20. Konfrontation (2)

“Hey!” Sinas Stimme klang empört und vorwurfsvoll aber ohne jede Spur von Schmerz, während sich Fiedler geduckt an der Wand aus dem Lichtkreis des Zaubers hinausmanövrierte. Unwillkürlich hatte dieser Angriff aus dem Hinterhalt seine zwar leicht angestaubten aber noch hinreichend funktionierenden Söldnerreflexe aktiviert: Wer in einer dunklen Umgebung im Licht stand, war ein leichtes Ziel. 'Lieber blind am Leben als tot im Licht.' Widerwillig grinsend musste er an den Lukas Brack denken, den er damals als Söldner in Thule kennengelernt hatte. Solche gereimten, trivialen aber trotzdem irgendwie treffenden Halbweisheiten zu jeder Situation waren dessen Markenzeichen als Weibel seines Haufens gewesen.
Aber damals war damals und jetzt war jetzt. Die Brücke zur Gegenwart schlagend fokussierte Fiedler seine Gedanken wieder auf das, was nun zählte: Wer griff sie gerade an? War es Bracks Leuten zuzutrauen, hier aus dem Dunkel zu attackieren? Denkbar - aber unwahrscheinlich: Brack war zwar ein erfahrener und gefährlicher Gegner, er folgte aber einem ungeschriebenen Ehrenkodex und würde nur im Ausnahmefall unangekündigt aus dem Hinterhalt angreifen.
Fiedler runzelte die Stirn. Angenommen, Sina würde tatsächlich gegen Unbehaun arbeiten, wäre sie für ihn bedrohlich genug, um eine solche Verzweiflungsaktion zu rechtfertigen? Möglich - aber ebenfalls unwahrscheinlich: Zuvor bei der Verfolgungsjagd im Aufzugsschacht hatte Brack einen nur mäßig kampfstarken und wohl eher unerfahrenen Mann vorgehen lassen. Hätten sie es auf eine Konfrontation ankommen lassen, wäre dieser Einzelkämpfer alleine Sina und ihm gegenüber gestanden. So lange Fiedler ihn kannte, hatte Brack immer auf seine Leute Acht gegeben und unnötiges Blutvergießen sowie Verluste vermieden (bei sich selbst machte er gelegentlich Ausnahmen). Einer übermächtigen Bedrohung durch Sina war sich Brack demnach wohl nicht bewusst. Also konnte seine Truppe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als Urheber dieses Hinterhalts ausgeschlossen werden und es handelte sich bei den aktuellen Angreifern um eine weitere Partei. Er seufzte zischend. Die Sache wurde nicht einfacher - aber zumindest nicht eintönig.

“Nun, Herr Fiedler!” Eine vertraute rauchige Stimme flüsterte unweit von seinem Ohr aus der Finsternis: Sina. “Lassen Sie uns ein wenig zusammenarbeiten - fürs Angiften bleibt uns sonst im schlimmsten Fall später so wenig Zeit übrig. Zur Sache: Sie sind zu fünft und haben eine Art magisch erweiterten Regenschirm, hinter dem sie sich bis eben verborgen hielten. Drei von ihnen haben die Deckung verlassen, laufen gerade nach links und rechts los und versuchen offenbar, Sie abzufangen. Am besten entkommen Sie denen wohl, indem Sie einfach stehen bleiben und die Jungs erst einmal ins Leere laufen lassen. Die Person mit dem Regenschirm kann ich nicht näher erkennen, sie bleibt abwartend weiter hinten im Raum, daneben eine junge Frau mit Bogen. Bisher hat die Schützin keine weiteren Anstalten gemacht, erneut zu schießen und ich würde vermuten, die sind gerade genau so blind wie Sie. Wenn Sie nun bitte so freundlich wären, diesen verfluchten Pfeil aus mir zu entfernen? Ich gelobe auch feierlich, Ihre Garderobe nicht mit irgendwelchen Körpersäften zu verschmutzen - so etwas müsste ich schließlich erst eigens manifestieren.”
Für einen Moment haderte Fiedler mit sich, bevor sein Sinn für Loyalität die Oberhand gewann, wenn auch begleitet von einer Prise verwunderten Sarkasmus. “Aber sicher doch, meine Verbündetste! Gestatten Sie mir allerdings die Frage, warum Sie das fiese Teil nicht selber herausziehen oder einfach Ihre Gestalt wandeln?”
Unterschwelliger Ärger klang in der Stimme der Beschworenen mit. “Wenn ich die Formulierung ‘verfluchter Pfeil’ wähle, dann ist diese in diesem Fall absolut wörtlich gemeint. Das Ding verwundet mich natürlich nicht, wenn es mich trifft, aber es behindert meine Handlungen in dieser Form. Hinterhältigerweise liegt auf dem Pfeil aber ein recht potent wirkender Zauber, der den trifft, der die Spitze aus einem getroffenen Ziel entfernt - eine Art magischer Widerhaken. Nun machen Sie schon! Ihnen dürfte die Hexerei wohl wenig Sorgen bereiten!” Schlanke aber kräftige Finger fassten aus der Dunkelheit nach Fiedlers Arm und führten seine Hand zielstrebig an den glatten hölzernen Pfeilschaft. “Achtung, das wird jetzt schmerzhaft …” Etwas peinlich berührt verstummte Fiedler, als er die Nicht-Anwendbarkeit seiner Worte begriff und riss stattdessen mit aller Kraft an dem Pfeil.

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