14. Umgekehrt (1)


Endlich hatten sich Fiedlers Augen an die von versiegendem fahlgrünem Notlicht bestenfalls unzureichend aufgehellte Umgebung gewöhnt und die Tatsachen hinter den vormals vage erahnbaren Schatten wurden erkennbar. Er stand wenige Schritte vor der immer noch geöffneten Aufzugstür in einem gut zehn Meter durchmessenden Raum, von dem aus mehrere breite Gänge eine derzeit nicht vorhandene Menschenmenge in andere Teile des Gebäudes kanalisieren sollten. Entlang der Wand des ansonsten leeren Raumes reihten sich eine Passfotobude, Getränke-, Zigaretten- und Süßwarenautomaten neben leeren verstaubten Prospektständern. Weiter hinten schließlich lud im Dämmerlicht eine recht große Gruppe unwirklich bunter Plastikelefanten und sonstiger Tiere die Kinder zum Reiten und die Eltern zum Bezahlen ein. Offenbar handelte es sich hier um eine Aufenthaltshalle oder Passage in einem großen Kauf- oder Parkhaus: langweilig, generisch aber arm an Gefahren und reich an Fluchtwegen.

War das überhaupt noch das gleiche Gebäude, in dem sie die wandernde Spielhölle betreten hatten? Warum war Giorgio dieses Stockwerk noch nicht einmal eine Erwähnung wert? Weshalb statt dessen die Empfehlung von Metropolis als Fluchtroute? Stirnrunzelnd realisierte Fiedler, dass die altbacken wirkende Kassettendecke in fünf oder sechs Meter Höhe über ihm hing. Unmöglich, dass die Aufzugstüre des 13. Stockwerks, deren Anblick und Position er von den Ereignissen im Liftschacht noch bestens im Gedächtnis hatte, in diesen Raum münden konnte. Das waren schlechte Aussichten für seinen Plan B, den 13. Stock und damit den Fluchtweg nach Metropolis über das pflichtgemäß mit einem grün glimmenden Notausgangsschild gekennzeichneten Treppenhaus an der gegenüberliegenden Seite der Halle zu erreichen.

Zeit also für Plan C: zurück durch den Aufzugsschacht - wären da nur nicht ihre Verfolger. Wer auch immer sie waren, bisher hatten sie einiges an Hartnäckigkeit aber auch an Kompetenz bewiesen. Zunächst hatten sie sie aufgespürt. Dann hatten sie Giorgios Spielhölle passiert und offensichtlich hatten sie irgend jemand oder etwas dabei, das einen verdammten Aufzug und alle seine Normalosicherheit kaputtfluchen konnte. Zu alledem waren sie eiskalt dazu bereit gewesen, Ihn, Sina und Steinmeier über die Klinge springen zu lassen. (Verdammt, Steinmeier!)

Letztendlich hatte die Verfolgergruppe ihre Möglichkeiten bislang noch nie überschätzt und es war anzunehmen, dass sich das für die aktuelle Situation nicht geändert hatte. Wenn also einer oder mehrere von ihnen Sina und ihn verfolgten, dann war das wahrscheinlich ein kalkuliertes und annehmbares Risiko. Damit Plan C überhaupt machbar wurde, war er daher gezwungen, unkalkulierbar zu werden und die Verfolger abzuhängen oder sie zu überwältigen. Nur wie?

Gerade war Fiedler dabei, auch diesen Plan zu verwerfen und doch lieber entgegen Giorgios impliziter Warnung eine Flucht durch dieses Stockwerk zu überlegen, da riss ihn ein eigentlich beiläufig wahrgenommenes Detail aus seinen Gedanken. Abrupt blieb er blieb stehen und stutzte. Wotans Wanst! Einer der mechanischen Sockel bei den Plastikreittieren war leer. Fiedlers Haltung spannte sich an und seine linke Hand rutschte reflexartig an den Griff des Dolches in der dezent mattschwarzen Lederscheide an seinem Gürtel. Rasch verschaffte er sich einen Überblick über die taktische Situation: Sina kauerte neben ihm an der offenen Aufzugstüre und harrte argwöhnisch und kampfbereit etwaiger Verfolger und Mildred, die mechanische Schabe, tippelte fühlerwedelnd zwischen den Verkaufsautomaten hin und her. Ansonsten war keine Bewegung zu erkennen. Noch nicht.

Mit einer wohlgewählten Mischung aus Eile und Umsicht setzte sich Fiedler leise und zügig in Bewegung hin zu der im grünlichen Halbdunkel verborgenen Kunststofftiergruppe und zischte einen tonlosen Fluch. So laut wie eben nötig und ohne sich von seinem anvisierten Ziel abzuwenden, wandte er sich an seine Begleiterin. “Ohne Sie zu sehr aus dem Konzept bringen zu wollen, Lady, - wir sollten uns nicht zu sehr auf die Gefahr aus dem Aufzugsschacht konzentrieren.”

2 Kommentare:

Katrin hat gesagt…

Bei dir lauern die Gefahren aber auch überall.... nie ist man sicher!!!

Bernhard hat gesagt…

Har har!