15. Zurückgekehrt (4)

Zumindest sein Verhältnis zu Sina war durch Unbehauns “zweifelsfrei echten” Brief klar geregelt. Er sollte sie behandeln, wie er mit Unbehaun selbst als Auftraggeber umgehen würde, so viel war klar. Aus diesem Grund hatte er es sich bislang ja auch mühsam die Frage verkniffen, was denn Unbehaun mit der wiedergekehrten Astrid Kirchner vorhaben mochte. Als Magiefähiger mit einer Meisterschaft in Beherrschungszaubern hatte er wohl kaum Bedarf an einem Medium, wenn er einen Geist rufen wollte.

Einmal mehr wurde Fiedler durch ein soeben wahrgenommenes Detail aus seinen Gedanken geholt. Eine vertraute kantige Silhouette lag am dämmrigen Rand des Lichtkreises der von der zu Boden zeigenden Maglite ausging. Dort, keine zwei Handbreit vom klaffenden Spalt zwischen Kabinendach und dem schimmelbefleckten, feuchtgrauen Beton der Schachtwand, lag seine treue Smith & Wesson "Chiefs Special", die ihm beim Absturz zuvor aus dem Halfter gerutscht war. Ohne aufzustehen beugte er sich zur Seite, streckte sich, bis er die Waffe erreichen konnte, und nahm diese behutsam in die Hand. Der kompakte schwarze Revolver war durch den Sturz etwas in Mitleidenschaft gezogen: Sein kurzer stämmiger Lauf hatte eine Schramme davongetragen und die  Trommel hing mit gebrochener Fixierung lose an der Seite. Einige der fehlenden Patronen lagen weit verstreut am Boden. In diesem Zustand war der Revolver nicht zu gebrauchen - nun ja, kein Wunder bei einer Fallhöhe über ein Dutzend Stockwerke. Mit einem Anflug von Sentimentalität steckte Fiedler das Wrack der Smith & Wesson ein und wollte gerade weiter über die Grundzüge seines weiteren Vorgehens grübeln, als hohl und gedämpft Sinas Stimme seinen Namen rief.

“Herr Fiedler? Sie können Ihre kleine Pause da oben beenden und hereinkommen. Ich nehme an, Herr Steinmeier würde sich freuen, wenn ihn eine bekannte Stimme wieder im Leben begrüßt!” So zügig es ihm das tückische Terrain erlaubte, stand Fiedler auf und setzte sich in Bewegung in Richtung der Dachluke. “Wenn ich auch kaum als Pfadfinder durchgehe, bin ich natürlich allzeit bereit und sofort zur Stelle.”

An der Luke angekommen ging er in die Hocke und leuchtete vorsichtig mit der Taschenlampe in die Kabine, diesmal darauf bedacht, niemandem zu blenden. Vieles an der Szenerie, die sich im Lichtkegel darbot, war unverändert, jedoch fehlte der zuvor den PVC-Boden beherrschende Blutfleck. In Mitte des durch die eingedrückten Wände und Deckenplatten noch enger wirkenden Raumes, beinahe unmittelbar unter der Luke, lag Finn Steinmeier mit freiem Oberkörper in entspannter Haltung auf dem Rücken, die Arme und Beine leicht seitlich gespreizt und schien zu schlafen. Hatte seine Erscheinung zuletzt noch dem Tod näher gewirkt als dem Leben, so war nun keine Spur mehr von Verletzungen oder Blut zu sehen. Es mochte das unstete Licht der Taschenlampe sein, aber es erschien Fiedler, als höbe und senke sich Steinmeiers Brust mit ruhigen, tiefen Atemzügen.

"Geben Sie acht, dass Sie nicht auf unsere schlafende Prinzessin Nurunnihar treten, wenn Sie runterklettern!" Erst als er dem Klang von Sinas Stimme folgte, konnte Fiedler ihre Silhouette im Schatten einer Kabinenecke an einem noch relativ geraden Teil der Wand nahe der Tür lehnend ausmachen. Täuschte er sich oder wirkte die Beschworene erschöpft? Die Taschenlampe rasch in einen Spalt neben der ramponierten Deckenluke geklemmt, kletterte Fiedler durch die Luke und ließ sich so elegant wie möglich neben Finn auf den Kabinenboden herab.

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