23. Auf ein Wort (1)

Obwohl das Wasser nicht mehr in Strömen vom Himmel herabprasselte, wehte der Wind unablässig feinen Nieselregen aus der petrolenen Schwärze des Nachthimmels herab. Längst hatte die Nässe den Kragen von Fiedlers Lederjacke durchdrungen und sickerte klamm und feucht über Hals, Schultern und Rücken des Privatdetektives. Düster, wehrhaft und mächtig ragte wenige Schritte vor ihm die Burgmauer und dahinter der mächtige zinnen- und turmbewehrte Schatten des Durnburger Schlosses auf, während er hier als einsame Gestalt vor einem Seitentor am Rande des nächtlich leeren Besucherparkplatzes stand und wartete.
Mehrfach hatte er auf dem Weg aus den Tiefen der Unterstadt hinauf bis zum Burgberg in der Mitte der Stadt den Impuls unterdrücken müssen, seine Schritte zu verlangsamen oder gar umzukehren. Nun aber gab es kein Zurück mehr: Er hatte angeklopft. Jetzt zu verschwinden würde wie Feigheit oder ein äußerst deplatzierter Klingelstreich wirken - und es würde ihm in keiner Weise helfen. Weder wollte Fiedler als feige gelten, noch einen kindischen Scherz beim Burgherren und beim Rat von Durnburg wagen - eine absurd törichte Idee. Am meisten wollte er aber die Misere in der Sache mit Unbehaun, Sina, der Kirchner und Steinmeier beheben. Also wartete er hier am von dem Einwohnern der Realität wahrscheinlich völlig unbeachteten Nebeneinlass und ertrug er den nasskalten Nachtregen und seine schmerzenden Füße.
Zu Fiedlers stiller Erleichterung dauerte es nicht lange, bis sich in dem massiven schwarzen Torflügel vor ihm eine menschengroße (oder vielmehr -kleine) Türe öffnete, aus der weiches wenn auch spärliches flackerndes Licht fiel. Durch das so entstandene hinreichend erleuchtete Rechteck lehnte sich eine menschliche Silhouette, die in der einen Hand eine leicht antiquiert aber edel wirkende Öllaterne hielt und die andere in einer einladenden Geste ausstreckte. Wie bei allen Bediensteten des Burgherren, waren die Gesichtszüge der Gestalt hinter einer schlichten weißen Theatermaske verborgen, die nur den Bereich um Mund und Kinn freiließ. Diesen sichtbaren Bereich nutzte der Maskenträger jedoch für ein freundliches Lächeln, das die von einem gepflegten kurzgestutzen Bart umrahmen Lippen umspielte.
“Herr Fiedler nehme ich an? Sie werden bereits erwartet. Treten Sie doch bitte ein und kommen Sie ins Trockene!”

Der höflichen Einladung des maskierten Dieners folgend, trat Fiedler vorsichtig durch die Türe im Burgtor hinüber auf den Schlosshof. Wie er es aus Erfahrung erwartet hatte, brachte dieser Schritt deutlich mehr Veränderung mit sich als ein gewöhnlicher Ortswechsel: Hinter Tor und Mauer hörte der Regen schlagartig auf, als würden die Befestigungen Wolken und Wetter einfach draußen halten. Stattdessen funkelten unzählige Sterne am Himmel und ein leichter Wind spielte sanft mit der lauen Nachtluft. Das Schloss war die Domäne des Burgherren. Hier gestaltete sich die Welt so, wie er es wollte - seien es Wetterlagen oder Räumlichkeiten. Jedoch hielt sich Fiedlers Begeisterung über dieses Wunder in Grenzen, da er auch die Schattenseiten dieses Zaubers kannte: Wenn der Burgherr es wünschte, blieb der Regen draußen - oder aber ein unfreiwilliger Gast ausweglos drinnen. Immer noch nass und frierend knirschte Fiedler mit den Zähnen und korrigierte sich: Jetzt erst gab es kein Zurück mehr.

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