24. Auf ein Andermal (5)

Ohne sie auszusprechen war Fiedlers Gesichtsausdruck eine drängende Aufforderung an Brack, der nach kurzer Bedenkzeit abwiegelnd die Arme ausbreitete. “Über solche Sachen hat Unbehaun nie mit mir gesprochen, Fiedler. Wenn du mich aber nach meiner Meinung fragst - seit ich ihm ihr Verschwinden mitgeteilt habe, hat er die Geisterlady nicht mit einem einzigen Wort erwähnt. Ich meine - er betrachtet Beschworene doch schon immer eher als Werkzeug und nicht als Person. Rache an einem Werkzeug wird er wahrscheinlich nicht üben. Als Beschwörer deines Geistermädchens würde ich mich allerdings auf ordentlich Ärger gefasst machen, in welcher Form auch immer.”
Mit immer noch etwas verkniffenem Gesicht wandte sich Brack wieder zum Geländer und schaute auf das Wasser der Elm hinaus; doch Fiedler hatte nicht die Absicht weiter zu erzählen, lehnte sich neben Brack an die glänzenden Metallstangen und schwieg. Irgendwann wurde die Pause zu lang als dass selbst Brack sie ignorieren konnte. Ein tonloses trockenes Lachen drang aus seiner Kehle. “Ist klar, Fiedler. Du kriegst deinen Teil der Abmachung. Vergiss aber meine zweite Frage nicht.” Er nahm einen letzten langen Zug aus seinem Kaffeebecher, bevor er das leere Pappe- und Plastikgefäß zielsicher an einem unbeteiligten Passanten vorbei in den nahen runden metallenen Abfalleimer warf. Dann streckte er sich gelassen, lehnte sich diesmal rücklings an einen Pfosten des Geländers und verschränkte mit gespielt erheitertem Gesichtsausdruck die Arme.
“Hatte ich schon gesagt, dass Politik so gar nicht mein Ding ist?” dozierte er. “Dementsprechend bin ich normalerweise nicht besonders traurig darüber, dass ich von den ganzen Debatten, Diskussionen und ähnlichem Geschwätz der Hohen Herrschaften von Libra et Liber als ‘Fußvolk’ prinzipiell ausgeschlossen bin. Was soll ich da auch? Hinter Unbehauns Stuhl stehen und böse dreinschauen, wenn ihm jemand ins Wort fällt? Das kann er selber gut genug. Außerdem brauche ich auch keine Angst zu haben, dass ich nicht mitbekomme, was da hinter verschlossenen Türen geredet wird. Irgendein Handlanger aus der Truppe kriegt immer Wind davon und kippt die Information in die Gerüchteküche des Bundes. Natürlich ist es nicht immer leicht, Wahrheit und Müll zu trennen, aber nach ein paar Jahren hat man den Dreh raus.
Die Sache mit der Geisterlady hat auch hinter verschlossenen Türen angefangen und zwar ziemlich langweilig: Wie du weißt, hat zwar jeder anerkannte Bund einen Sitz im Rat von Durnburg, aber nur wer einen der Hohen Sitze besetzt, darf auch mit abstimmen und nicht nur Themen vorschlagen. Traditionell würde Unbehauns Libra et Liber den Amtsinhaber für den Hohen Sitz des Sehers stellen - jedenfalls bis Anfang des Jahres der amtierende Seher starb und es bei Libra et Liber keinen geeignet begabten Nachfolger gab. Wie es in der Schlangengrube der Durnburger Politik dann eben so ist, haben die anderen Bünde natürlich versucht, diese Gelegenheit für sich zu nutzen und den somit freiwerdenden Hohen Sitz für sich selbst abzugreifen.” Brack hob verächtlich die Augenbrauen bevor er fortsetzte: “Damit wäre Libra et Liber endgültig zu einem ‘kleinen Bund’ erklärt und müsste für alle Ratsentscheidungen einen der Sitzinhaber um Patenschaft bitten. Du kannst dir vorstellen, wie wenig diese Aussicht Unbehaun und den Herren Magiern gefiel.
In jedem Fall ist der alte Seher natürlich nicht gestorben, ohne dieses Problem … ahm … vorherzusehen.” Für einen Moment stolperte Brack über die Redundanz des Satzes, während Fiedler sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. “Klar eigentlich.”

1 Kommentar:

Stefan hat gesagt…

Jaja, der Moment, in dem man zusammenzuckt und ein paar Stränge sich zusammenfügen und Licht in die Frage nach dem "warum" bringen... :-)