19. Aus der Tiefe (1)

Kein halbes Dutzend Schritte hatte sich Steinmeier von den anderen entfernt, als sich die Dunkelheit wie dichter Nebel um ihn schloss. Er warf einen ungewollt verunsichert wirkenden Blick zurück über die Schulter und sah Fiedler und Sina hinter sich. Offenbar war die Beschworene Fiedlers sarkastischer Aufforderung nachgekommen und hatte für Licht gesorgt,  denn um ihre Haare tanzten nun gelb-blaue Flammen. Dabei wirkten die Umrisse der beiden ihm Nachsehenden seltsam undeutlich und diffus gezeichnet und von allen Seiten schienen schwarze wabernde Schatten in die Szene zu kriechen. In ein paar Schritten würden sie - würden sie von der Dunkelheit verschlungen werden.
So mutig wie möglich den Gedanken an eine Umkehr verwerfend wandte Finn seinen Blick wieder nach vorne, wo sein eigener Taschenlampenschein einen aussichtslosen Kampf gegen die auf ihn eindringende Finsternis führte. Würden die Vogelviecher auf Licht reagieren? Würden sie seine Taschenlampe wahrnehmen, obwohl sie ihn vergessen hatten? Nein, die Vögel würden ihn nicht bemerken. Auf solch abwegige Gedanken durfte er sich gar nicht erst einlassen - also schnell etwas anderes denken!
Unwillkürlich zwängte sich ein sarkastisches Lächeln in seine Mundwinkel. Offenbar war es sein Schicksal, düstere und gefährliche Orte alleine zu betreten. Er dachte an den gerade überstandenen Albtraum im Aufzugsschacht, während er weiter seine Schritte bedächtig und möglichst geradlinig zur Raumesmitte lenkte. Die tintenartige Schwärze, die ihn und sein kleines Licht mehr und mehr bedrängte, war völlig anders als die graubraun flirrende Dunkelheit seiner Nahtoderfahrung. Wenn er hier den Tod finden sollte - würde dann diese unnatürliche Finsternis dem grauen Wabern weichen?
Finn unterbrach seine Gedankenspiele und hielt inne, als jäh die dunkelbraun glänzende hölzerne Armlehne eines alten Kirchengestühls aus der Dunkelheit wie durch eine schwarze Wasseroberfläche in seinen Lichtkegel stieß. Das Ziel war nah und die Richtung stimmte auch fast. Innerlich machte er sich ein Kompliment für seinen Orientierungssinn. Dann versuchte er angestrengt, vor sich die Konturen der von Sina erwähnten Bankreihen auszumachen, doch die ölige Schwärze gab keines ihrer Geheimnisse preis. Dafür realisierte Steinmeier, dass das zuvor eher im Hintergrund wahrnehmbare Rauschen mittlerweile so weit angeschwollen war, dass es als eine Vielzahl leise zischender Flattergeräusche erkennbar wurde.

Erneut besann er sich darauf, dass die Vögel sich nicht um ihn scheren würden. Einmal mehr wog er die Risiken ab. Dann duckte er sich neben die so eben gefundene Bank, schaltete Fiedlers Taschenlampe aus und verstaute sie so gut es eben ging in seiner Jackentasche. Nein, die Biester sollten gar keine Gelegenheit haben, sein Licht zu bemerken und wenn möglich sollte ihn auch keines der Viecher versehentlich umbringen. Da bevorzugte er es doch, ein paar Meter würdelos durch die Dunkelheit zu krabbeln - zusehen konnte ihm hier immerhin keiner.

1 Kommentar:

Katrin hat gesagt…

Juhu, endlich gehts weiter!