12. Auf ab Wege (5)

Auch Fiedler fiel, als der gerade erst fest gewordene Halt des Kabinendachs unter ihm wegbrach - jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Harte Klauen packten ihn von hinten wie ein Greifvogel seine Beute, schlossen sich gnadenlos um und durch seine Kleidung und brachten seinen Sturz über dem rasend tiefer klaffenden Abgrund zu einem abrupten Halt. Gleich der Füllung eines nassen Sacks wurde Fiedlers haltlos fallender Körper von Mantel und Gürtel zurückgerissen. Sein Kopf ruckte nach vorne und die Erschütterung raubte ihm so ziemlich jegliche Sinne und Kontrolle.

"Steinmeier, dieser Sturkopf! - ... und die Seelenkapsel!" Die Worte schmeckten nach Blut und Fiedlers Zunge schmerzte und pochte.

Hilflos über dem Schacht taumelnd musste er mit ansehen, wie eine wichtige Person und ein unschätzbares Gut in Dunkelheit und Tiefe verschwanden. Ein rasch abklingender Schrei drang dünn durch das Rauschen von Fiedlers eigenem Blut in seinen Ohren. Steinmeier. Ihm selbst war auch nach Schreien zumute, doch dafür reichte die Luft in seinen Lungen gerade nicht aus.

Über ihm schimpfte es rauh in Sinas seltsamer Sprache und die Stahlklaue in Fiedlers Rücken zerrte ihn rasch und kraftvoll in rhythmischen Hüben nach oben. Offenbar kletterte sie an einem Kabel oder Seil nach oben, denn auf jeden Hub setzte sogleich eine ausgleichende Pendelbewegung ein. Jede Regung seinerseits würde ihr wohl den Aufstieg erschweren, daher zog es Fiedler vor, dem Ruf seines schmerzenden Körpers zu folgen und zunächst einmal still zu halten. Den Blick zwangsweise nach unten gerichtet, blieb seine Aufmerksamkeit fest auf die rasch kleiner werdende Aufzugskabine konzentriert. Irgendwann musste sie Giorgios Stockwerk passieren - und irgendwo musste der Dreckskerl stecken, der für den Absturz verantwortlich war...

Wie mit einem Schalter angeknipst glomm dreißig Meter unter dem baumelnden Fiedler ein trübes Rechteck in der Schachtwand auf: die offen stehende Türe zu Giorgios Spielhalle. Jetzt blieben nur Sekundenbruchteile, bis sich diejenigen, die den Aufzug "abgeschossen" hatten, sie unmittelbar ins Blickfeld bekommen und ihr begonnenes Werk vollenden konnten.

Sina schien das ähnlich zu sehen, denn das Schwingen des Stahltaus, an dem sie mit Fiedler hing, gewann an Fahrt und beschleunigte zu einer der Wände hin, hinein in die schützende doch nur eine Handbreit tiefe Nische einer geschlossenen Ausgangstüre. Schmieriger feuchtkalter Beton und staubig glatte Metallarmierungen versuchten sich Fiedlers reflexartig zupackenden Händen zu entziehen, bis sich die Finger seiner Rechten mit aller Kraft um einen korrodierten aber sich als fest genug erweisenden Stahlbügel schlossen, der in Hüfthöhe aus der Schachtwand ragte. Körper und Gesicht so eng wie möglich an die säuerlich nach altem Bauwerk riechende Wand gepresst gelang es ihm, seine horizontale und vertikale Position zu fixieren. Neben ihm hatte sah er Sina als wohldefinierten dunklen Umriss im Schatten der unzulänglichen Notfallbeleuchtung, wie sie mit zirkusreifer Eleganz und Mühelosigkeit ausgestreckt entlang des schmalen Grats unter der Türe lehnte, seitlich gestützt auf ihre Füße und ausgestreckten Arme, scheinbar in perfekter Balance ohne sich festzuhalten. Vom Abgrund vor sich völlig unberührt registrierte sie nebensächlich mit knappem Nicken den Erfolg von Fiedlers Bemühungen, während sie mit leicht nach vorne geneigtem Kopf nach unten in die Dunkelheit spähte.

Ein dumpf metallisch krachendes Geräusch drang zu Fiedler empor, dann eine leichte Druckwelle, die den Schacht hinaufwallte - dann Ruhe. Der Aufzug war unten aufgeschlagen.

1 Kommentar:

Katrin hat gesagt…

Armer Steinmeier - ob der noch ne Chance hat?!