21. Eskalation (6)

Einmal hatte jede Klinge das silberne Band hinter einer ihrer Schwestern durchkreuzt und stand nun von unsichtbarer Hand gehalten auf der Spitze am ursprünglichen Ausgangspunkt ihrer übernächsten Nachbarin. Das Ergebnis dieses Platzwechsels ergab ein präzise gezeichnetes leuchtendes Pentagramm am Boden um die nunmehr erstarrte blonde Kämpferin. Unvermittelt setzten sich die Dolche wieder in Bewegung und begannen, in langsamer stetiger Bewegung einen Kreis durch die Ecken des von ihnen aufgespannten Drudenfußes zu ziehen - diesmal ohne innezuhalten. Während sich der der fast bewusstlose Brack mühsam und schwerfällig aus dem Wirkungskreis der magischen Klingen brachte, häuften sich in Finns Kopf die Fragen: Was sollte das alles nun wieder? Eine weitere Partei in diesem irrsinnigen Streit? Wollte Unbehaun den von ihm angebotenen Handel und Vertrag brechen?
Ähnliche Gedanken schienen sich Victoria Thomas, der Agentin von Mitternacht, aufzudrängen. Einen Beutel in der Hand wägend, den sie gerade aus ihrer Tasche geborgen hatte, sah sie sich mit ärgerlicher Miene um. “Unbehaun! Sie Heuchler! Lassen Sie sofort Ihre dreckige Hexerei von meiner Duellantin! Der Kampf ist vorbei, Ihr Schwertschwinger hat trotz aller Tricks zuerst geblutet und liegt dazu noch am Boden. Nehmen Sie Ihre Niederlage hin wie ein Mann oder die Memme, die Sie eben sind, und heben Sie Ihre Magie auf!”
Immer noch sachlich gelassen und von nirgendwo und überall kam Unbehauns Antwort: “Einmal mehr befinden Sie sich im Irrtum, Frau Thomas: Das vereinbarte Duell hat noch nicht einmal begonnen. Zwar ist der von mir benannte Vertreter angetreten, die Duellantin von Mitternacht, benannt als Laurie Strance, hat aber an der Kampfhandlung bislang nicht teilgenommen. Ebenfalls möchte ich sehr hoffen, dass die Entität dort im Bannkreis nichts mit dem ehrbaren Haus Mitternacht zu tun hat.” Im Hintergrund zerbrach Brack den Pfeil in seiner Schulter und riss sich schmerzverzerrten Gesichts beide Hälften aus dem Körper.
Victoria Thomas Ärger war zu Empörung abgeklungen und Skepsis klang in ihren Worten. “Wie bitte? Behaupten Sie gerade, diese Person dort”, sie wies auf die erstarrte Bogenschützin, “wäre nicht Laurie Stance?”
Eine ungute Vorahnung reifte in Finns Unterbewusstsein heran, als Unbehaun gewohnt gelassen antwortete. “Korrekt. Dieses Wesen dort ist ein in Form Ihrer Frau Strance manifestierter Geist, den meine Leute und ich bereits seit einiger Zeit verfolgen. Scheinbar hat sich die Kreatur als meine Vertreterin ausgegeben und versucht, in meinem und damit Libra et Libers Namen die Kontrolle über die Seele und das Orakel an sich zu reißen.”
“Beweisen Sie das!”
“Nichts leichter als das. Sie müssen sich nur kurz gedulden, denn lange wird die Verzauberung aus dem Schwert einem Beschworenen dieser Machtstufe nicht zu schaffen machen.” Mittlerweile hatte sich Brack aufgerafft und sich in Richtung der anderen Männer von Mitternacht gewandt, die dem Geschehen unschlüssig aber latent aggressiv zusahen und wahrscheinlich auf ein Zeichen ihrer Anführerin warteten.

Steinmeiers Gedanken kreisten um Unbehauns Worte. Sina konnte ihre Gestalt wandeln, das hatte er gesehen. Warum sollte sie sich nicht in diese Bogenschützin verwandeln? Aber als was sollte sich Sina ausgegeben haben? Erneut verfluchte er diese grenzerische Heimlichtuerei. Hatte Fiedler von der Sache gewusst? Finns Blick schweifte durch den Raum hinüber zu dem immer noch an der Wand stehenden Detektiv. Auf die Entfernung war dessen Gesichtsausdruck für ihn nicht zu erkennen, aber seine Körperhaltung signalisierte, dass auch er die Dinge aufmerksam verfolgte.

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