24. Auf ein Andermal (6)

Brack rettete sich in ein zustimmendes Nicken und fuhr fort: “In jedem Fall muss er kurz vor seinem Tod Unbehaun zu sich gerufen und diesem geweissagt haben, dass der Bund seinen Sitz nicht verliert, wenn Astrid Kirchner aus dem Totenreich zurückgebracht würde. Ein paar Nachforschungen später hatte Unbehaun dann die Sache mit der Kirchner und dem Orakel raus und stellte eilig dem Burgherren und dem Rat seinen Plan vor: Wenn Libra et Liber die Kirchner und über sie die gewaltigen seherischen Fähigkeiten des Orakels zu ihrer Verfügung hätten, könnten sie auch ohne echten eigenen Seher weiterhin den angestammten Hohen Sitz des Sehers behalten.
Die Idee wurde lange hin und her diskutiert. Dabei fand Unbehauns Einfall eigentlich viel Zustimmung, nur waren die meisten anderen Bünde - allen voran der Rabenzirkel und Mitternacht - der Meinung, sie wären selbst eigentlich viel geeigneter, die Kirchner und das Orakel wieder in diese Welt zurück zu holen und dann Seher auf Dauer zu werden. Es ging dabei um so bizarre Begriffe wie ‘Göttererfahrung’ und ‘Wiederverkörperung’. Letzten Endes hat dann wohl der Burgherr seine Position als Vormann des Rates genutzt und bestimmt, dass Libra et Liber eine Chance haben sollen, den Plan in die Tat umzusetzen und so ihren Sitz und den Status Quo zu sichern.”

Mit ungläubigem Lächeln schüttelte Fiedler den Kopf als er Brack nahtlos ins Wort fiel: “Und sowohl Mitternacht als auch der Beschwörer der Geisterlady konnten die Entscheidung des Burgherren nicht akzeptieren und mussten versuchen Unbehauns Pläne zu durchkreuzen.”

Brack schnaubte abfällig. “Genau. Das ist ihnen letztendlich ja auch gelungen. Libra et Liber hat die Kirchner nicht gekriegt und darf deshalb den Hohen Sitz des Sehers nicht behalten. Allerdings scheint aus irgendwelchen undurchsichtigen Gründen…” Eine kurze aber vielsagenden Pause entstand, in der Fiedler jedoch keinerlei Anstalten machte, etwas zu sagen. “... eine andere politische Lösung aufgekommen zu sein: Scheinbar wird gerade natürlich rein zufällig der Hohe Sitz des Archivars frei - und harmoniesüchtig wie der Rat so ist - hat man Libra et Liber eben dieses Amt angeboten. Damit behält der Bund seinen Status als ‘großer Bund’ und Unbehaun kann sein Gesicht wahren.” Ein Hauch von Schadenfreude schlich sich auf Bracks Miene. “Na gut, es ist doch auch irgendwie schön, dass die verstaubten Zauberbücherwürmer jetzt die ganzen verstauten Bücher hüten sollen. Das passt viel besser zu ihnen!”

Fiedler lachte. “Genau. Es geht doch nichts über ein gutes Klischee!” 

Auf Bracks Gesicht hatten jedoch bereits steile grimmige Falten jegliche Erheiterung vertrieben. “Trotzdem finde ich es zum Kotzen, dass mal wieder ein paar hochedle und -wichtige Leute wahrscheinlich erst noch im Rat zum Beschluss des Burgherren genickt haben, nur um dann hintenherum falsches Spiel zu treiben.” Ernst sah er Fiedler an. “Eigentlich können ‘die’ von mir aus ihre Intrigen spinnen so lange sie wollen. Nur sind wir die Figuren in deren Spiel - und wir müssen bluten, wenn die uns ziehen.”

“Auch da hast du Recht, Brack.” Fiedler wirkte nachdenklich und verbittert. “Für diese Sache haben einige Unbeteiligte viel zu viel geblutet. Und ehrlich gesagt hatte ich damals im Liftschacht echt befürchtet, ihr würdet uns jetzt ernsthaft ans Leder gehen.”

Brack schwieg und blickte wieder zur Burg hinauf.

Nach ein paar Momenten vielsagenden Schweigens hakte Fiedler nach: “Und nun? Was für einen Zug musst du als nächstes machen?”

Keine Kommentare: