15. Zurückgekehrt (1)

Die Atmosphäre unten im Schacht war eines günstig produzierten Horrorfilms würdig. Von oben sickerte eine Spur trübes Restlicht herab, das gerade ausreichte, um den nach dem Aufzugsabsturz ihres Zwecks beraubten, schlaff von den Wänden hängenden Liftkabeln den Anschein grotesk langer lebloser Würmer zu verleihen. Nach einem kräftezehrenden und zermürbend langen Abstieg setzte Fiedler endlich einen Fuß auf das schiefe und von einem Knäuel heruntergestürzter Zugkabel übersäte Metalldach des abgestürzten Aufzugs am Grund des Schachts. Die sich Stockwerk um Stockwerk nach unten erstreckende Reihe von Metallbügeln der Wartungsleiter war im Dunkeln schon lange für Fiedler nur noch mit ausgelaugten Händen und Füßen zu ertasten gewesen. Nicht nur seine Kletterpartie, nein auch seine Laune war an ihrem Tiefpunkt angekommen, als er sich schwer atmend mit grimmiger Miene auf eine Seilrolle setzte, die er zuvor im unsteten Lichtkegel seiner Taschenlampe als hinreichend harmlos befunden hatte.

Welches Ärgernis nun den maßgeblichen Ausschlag für seine finstere Stimmung gegeben hatte, konnte er nicht eindeutig zuordnen. War es der Umstand, dass er gerade 15 geschlossene Aufzugstüren beim Klettern in Abwärtsrichtung passiert hatte, von denen keine einen ausreichenden Halt oder breiten Sims für eine dringend notwendige Pause geboten hätte? Lag der Grund darin, dass auch die Türe zu Giorgios Spielhalle fest geschlossen war und geschlossen blieb - auch nach heftigem Klopfen und Rufen? Lag es an dem immer wieder unterdrückten Vorwurf an sich selbst, dass er es gewesen war, der Steinmeier in die Sache hineingezogen hatte? Mit Sicherheit hatte jedoch dazu beigetragen, dass Sina, die beschworene, mächtige, ach-so-starke Sina, sich erst in Katzenform zwölf Stockwerke auf seiner sterblichen schwitzenden Schulter ausruhen musste, nur um sich kurz darauf zu recken und mit einem knappen “Ich geh’ dann mal voraus! Sie können ja irgendwann nachkommen” hinunter in die Dunkelheit zu springen.

Seinen Verpflichtungen treu war er die verbleibenden Meter in die Tiefe geklettert, die nach Salz und Eisen schmeckende Maglite mangels freier Hand zwischen die gebleckten Zähne geklemmt. Innerlich aber hatte er gekocht vor Wut. Offenbar war das alles hier doch ganz einfach - jedenfalls wenn man eine nichtstoffliche Schnalle war! Gehörte es zu Unbehauns Auftrag an seine Begleiterin, ihn gelegentlich vorzuführen oder dezent zu demütigen? In jedem Fall musste Fiedler sich erst einmal wieder in den Griff kriegen und wieder professionell denken können, bevor er Sina erneut entgegentreten wollte. Er streckte und ballte die Hände, um seinen schmerzenden Unterarmmuskeln wieder etwas Leben einzuhauchen.

“Hey, Fiedler, wenn Sie ihre kleine Verschnaufpause da oben beendet haben, kommen Sie doch mal hier rein!” Sinas Stimme klang blechern durch die teilweise von den Aufzugstrossen verdeckte Deckenluke der abgestürzten Kabine. Fiedler schnaubte etwas verächtlich. Offenbar sollte er nicht zur Ruhe kommen dürfen. Der nächste Satz aber ließ ihn aufhorchen: “Ich habe Steinmeier gefunden - und so ganz tot ist er scheinbar noch nicht.”

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