15. Zurückgekehrt (3)

Von dem unerwarteten Wunsch etwas überrumpelt unterbrach Fiedler seine soeben begonnenen Bemühungen in die Kabine hinabzuklettern und zögerte einen Moment, bevor er nickte und die Taschenlampe zur Seite drehte. "Sie ... wollen also keine Unterstützung. Ich nehme an, dass Sie als Vertreterin meines Auftraggebers wissen, was Sie tun. Falls Sie mich doch brauchen sollten: ich bin hier oben. Wo auch sonst.” Er zwang ein gequältes Grinsen auf sein Gesicht. “Rufen Sie einfach, wenn Sie mich brauchen und ich löse Ihr Problem.”

Für einen Moment wurde Sinas grimmig entschlossener Ausdruck eine Spur weicher. “Keine Sorge, Herr Fiedler, Zombies und Wiederbelebungen mit Nebenwirkungen gehören nicht zu meinem Repertoire. Es geht nur darum, Finn Steinmeier wieder körperlich herzustellen - mehr werde ich nicht versuchen. Ach, und nehmen Sie doch bitte so lange das lästige Ding hier in Ihre Obhut! Es wäre mir im Weg und ich glaube, Sie haben dafür einen teuren Handel abgeschlossen.” Mit einem Schritt zur Mitte des Aufzugs und reckte sie die geschlossene linke Hand hoch zu Fiedler. Als sich die Faust öffnete, lag darin länglich oval und mattschwarz marmoriert, durchzogen von mattsilbernen Metallbändern und Mustern, Giorgios Seelenkapsel.

Unverzüglich hellte sich Fiedlers Miene ein wenig auf und zumindest das gezwungene Grinsen verschwand. “Ich danke Ihnen, Lady!” Aufgestützt auf die rechte Hand, die zudem noch die Taschenlampe umklammerte, beugte er sich tiefer nach unten in die Kabine und nahm das Artefakt entgegen. Während er die Kapsel in eine verschließbare Innenfuttertasche seiner Lederjacke verstaute, nahm er wahr, wie sich Sina unten an Steinmeiers Körper (es fiel schwer, nicht “Leiche” zu denken) zu schaffen machte und ihn mühelos aber behutsam zur Mitte der Kabine bewegte. Bedacht darauf, das gerade gegebene Wort nicht zu brechen, richtete er sich vorsichtig auf, drehte sich um und tastete mit dem Lichtschein seiner Lampe die Umgebung nach einer geeigneten Rückzugsmöglichkeit ab.

Naheliegenderweise fiel die Wahl für eine Ruhe- und Denkposition erneut auf die schon nach dem Abstieg als geeignet befundene Seilrolle. Tief aufatmend ließ sich Fiedler darauf nieder und stützte erschöpft die Ellenbogen auf den Beinen ab. Zurück zur Planungsphase. Zwar war Plan C, die Flucht zurück in den Aufzugsschacht durchaus erfolgreich gewesen, hatte aber in einer Sackgasse geendet. Wie also sollte er weiter vorgehen? Wenn Steinmeier tot war, blieb kein anderer Weg als einen Fehlschlag einzugestehen und auf eine zweite Chance zu hoffen. Sollte Sina aber tatsächlich den nicht-ganz-toten Steinmeier wieder so weit hinkriegen, dass dieser sein Gewicht selber tragen konnte, was wäre der nächste Schritt? Fiedler seufzte und vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Objektiv betrachtet war Finn gerade nicht seine Hauptsorge. Viel mehr Kopfzerbrechen bereitete ihm Lukas Brack als Anführer des Verfolgertrupps.

Sich auf die detektivische Kunst der Schlussfolgerung besinnend, ging er die Fakten durch: Die von Radewitz hatte Unbehauns Brief und Auftrag als echt bestätigt. Damit eingeschlossen war er, Alexander Fiedler, als Empfänger und Sina als Gesandte und Überbringerin des Briefes. Es konnte also als gesichert gelten, dass der Auftrag an sich nicht faul war. Von dieser Annahme ausgehend, was konnte dann eine von Brack angeführte Verfolgertruppe bedeuten? Hatte Brack die Seiten gewechselt und sich gegen seinen ehemaligen Dienstherren gewandt? Sicher, Unbehaun war kein besonders angenehmer Mensch aber sicherlich kein so übler Schurke, als dass er einen Lukas Brack gegen sich aufbringen würde - dafür war Brack viel zu loyal und leidensfähig. Andererseits konnte die Option nicht ganz ausgeschlossen werden. Was war die Alternative? Würde Unbehaun ein Verfolgerteam ansetzen, um Fiedler Druck zu machen oder ihn im Auge zu behalten? In diesem Fall machte es keinen Sinn, den Aufzug zum Absturz zu bringen und damit den Auftrag und ihrer aller Leben zu gefährden. War vielleicht nur das ein Unfall gewesen? Denkbar - und aktuell nicht nachprüfbar.

1 Kommentar:

Stefan hat gesagt…

Denkbar ja, lieber Herr Fiedler - aber doch reichlich unwahrscheinlich!
Ich bin gespannt, wohin ihn seine Gedankenspiele bringen - und wie richtig er dabei liegen wird!