1. Von der Brücke in den Fluss (4)


Die Existenz des Trolles war der Hauptgrund dafür, dass Finn diesen Ort sehr zu schätzen gelernt hatte. Nicht alle Brücken Durnburgs waren trollverseucht und so ziemlich alle Grenzgänger machten lieber den Umweg über die nahegelegene Wärtherbrücke (ohne Troll-Zoll) oder nahmen die U-Bahn, wenn sie die Elm überqueren wollten. Da Trolle offenbar dumm oder stur oder beides waren, blieb der Troll bei der Neuen Schlosserbrücke und hielt sie damit grenzgängerfrei - bis auf Finn.

Recht bald nach seinem Übertritt ins Grenzland hatte Finn festgestellt, dass - wenn er das wirklich wollte - nicht nur Normalmenschen ihn übersahen, sondern dass seine Anwesenheit auch von Wesen der Grenze ignoriert wurde. Sicher, man hatte ihn längst über die besonderen Fähigkeiten aufgeklärt, die scheinbar jeder Mensch an der Grenze entwickelte, aber dass gerade er als "Superkraft" offensichtlich eine Art Tarnkappe besaß empfand er dann doch als eher enttäuschend.

Mittlerweile hatte sich diese seine Gabe aber bereits in mehreren Fällen als sehr nützlich wenn nicht gar lebensrettend erwiesen und war wohl mit der Hauptgrund dafür, dass Finn weder in den finsteren Tiefen eines Trollmagens noch verblutend (oder schlimmeres) in der Gosse von Durnburgs altem Hafenviertel gelandet war. Zwar kostete ihn das Aufrechterhalten seiner Unauffälligkeit auf Dauer recht viel Kraft und Konzentration, jedoch reichte in den meisten Fällen ein kurzer Moment oder wenige Minuten aus. Der Brückentroll registrierte beispielsweise anscheinend nur das Betreten und Verlassen der Brücke, nicht aber den Aufenthalt darauf ...

In diesem Moment dämmerte es Finn, dass seit mindestens zwei Minuten ein Mann mit schwarzer Lederjacke und Hut vor ihm stand und ihn dreist grinsend anblickte. Während Finn noch damit kämpfte, sich vom Netz seiner Tagträume zu befreien, ordnete sein Gehirn dem feixenden Gesicht unter der von Regen tropfenden Hutkrempe einen Namen zu:
Fiedler.

Keine Kommentare: