Fiedler
ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. “Denk mal nach - oder vielleicht
hast du es auch einfach nicht mitbekommen: Speziell an Unbehaun durfte
ich die Seelenkapsel nicht aushändigen. Wenn du dich erinnerst, stand in
meinem Vertrag, ich müsse die Geisterlady so behandeln, als wäre sie
Unbehaun selbst - das bezieht sich natürlich auch auf ihre Anweisungen.
Und ihre letzte Anweisungen an mich waren, dass ich erstens die Kapsel
nicht in die Hände von Unbehaun, Libra et Liber oder Mitternacht geraten
lassen durfte und zweitens alle weiteren Anweisungen von Unbehaun
nichtig waren. Da dein Ex-Chef den Vertrag nicht zuvor aufgehoben oder
verändert hatte, musste ich mich an ihr Gebot halten - ob ich nun wollte
oder nicht.”
Brack
grunzte unmütig, ließ Fiedler aber fortfahren. “Damit nicht genug
machte mir gerade Mitternachts bedrohlich intensives Interesse klar,
dass die Sache einen weiter reichenden machtpolitischen Hintergrund
haben musste. Eine Übergabe auf ‘gut Glück’ an eine andere Durnburger
Fraktion wäre damit zu einem riskanten russischen Roulette für mich und
mein Leben geworden. Was also tun?
Nachdem
ich hinreichend unbehelligt wieder zurück an die Oberfläche gekehrt war
und ein paar grundlegende politische Vorkehrungen zu meiner Absicherung
getroffen hatte, begann ich, mich mit dem Inhalt der Seelenkapsel zu
beschäftigen. Falls du jemals in die Lage kommen solltest - für euch
andere Menschen reicht es, das Metall des Dings zu berühren, um mit den
Seelen in der Kapsel in Gedanken zu sprechen. Für mich funktioniert das
nicht - ist ja schließlich Magie. Wäre auch zu einfach gewesen.”
Der Unterton von Bracks Worten war immer noch knurrig, aber wieder versöhnlicher. “Und wie hast du es angestellt?”
Fiedler sah ihn an. “Kennst du den Spiegel in meinem Büro?”
“Ich erinnere mich nicht daran, habe aber schon davon gehört. Eines von Uhlenbrocks ‘Fenstern zur Erkenntnis’, oder?”
“Nicht
ganz, aber so ähnlich. Jedenfalls kann ich im Spiegelbild der
Seelenkapsel deren Insassen sehen - und sogar mit ihnen reden. Falls du
also mal Bedarf hast, …”
Höflich
aber bestimmt winkte Brack ab. “Danke, aber die Verhörzimmer der Burg
haben ein paar ziemlich abgefahrende Einrichtungen dieser Art. Wenn,
dann vielleicht mal für den Privatgebrauch - und das habe ich eigentlich
nicht vor. Aber danke. Zurück zur Sache: Mit den ‘Insassen’ meinst du
die Kirchner und dieses Orakel?”
Verneinend
schüttelte Fiedler den Kopf. “Nein. Nicht das Orakel. Eigentlich ist es
doch naheliegend: Bevor Steinmeier - du weißt schon, Samedis Opfer -
starb, hat er schlauerweise noch die Kapsel geöffnet und steckt nun
selbst da drin.”
Mit
anerkennendem Kopfnicken entspannte Brack seine Haltung vollends und
sah wieder auf das graue Wasser der Elm hinaus. “Gibt seinen Körper auf,
um als gefangene Seele weiterzuleben. Ich hoffe, er hatte einen Plan.”
Einmal
mehr feixte Fiedler sein schief sarkastisches Grinsen. “Das mit dem
Plan will ich mal dahingestellt lassen. Zumindest falls es sein eigener
Plan sein sollte. Allerdings wirkte er … nicht wirklich unglücklich mit
seiner Lage. Wenn ich mich recht erinnere meinte er, er hätte jetzt
seine Bestimmung gefunden und würde sich nun ganz dem Schutz von Astrid
und der Kapsel widmen.” Er wurde wieder ernst. “Hast du dich schon mal
gefragt, warum ihr die Kapsel nicht bemerkt habt? Weder du noch Unbehaun
noch Mitternacht noch Samedi?”
Brack
runzelte nachdenklich die Stirn. “Stimmt eigentlich. Nein, habe ich
nicht. Dabei hatte Unbehaun mich gebeten, nach Behältern für Astrid
Kirchner oder ihren Geist Ausschau zu halten. Wahrscheinlich war ich zu
sehr mit ein paar aufdringlichen Nullnummern von Mitternacht und einem
mörderischen Loa beschäftigt.”
“Hmm. Das mag sein. Andererseits ist es Steinmeiers Gabe, das Interesse anderer von sich abzulenken.”
“Oh.” Brack schien zu verstehen und blickte Fiedler verdutzt an.
“Wie
genau das funktioniert, kann ich dir nicht sagen - aber ich war
zumindest einmal Zeuge, als er mit seiner Gabe Baron Samedi von sich
ablenkte, sich quasi aus dessen Gedächtnis löschte.”
“Scheint ja diesmal nicht geklappt zu haben.”
“Darüber
wollte er nicht sprechen. Jedenfalls bezieht sich seine Gabe jetzt auf
die Kapsel. Nur diejenigen, bei denen Steimeier es zulässt, können das
Ding sehen und wahrnehmen - selbst wenn es unmittelbar vor ihnen auf dem
Tisch liegt.”
Brack wirkte skeptisch. “Übertreibst du da nicht ein bisschen?”
“Nein,
nicht wirklich.” Fiedlers Kopfschütteln wirkte überzeugt. “Zu Lebzeiten
hätte er das nicht lange hingekriegt. Aber entweder liegt es daran,
dass er tot ist oder er kann irgendwie auf die Macht des Orakels
zugreifen oder so. Jedenfalls ist seine ‘du siehst mich - du hast mich
vergessen’ Nummer ziemlich beeindruckend geworden.”
“Ahm...” Bracks Augenbrauen zogen sich zusammen. “Hattest du nicht gesagt, das Orakel wäre gar nicht in der Kapsel, Fiedler?”
“Na
ja, nicht direkt - also nicht in Person. Aber Astrid Kirchner ist da
drin. Wie es aussieht, hat die Dame einen ziemlich direkten Draht zum
Orakel.” Er sah seinen Gegenüber etwas hilf- und sprachlos an, während
er um Worte rang. “Herrgott, Brack! Du weißt doch selbst, wie das mit
diesen mystischen Sachen ist! Es gibt kein Schwarz und kein Weiß und zu
jeder Regel immer eine Ausnahme - außer wenn es eben keine gibt. Zwing
mich bitte nicht schon wieder dazu, präziser zu werden, als ich es guten
Gewissens sein kann. In dieser Seelenkapsel befindet sich eine
Wesenheit, die mir und Steinmeier durchaus glaubhaft machen konnte, dass
sie Astrid Kirchner ist. Zusätzlich kennt diese Wesenheit ein paar
Details meines Lebens und der Zukunft deutlich besser , als sie das
eigentlich dürfte. Was liegt näher, als dass das die Kirchner ist, die
jetzt quasi als umgekehrtes Medium für das Orakel funktioniert?
Vielleicht ist auch das Orakel mit ihrem Geist vermischt - das macht
aber doch am Ende keinen Unterschied!”
Verwirrung erstreckte sich über auf Bracks Gesicht. “Was? Worauf willst du hinaus?”
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