2. Lady in Black (3)


Astrid Kirchner.
Vor Fiedlers geistigem Auge sah er sie leblos in einem Stuhl an einem billigen Holztisch hängen, dünne blutige Rinnsale aus Augen und Ohren. Mit ihr am Tisch vier Männer - einer erschrocken, einer fassungslos und zwei davon jenseits des Schleiers und völlig unbewusst der Tatsache, dass neben ihnen noch eine Tote und zwei weitere Menschen anwesend waren. Für ihn selbst war die Sache relativ uninteressant erschienen: Als Medium hatte Astrid Kirchner beruflich mit den Toten Kontakt aufgenommen, da konnte man ihr Ableben schon mal als Arbeitsunfall betrachten.

Über das Gesicht der Frau, die sich als Sina vorgestellt hatte, spielte ein unverholen spöttisches Lächeln. "Ein typisches Geborenenproblem, wenn Sie mich fragen."

"Warum engagieren Sie mich? Ich bevorzuge es, mit den Leuten zu reden, bevor sie tot sind. Wäre es nicht klüger, ein Medium oder einen Totenbeschwörer anzuheuern? Das wäre dann ja fast schon ein kleiner Kaffeeklatsch unter Kollegen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen und Ihrem Auftraggeber auch ein paar Verbindungen herstellen..." Fiedler lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

Das Lächeln verweilte auf dem Gesicht der Frau in Schwarz. "Dass Sie nicht die erste Wahl für diesen Auftrag sind, ist natürlich klar. Allerdings hatten die Versuche, die verstorbene Frau Kirchner medial zu kontaktieren bislang keinerlei Erfolg - jedesmal aus dem selben Grund: Offenbar ist sie nicht ganz so tot, wie sie sein sollte. Weil Sie aber der Fachmann sind - oder sollte ich besser Schnüffler sagen - der mit den Umständen ihres Todes am ehesten vertraut ist, geht der Job dann doch an Sie."

"Womit wollen sich denn die Leute, die Sie beschworen haben, meine Dienste leisten - oder sind Sie jetzt schon wieder gezwungen, mir zu drohen?" Fiedlers Hand schloss sich unauffällig fester um den Dolch unter seinem Stuhl, bereit ihn blitzschnell in Position zu bringen und seine magische Ladung auszulösen, sollte sie Anstalten machen, sich auf ihn stürzen.

Statt dessen hatte sie auf einmal einen neutralen braunen Umschlag in der Hand und legte ihn mit Nachdruck auf den Schreibtisch. "Ich soll Ihnen das hier geben und Ihnen Zeit lassen, sich von seiner Echtheit und Wirksamkeit zu überzeugen. ... Hmmm, wie lange können Sie wohl dafür brauchen?" Mit keineswegs echt wirkender Langeweile begann sie, ihre Fingernägel zu betrachten.

Misstrauisch nahm Fiedler den Brief mit der rechten Hand, zog langsam und vorsichtig den Dolch unter dem Stuhl hervor und versuchte so zu tun, als hätte er ihn aus einer Ablage im Schreibtisch genommen und ihn nicht stets bereit gehabt. Wenn Sina etwas davon gemerkt haben sollte, so ließ sie es sich aber nicht anmerken - aber bei Beschworenen wusste man nie, woran man war.

Ein kurzer Schnitt längs des Umschlangs offenbarte einen weiteres Kuvert darin, diesmal aus cremefarbenem festem Papier und mit einem Siegel verschlossen. Mit fachkundigem Blick erkannte Fiedler das Siegel sofort: Einige Händler auf dem Schattenmarkt verkauften gelegentlich solche Siegel zu horrenden Preisen als magische Sicherung für geheime Dokumente. Brachte man sie auf einem Brief oder ähnlichem an und sprach dabei den Namen des gewünschten Empfängers aus, aktivierte sich ein Zauber, der das Dokument sofort spektakulär in Flammen aufgehen ließ, wenn irgendjemand anderes versuchte, den Umschlag zu öffnen - sei es über das Siegel oder sonstwie. Ein beträchtlicher Aufwand, um eine Bezahlung zu sichern.

Für einem Moment zögerte Fiedler, während er die verschiedenen Möglichkeiten abwog: Entweder war er der unmittelbare Adressat des Umschlags (nicht unwahrscheinlich in Anbetracht der Umstände) oder aber irgend jemand hatte erstaunlichen Aufwand betrieben, um ihm auf umständliche und unzuverlässige Art und Weise Schaden zuzufügen ...

Ach was, sei 's drum. Erstens wäre er schon längst verschimmelt und vertrocknet, wenn er solche Risiken nicht eingehen würde und zweitens - seit wann hatte er denn Angst vor Magie? Respekt - ja, aber Angst - nein! Schließlich gehörte er zu den wenigen, deren besondere Gabe es war, von den direkten Auswirkungen magischer Effekte wie Flüche, Bezauberungen und ähnlichen Freundlichkeiten in keinster Weise betroffen zu sein. Praktisch? Ja, sicher, so lange man keine Schutz- oder Heilmagie benötigt.

Aber darum ging es gerade nicht. Jetzt schrie ein magische versiegelter Umschlag unklarer Herkunft danach, mit gegebenem Respekt geöffnet zu werden (genauer gesagt schrie Fiedlers eigene Neugier danach, den Brief zu öffnen, aber eingestehen wollte er sich das nicht).

Mit einer geübten Geste wandte er den Dolch in der Hand, so dass die Klinge nach hinten zeigte und ihn nicht behinderte. Dann fasste er mit den Fingern beider Hände nach dem Siegel, fühlte kurz dessen kühle, spröde Konsistenz und brach es dann in einer kontrollierten Bewegung in zwei Hälften.

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