24. Auf ein Andermal (8)

Fiedler ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. “Denk mal nach - oder vielleicht hast du es auch einfach nicht mitbekommen: Speziell an Unbehaun durfte ich die Seelenkapsel nicht aushändigen. Wenn du dich erinnerst, stand in meinem Vertrag, ich müsse die Geisterlady so behandeln, als wäre sie Unbehaun selbst - das bezieht sich natürlich auch auf ihre Anweisungen. Und ihre letzte Anweisungen an mich waren, dass ich erstens die Kapsel nicht in die Hände von Unbehaun, Libra et Liber oder Mitternacht geraten lassen durfte und zweitens alle weiteren Anweisungen von Unbehaun nichtig waren. Da dein Ex-Chef den Vertrag nicht zuvor aufgehoben oder verändert hatte, musste ich mich an ihr Gebot halten - ob ich nun wollte oder nicht.”
Brack grunzte unmütig, ließ Fiedler aber fortfahren. “Damit nicht genug machte mir gerade Mitternachts bedrohlich intensives Interesse klar, dass die Sache einen weiter reichenden machtpolitischen Hintergrund haben  musste. Eine Übergabe auf ‘gut Glück’ an eine andere Durnburger Fraktion wäre damit zu einem riskanten russischen Roulette für mich und mein Leben geworden. Was also tun?
Nachdem ich hinreichend unbehelligt wieder zurück an die Oberfläche gekehrt war und ein paar grundlegende politische Vorkehrungen zu meiner Absicherung getroffen hatte, begann ich, mich mit dem Inhalt der Seelenkapsel zu beschäftigen. Falls du jemals in die Lage kommen solltest - für euch andere Menschen reicht es, das Metall des Dings zu berühren, um mit den Seelen in der Kapsel in Gedanken zu sprechen. Für mich funktioniert das nicht - ist ja schließlich Magie. Wäre auch zu einfach gewesen.”
Der Unterton von Bracks Worten war immer noch knurrig, aber wieder versöhnlicher. “Und wie hast du es angestellt?”
Fiedler sah ihn an. “Kennst du den Spiegel in meinem Büro?”
“Ich erinnere mich nicht daran, habe aber schon davon gehört. Eines von Uhlenbrocks ‘Fenstern zur Erkenntnis’, oder?”
“Nicht ganz, aber so ähnlich. Jedenfalls kann ich im Spiegelbild der Seelenkapsel deren Insassen sehen - und sogar mit ihnen reden. Falls du also mal Bedarf hast, …”
Höflich aber bestimmt winkte Brack ab. “Danke, aber die Verhörzimmer der Burg haben ein paar ziemlich abgefahrende Einrichtungen dieser Art. Wenn, dann vielleicht mal für den Privatgebrauch - und das habe ich eigentlich nicht vor. Aber danke. Zurück zur Sache:  Mit den ‘Insassen’ meinst du die Kirchner und dieses Orakel?”
Verneinend schüttelte Fiedler den Kopf. “Nein. Nicht das Orakel. Eigentlich ist es doch naheliegend: Bevor Steinmeier - du weißt schon, Samedis Opfer - starb, hat er schlauerweise noch die Kapsel geöffnet und steckt nun selbst da drin.”
Mit anerkennendem Kopfnicken entspannte Brack seine Haltung vollends und sah wieder auf das graue Wasser der Elm hinaus. “Gibt seinen Körper auf, um als gefangene Seele weiterzuleben. Ich hoffe, er hatte einen Plan.”
Einmal mehr feixte Fiedler sein schief sarkastisches Grinsen. “Das mit dem Plan will ich mal dahingestellt lassen. Zumindest falls es sein eigener Plan sein sollte. Allerdings wirkte er … nicht wirklich unglücklich mit seiner Lage. Wenn ich mich recht erinnere meinte er, er hätte jetzt seine Bestimmung gefunden und würde sich nun ganz dem Schutz von Astrid und der Kapsel widmen.” Er wurde wieder ernst. “Hast du dich schon mal gefragt, warum ihr die Kapsel nicht bemerkt habt? Weder du noch Unbehaun noch Mitternacht noch Samedi?”
Brack runzelte nachdenklich die Stirn. “Stimmt eigentlich. Nein, habe ich nicht. Dabei hatte Unbehaun mich gebeten, nach Behältern für Astrid Kirchner oder ihren Geist Ausschau zu halten. Wahrscheinlich war ich zu sehr mit ein paar aufdringlichen Nullnummern von Mitternacht und einem mörderischen Loa beschäftigt.”
“Hmm. Das mag sein. Andererseits ist es Steinmeiers Gabe, das Interesse anderer von sich abzulenken.”
“Oh.” Brack schien zu verstehen und blickte Fiedler verdutzt an.
“Wie genau das funktioniert, kann ich dir nicht sagen - aber ich war zumindest einmal Zeuge, als er mit seiner Gabe Baron Samedi von sich ablenkte, sich quasi aus dessen Gedächtnis löschte.”
“Scheint ja diesmal nicht geklappt zu haben.”
“Darüber wollte er nicht sprechen. Jedenfalls bezieht sich seine Gabe jetzt auf die Kapsel. Nur diejenigen, bei denen Steimeier es zulässt, können das Ding sehen und wahrnehmen - selbst wenn es unmittelbar vor ihnen auf dem Tisch liegt.”
Brack wirkte skeptisch. “Übertreibst du da nicht ein bisschen?”
“Nein, nicht wirklich.” Fiedlers Kopfschütteln wirkte überzeugt. “Zu Lebzeiten hätte er das nicht lange hingekriegt. Aber entweder liegt es daran, dass er tot ist oder er kann irgendwie auf die Macht des Orakels zugreifen oder so. Jedenfalls ist seine ‘du siehst mich - du hast mich vergessen’ Nummer ziemlich beeindruckend geworden.”
“Ahm...” Bracks Augenbrauen zogen sich zusammen. “Hattest du nicht gesagt, das Orakel wäre gar nicht in der Kapsel, Fiedler?”
“Na ja, nicht direkt - also nicht in Person. Aber Astrid Kirchner ist da drin. Wie es aussieht, hat die Dame einen ziemlich direkten Draht zum Orakel.” Er sah seinen Gegenüber etwas hilf- und sprachlos an, während er um Worte rang. “Herrgott, Brack! Du weißt doch selbst, wie das mit diesen mystischen Sachen ist! Es gibt kein Schwarz und kein Weiß und zu jeder Regel immer eine Ausnahme - außer wenn es eben keine gibt. Zwing mich bitte nicht schon wieder dazu, präziser zu werden, als ich es guten Gewissens sein kann. In dieser Seelenkapsel befindet sich eine Wesenheit, die mir und Steinmeier durchaus glaubhaft machen konnte, dass sie Astrid Kirchner ist. Zusätzlich kennt diese Wesenheit ein paar Details meines Lebens und der Zukunft deutlich besser , als sie das eigentlich dürfte. Was liegt näher, als dass das die Kirchner ist, die jetzt quasi als umgekehrtes Medium für das Orakel funktioniert? Vielleicht ist auch das Orakel mit ihrem Geist vermischt - das macht aber doch am Ende keinen Unterschied!”
Verwirrung erstreckte sich über auf Bracks Gesicht. “Was? Worauf willst du hinaus?”

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