enthüllte den Blick durch einen beiseite gezogenen Vorhang auf ein durch bunte hohe Glasfenster mit farbigem Zwielicht erfülltes hohes gotisches Kirchenschiff.

Mit leisem anerkennendem Pfeifen ließ Fiedler etwas Luft zwischen den Zähnen entweichen. "Sie hat umdekoriert - nicht schlecht! Die Geschäfte müssen gut laufen!"

2. Lady in Black (5)


Sichtlich betroffen legte Fiedler den Brief wieder ab. Die Namen Baltungshult und Unbehaun weckten Erinnerungen in ihm, die er lieber sicher unter einer dicken Schicht Vergangenheit und Vergessen begraben gewusst hätte. Damals - es schien ihm in einer anderen Zeit, in einer anderen Welt und irgendwie auch als ein anderer Alexander Fiedler gewesen zu sein - war er als Söldner in der Schlacht von Baltungshult in eine verzweifelte Situation geraten und hatte sich des nackten Überlebens willen in die Schuld von Ebenezer Unbehaun, einem zwielichtigen Magier begeben müssen.

An der Grenze wiegen Versprechen schwer. Für einen Normalmenschen ist es ein leichtes, sein leichtfertig gegebenes Wort wieder zu brechen - was außer ein paar Moralvorstellungen und lockeren Vorgaben der Zivilisation spricht schon dagegen? Wer dort sicher gehen will, erstellt einen Vertrag und lässt sich seine Versprechen schriftlich und einklagbar geben. In der Welt der Grenze aber, erscheinen Gesetze und Vertragswerke der Staaten und Gesellschaften beliebig und nichtig, schließlich ist es dort der tägliche Alltag, dass ein Name, eine Adresse, ja eine ganze Existenz "einfach so" aus Verträgen, Telefonbüchern, Personalausweisen, Akten und Verzeichnissen verschwindet. Was bleibt denn unter Grenzgängern an Sicherheit, wenn nicht das gegebene Wort?

Abgesehen von der schwer beweisbaren Tatsache, dass in der magiedurchtränkten Grenzrealität der Bruch eines ernsthaft gegebenen und mit Namen und Schwur belegten Versprechens durchaus böse Folgen nach sich ziehen konnte, waren Gefallen eine der härtesten Währungen an der Grenze. Wenn jemand einen geschuldeten Gefallen nicht einlöste, musste er davon ausgehen, dass niemand ihn mehr für "kreditwürdig" nehmen und ihm seinerseits einen Gefallen erweisen würde.

Worauf es für Fiedler hinauslief war einfach gesagt: Er schuldete Ebenezer Unbehaun einen Gefallen in der Größenordnung einer Lebensrettung und dieser Gefallen wurde jetzt eingefordert - mit einem auf den ersten Blick unmöglich scheinenden Auftrag. Manche Dinge rächen sich zwar spät aber immer noch viel zu früh.

Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Fiedler zu der ihn mit beinahe unschuldigem Lächeln gegenübersitzenden Sina auf.

"Ich nehme an, der Inhalt dieses Schreibens ist Ihnen bekannt."

Ein Lächeln und leicht angedeutetes Nicken.

"In diesem Fall wissen Sie sicher auch, dass Sie mir als nächsten Schritt eine kleine Überprüfung des Textes und der darin gemachten Behauptungen finanzieren werden. Kennen sie Griselda von Radewitz? Sie ist die Autorität in Durnburg, wenn es um Wahrheit, Lügen und Versprechen geht - und sie ist nicht ganz billig."

Sina erhob sich, grinste weiter und materialisierte die Bomberjacke erneut um ihre Schultern. "Nein, noch nicht, aber mir wurde schon gesagt, dass ich sie kennenlernen würde. Los, brechen wir auf! Ich glaube nicht, das die gute Frau von Radewitz in Ihrem Vorzimmer sitzt."

"Nach Ihnen." Als sich Fiedler Schirm und Lederjacke vom Garderobenhaken hinter seinem Schreibtisch nahm, fügte er noch beiläufig hinzu: "Ich hoffe, Ihr Beschwörer hat sich nicht lumpen lassen, sonst müssen wir am Schluss noch ein paar Brocken Ihrer magischen Substanz als Bezahlung liegen lassen..."

Minuten später standen Fiedler und Sina vor einen kleinen Pavillion am Rande des Durnburger Rathausplatzes, dessen Vorderseite von drei Türen geziert wurde - mit den Beschriftungen "WC Herren", "WC Damen" und "Sonstige Besucher".

2. Lady in Black (4)

Einen winzigen Moment spürte er ein Prickeln in den Fingerspitzen, konnte erahnen, dass irgendetwas magisches versuchte, ein Detail über ihn herauszufinden und die Frage schoss glühend ihm durch den Kopf, wie denn eigentlich ein solcher Namenszauber darauf reagieren würde, wenn er NIEMANDEN in der Umgebung finden würde. Verdammt! Natürlich müsste der Zauber dann sofort das Dokument vernichten - sonst hätte ja jeder Normalo mit einem einfachen Mechanismus so ein magisches Siegel brechen können ...

Doch nichts geschah. Mit gebrochenem Siegel ruhte der Brief in Fiedlers Hand, die Lasche leicht geöffnet. Aus den Augenwinkeln registrierte Fiedler, dass Sina sich ihm wieder leicht zugewandt hatte und tatsächlich ein wenig enttäuscht wirkte. Seltsam menschlich für eine Beschworene, dachte er sich und fuhr dann damit fort, den Umschlag seines Inhaltes zu berauben.

Zum Vorschein kam ein edel wirkendes Stück handgeschöpften Papiers - ordentlich im A4 Format geschnitten - dessen Vorderseite in schwarzer Tinte handschriftlich beschrieben war.


Hochverehrter Herr Fiedler,

lassen Sie mich zunächst meine persönliche Hochachtung für Ihre detektivischen Fähigkeiten ausdrücken, deren eindrucksvolle Erfolge ich in den letzten Jahren verfolgen durfte. Es ist mir eine besondere Freude Ihr Wohlergehen und Ihren positiven Einfluss auf die Gemeinschaft der Grenzgänger konstatieren zu können, zeigt mir dieses doch, dass mein Eingreifen in Baltungshult nicht nur für Ihr weiteres Leben von Vorteil war.

Ich gehe natürlich davon aus, dass ein Mann von Ehre wie Sie nicht an die damaligen Geschehnisse und die daraus resultierenden Verpflichtungen erinnert werden muss. Daher möchte ich Ihnen hiermit in Bezug auf unsere dort und dann getroffene Abmachung die Bitte stellen, den Auftrag betreffs der Wiederkehr Astrid Kirchners anzunehmen, der Ihnen von der Überbringerin dieses Briefes unterbreitet wird und ihn zu behandeln, als sei er Ihr persönliches Anliegen. Um es noch einmal mit meinen eigenen Worten zusammenzufassen: Bitte tragen Sie Sorge, dass das Bewusstsein und der Geist von Frau Astrid Kirchner in Bälde auf diese unsere Welt zurückkehrt - sei es im Gefäß ihres lebendigen Körpers oder in einem anderen hinreichend stabilen Zustand.

Selbstverständlich kann ich unmöglich voraussetzen, dass Sie diesem meinem Schreiben vorbehaltlos vertrauen ohne sich dessen Authentizität und bindender Wirkung versichert zu haben. Es wäre aus diesem Grund in meinen Augen kein Zeichen von Unhöflichkeit sondern vielmehr ein Ausdruck professioneller Gründlichkeit und gesunden Misstrauens, wenn Sie die Gelegenheit nutzen wollten, dieses bei gebotener Stelle zu verifizieren.

Um Sie mit der gesamten Angelegenheit neben dem wohl nicht unbeträchtlichen zeitlichen und persönlichen Aufwand nicht auch noch finanzell unnötig stark zu belasten, habe ich es mir erlaubt, meine beschworene Botin mit einer gewissen Menge an Funken und Wertsachen auszustatten, die im Sinne der Mission einzusetzen ihr Geheiß ist. Ebenso verfügt sie über einige weitere Details dieses Auftrags und kann und sollte von Ihnen für dessen Dauer als mittelbare Repräsentantin meiner Person mit allen Implikationen betrachtet werden.

Abschließend möchte ich Ihnen noch meine besten Wünsche ausdrücken sowohl für Ihr persönliches Wohl als auch für das Gelingen unserer gemeinsamen Sache.

gezeichnet

Ebenezer Unbehaun