17. Andere Anweisungen (2)

Ob sich diese spontane Entscheidung seines Schergen nun positiv oder negativ auf den Erfolg der gesamten Mission ausgewirkt hatte, war Brack allerdings nicht ganz klar: In dem Augenblick, in dem Irene Hasmann ohnmächtig in Beils fangbereiten Armen zusammensackte, war die magische Flipperkugel im Aufzugsschacht mit einem fiesen Geräusch zerborsten. Sekunden später stürzte ratternd und kreischend die Aufzugskabine ab. Diesmal war es Brack gelungen, rasch auf die neue Situation zu reagieren. Diesen Absturz würde wahrscheinlich niemand überlebt haben. Oben im Schacht jedoch waren ein in der Dunkelheit ein paar Gestalten zu erahnen gewesen: Zumindest ein Teil ihrer Zielpersonen hatte sich also aus dem Lift retten können.


Kurzerhand hatte er Beil mit der bewusstlosen, unberechenbaren und ihm zudem noch schutzbefohlenen Frau Hasmann zurück ins Hauptquartier geschickt, bevor er dann mit Mohrek in den Liftschacht gestiegen war. Die darauf folgende Kletterpartie an der rostigen Serviceleiter im Schacht hatte ihn einmal mehr vor Augen geführt, dass er auch nicht jünger wurde. Zum Teil mochte er es auf das Gewicht von Waffen und Rüstung schieben, doch dem bärenstarken und fast zwanzig Jahre jüngeren Mohrek war er nicht ansatzweise hinterhergekommen. Dazu war es wiederum sein eigener Fehler gewesen, Mohrek nicht zum Zusammenbleiben geordert zu haben. Natürlich war der Heißsporn vorausgestürmt, darauf bedacht, eigenhändig die Verfolgten einzuholen - und natürlich war er voll in die Falle gerannt.


Jedes Kind der Grenze wusste, was ein Einsiedler war - aber nur wenige Grenzer waren sich der physischen Bedrohung bewusst, die von einer Horde dieser Kreaturen ausgehen konnte, wenn sie ausgehungert und gleichzeitig nahezu unbeobachtet waren. In seiner Torheit und taktischen Unfähigkeit hatte Mohrek daher versucht, frontal zwischen den Plastikmonstern hindurchzubrechen und war übel zugerichtet worden, bevor Brack das Gemetzel mit den hartschaligen Gallertwesen für sich hatte entscheiden können. Die gute Nachricht dabei war natürlich, dass Mohrek überlebt hatte und sich hoffentlich sowohl körperlich als auch seelisch von seinen Wunden erholen würde. Damit blieb “nur noch” die schlechte Nachricht zu überbringen, dass sie bei der Verfolgungsjagd spektakulär versagt hatten. Die anderen hatten sie abgehängt und sie hatten mit dem von der Hasmann provozierten Aufzugsabsturz sogar riskiert, einen Grenzgänger aus einem anderen Bund zu töten - nach den Gesetzen des Durnburger Paktes ein schweres Vergehen!


Nach sieben Stockwerken Aufstieg im Marschtempo öffnete Brack schwer atmend und erhitzt die feuersichere Metall- und Glastür auf den Gang, an dessen Ende das Büro seines Chefs lag. Gleich würde die Gnadenfrist, die sein Fußmarsch bedeutete, vorbei sein. Gut so! Versteckspielen war nicht sein Ding. Brack zog es vor, sich als ‘Ehrenmann’ zu betrachten, der die Dinge stets so schnell wie möglich beim Namen nannte.


Verwirrend war aber, dass er eigentlich auch Alexander Fiedler als einen ‘Ehrenmann’ in Erinnerung hatte, was nicht so recht zu dessen Rolle in der ganzen Geschichte passte. Hatte nicht Unbehaun eine große Schuld bei Fiedler eingelöst, damit dieser den Auftrag für ihn übernahm? Wieso machte Fiedler dann gemeinsame Sache mit der Beschworenen, die Unbehauns Gesandte vernichtet hatte? Handelte er aus freien Stücken, um Unbehaun zu hintergehen? Wurde er gezwungen oder getäuscht? Nicht einmal auf diese Frage hatte Brack eine Antwort. Würde sein Versagen noch als adäquate Leistung für einen “Leitenden Schergen” durch gehen? Wohl kaum.

Im Zuge dieser Überlegungen verloren Bracks Schritte ihre Entschlossenheit und kamen schließlich zum Stillstand, keinen Meter vor der soliden Türe aus dunklem Holz, neben der auf einem schlichten cremeweißen Schild in nüchternen Buchstaben der Schriftzug “Ebenezer Unbehaun, Magister Princeps” stand. Brack rang mit sich selbst: War es wirklich eine gute Idee, jetzt dort anzuklopfen? Würde es nicht allen Beteiligten nutzen (oder weniger schaden), wenn er erst Bericht erstattete, nachdem er die Sache mit Fiedler und den vermaledeiten Geistern geklärt hatte? Was scherte sich ein Mann in Unbehauns Position um Zwischenergebnisse? Musste sein Vorsprechen jetzt nicht den Anschein erwecken, er wäre als “Oberscherge” der Aufgabe nicht gewachsen? Für einen Moment zögerte Brack. Dann schüttelte er knapp aber heftig den Kopf. Solche fadenscheinigen Ausflüchte und Entschuldigungen waren nur ein süßes Gift, das einen die schmerzhafte Wahrheit der eigenen Schwächen vergessen ließen! Sollten sich doch die anderen dieser Droge hingeben und den blassen Opiumtraum der Selbsttäuschung leben! Er hatte sich schon vor Jahrzehnten geschworen, auch unangenehmen Wahrheiten ins Gesicht zu sehen - so lange sie denn wahr waren.

1 Kommentar:

Stefan hat gesagt…

Fiedler wunderte sich über Bracks Gegenwart, und genauso wie Fiedler fragt sich Brack über die Loyalität seines Gegenübers. Und die Beschworene, die Unbehauns Gesandte vernichtet hatte...? Wir kommen der Wahrheit wieder mal ein kleines Stück näher :-)