12. Auf ab Wege (6)

"Verdammt, Steinmeier!" Trotz der körperlicher Anstrengung und misslicher Lage war Fiedlers Stimme randvoll mit Ärger, Schuldgefühl und Niedergeschlagenheit.

“Psst!... Da ist jemand im Schacht!” Sinas Stimme war leise aber eindringlich und sie wies, jetzt nur noch auf einen Arm gestützt mit einem behandschuhten Finger nach unten ins trübe Halbdunkel. "Bringen Sie doch mal Ihre neumodische Handfeuerwaffe in Stellung!"

Automatisch zuckte Fiedlers freie linke Hand in seine Lederjacke wobei er mit Adleraugen vergebens versuchte, das für ihn unsichtbare Ziel auszumachen. Dann hielt er abrupt inne, tastete hastig im Innenfutter und stieß ärgerlich zischend Luft aus. "Schlechte Nachrichten, meine Dame: ich seh' nicht das Geringste - aber das macht nichts, denn die Kanone liegt wohl unten im Schacht."

Doch Sina kauerte nicht mehr neben ihm. Statt dessen erklang von oberhalb der Türe aus dem Schatten hinter der Notfallleuchte ein nervenzermürbendes Kratzen wie von harten Krallen auf Metall. Harte Krallen? Dass die Dame ihre Gestalt wandeln konnte, war klar gewesen - und wahrscheinlich versuchte sie, den Trick aus der Aufzugskabine zu wiederholen. Eine verletzliche Stelle in der Mechanik suchen, die Vorrichtung zerstören, die Türe öffnen. Beschworene hatten oft eine sehr beschränkte Zahl von Strategien, um mit Technik umzugehen. Irgendwie zweifelte Fiedler daran, dass Sina diesmal erfolgreich sein würde.

Der taktisch denkende Teil seines Gehirns gab ihrem Vorhaben Recht: Ihre Gegner hatten souverän einen Kampf begonnen. Sie hatten mindestens einen Magiebegabten auf ihrer Seite, der Flüche aussprechen konnte und vor dem Sina zumindest Respekt hatte. Wahrscheinlich waren sie ihnen auch noch überlegen, was Anzahl und Kampfkraft anging. Es galt also, eine Konfrontation zu vermeiden - indem man beispielsweise eine Türe nach draußen öffnet. Nur wie?

In diesem Moment, tauchte eine mögliche Antwort auf Fiedlers Frage auf. Genauer gesagt krabbelte sie auf sechs segmentierten mattsilbernen Beinen, kleine kratzende Geräusche erzeugend, von unten auf den metallbeschlagenen Sims neben Fiedlers Füßen. Mit nervös witternden Fühlerantennen, zuckenden Mundwerkzeugen und latent aggressiver Haltung ihres armlangen insektoiden Eisen- und Bronzekörpers starrte Giorgios mechanische Schabe den instinktiv um seine Beine und Weichteile fürchtenden Detektiv aus funkenglimmenden Facettenaugen an.

Aus früheren Begegnungen wusste Fiedler, dass Giorgios Helferkreaturen ein gewisses Händchen - ein gewisses Mandibelchen - für einfache Mechanismen wie beispielsweise eine Aufzugtüre hatten. Aber wie überzeugte man eine Metallschabe einem zu helfen? Weiter unten im Aufzugsschacht verdeutlichte ein dumpfes Rumpeln, dass der von Sina wahrgenommene Verfolger durchaus real war und wahrscheinlich stetig näher kam. Das Metallinsekt ruckte hin und her. Keine Zeit für zweite Versuche - also die Ruhe bewahren und bei den grundlegenden Gesetzen der Grenze bleiben.

"Hallo ... Mildred." Fiedler begann unsicher, wog ab, ob er auf eine Reaktion warten sollte, fuhr dann aber fort. "Ich bin Giorgios Freund und will dir keinen Schaden zufügen.” Beide Fächerfühler waren nun auf ihn gerichtet. Zumindest die Aufmerksamkeit des … Tieres war ihm offenbar sicher. “Hast du die Seelenkapsel an Finn Steinmeier übergeben?" Die Fühler der Schabe bewegten sich kurz auf und ab. War das ein 'Ja'? Fiedler beschloss mit dieser Annahme weiterzumachen. "Giorgio hat mir die Kapsel zugesagt. Hilf uns, den Handel zu Ende zu bringen und den Pakt zu erfüllen. Ich brauche die Kapsel." Erneut bewegten sich die Fühler auf und ab, während über der Türe das Kratzen abrupt endete und durch Knistern und Knacken von mehr und mehr verbogenem und gespanntem Metall ersetzt wurde. Fiedler atmete durch und unterdrückte den Impuls sich umzudrehen. "Ich bitte dich, Mildred, öffne uns die Türe, bevor meine Partnerin dort oben unnötig Schaden anrichtet."

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