15. Zurückgekehrt (5)

"Respekt, meine Dame, unser Herr Steinmeier sieht wieder richtig frisch aus!" Auch aus der Nähe wirkte der Schlafende am Boden gesund, wenngleich nicht munter. Beeindruckt wandte sich Fiedler zu der immer noch im Schatten verbleibenden Sina um und seine Miene wurde ernst. "Darf ich Sie nach dem Preis Ihres kleinen Wunders fragen - oder ist das zu privat?"

Aus dem Schatten winkte Sina entschlossen ab. "Kein Preis, den Sie zahlen müssten. Die Sache geht allenfalls mich und meinen Auftraggeber etwas an. Los, jetzt küssen Sie schon unsere Prinzessin wach! Ich will mich hier nicht häuslich einrichten müssen." Täuschte er sich, oder wirkte die Stimme der Beschworenen ein wenig matt und müde unter dem gewohnten rauen Klang?

Seine früheren Begegnungen mit dem Tod und der Magie in dessen Dunstkreis ließ Fiedler nachhaken: "Nur um sicher zu gehen: Sie sagen, ich soll ihn jetzt einfach so aufwecken und er ist wieder körperlich und geistig so intakt wie zuvor? Muss ich damit rechnen, dass er mich in irgendeiner Weise angreift - vielleicht um mein Blut zu trinken oder so? Sind irgendwelche Reaktionen zu erwarten? Gibt es etwas, das ich beachten muss, wenn mir meine und seine körperliche, geistige und seelische Gesundheit wichtig sind?"

Ohne ihr Gesicht zu sehen, erkannte Fiedler an Sinas Tonfall, dass sie gerade ihre Augen verdrehte. "Mein lieber Herr Fiedler, ich schätze Ihre wohl aus Versuch und Irrtum erwachsene Erfahrung sowie Ihren professionellen Argwohn. Gleichzeitig versichere ich Ihnen, dass Sie sich durch das Aufwecken von Finn Steinmeier keiner unmittelbaren Gefahr aussetzen, die von den bei Menschen üblichen möglichen Überreaktionen eines aus dem Tiefschlaf gerissenen abweicht. Wahrscheinlich ist es sogar gefährlicher, wenn Sie meine Geduld mit Ihrem unnötigen Zaudern weiterhin unnötig strapazieren!"

"Dann gestatten Sie mir eine letzte Frage." Fiedlers Blick bohrte sich in den Schatten, hinter dem sich Sinas Augen verbargen. "Warum wecken Sie ihn nicht selbst?"

Sina seufzte und als sie nach einigen Atemzügen antwortete hatte ihre Stimme vieles an Härte verloren. "Weil ich es nicht kann. Weil Sie es tun müssen. Ich habe seinen Körper wieder instand gesetzt und damit das Lager für seinen Geist bereitet. Grundsätzlich ist aber eine Grenze dieses Zaubers, dass die Seele nur von einem Sterblichen in dieses Lager zurückgerufen werden kann." Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr: "Verstehen Sie nun das Problem? Nun hören Sie bitte auf, Maulaffen feil zu halten, Herr Detektiv und holen Sie unseren roten Faden Steinmeier zurück!"

Etwas skeptisch wandte sich Fiedler wieder zu Finns immer noch ruhig atmend, in tiefem Schlaf liegenden Körper zu. Was Sina sagte, klang plausibel. Gerade bei den Formen der Magie, wie sie Beschworenen, Feenwesen oder Geistern zur Verfügung standen, waren Einschränkungen nicht unüblich, wenn es um menschliche Seelen ging. Im Grunde wollte er Steinmeier jetzt auf keinen Fall erneut verlieren - und einem Ebenezer Unbehaun hätte er diese Erklärung abgenommen. Seine Zweifel letztendlich überwindend, streckte Fiedler die Hand aus und fasste Steinmeier fest aber nicht grob an der Schulter. “Hey, Finn Steinmeier, wachen Sie auf! Schlafen können Sie noch genug, wenn Sie tot sind!”

Wenn Worte und Geste Steinmeiers Geist erreicht hatten, dann wollte dieser sich offenbar nicht darauf einlassen, denn die Augen des bis auf tiefe ruhige Atemzüge regungslos daliegenden Ex-Schauspielers blieben geschlossen. Fiedler rüttelte etwas heftiger an Finns Schulter. “Hey, Steinmeier! Aufstehen!” Immer noch kam keine Reaktion. Er wandte sich mit fragendem Blick in Richtung der immer noch im Schatten bei der Tür verweilenden Sina. “Sind Sie sicher, dass ich als Wecker geeignet bin? Sollte da nicht jemand ran, der mehr ... Magie zulässt als ich?”

“Machen Sie sich mal keine Sorgen. Sie machen Ihre Aufgabe großartig. Um Finn zu erwecken ist keine magische Begabung nötig, der Besitz einer menschlichen Seele sollte reichen. Sie haben doch eine Seele oder?” Amüsement und Sarkasmus waren in Sinas Stimme zurückgekehrt. “Darüber hinaus, auch wenn Ihre seelenvollen aber eben sterblichen Augen es nicht erkennen, sieht es für mich so aus, als hätten Sie bereits Erfolg gehabt. Herr Steinmeier dürfte in ein paar wenigen Momenten wieder bei uns sein.”

Mit einer Mischung aus Erleichterung, Verwirrung und Ärger sah Fiedler zwischen Sina und dem schlafenden Steinmeier hin und her, doch bevor er selbst etwas entgegnen konnte, fuhr Sina fort - diesmal aber kalt und ohne jede Spur eines Scherzes. “Übrigens, Herr Fiedler, sollten Sie Ihre Erkenntnisse bezüglich der Identitäten und Loyalitäten unserer Verfolger tunlichst für sich behalten. Ihr Verhalten bisher war, wie erwartet, angemessen professionell und offensichtlich wissen Sie Ihren Pakt mit Herrn Unbehaun korrekt einzuhalten. Finn Steinmeier hingegen wirkt weniger gefestigt und ist dazu nicht unmittelbar an Ihren Auftrag gebunden. Er könnte zum Risiko werden, wenn er Fehleinschätzungen trifft und diese in Taten umsetzt. Beachten Sie bitte, dass dies von mir nicht nur ein Rat unter Weggefährten ist, sondern auch meine Forderung als Vertreterin von Herrn Unbehaun. Verstehen wir uns?”

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