20. Konfrontation (4)

Schweigen erfüllte die nachfolgenden Momente und Fiedler versuchte, sich auszumalen, was gerade geschah. Dann ertönte eine Antwort im spröden Alt einer missmutig wirkenden Frauenstimme, allenfalls halbherzig bemüht, die Heuchelei in ihren Worten zu verbergen. “Herr Fiedler, sind Sie das?” und dann dem Klang nach offenbar an jemand anderen gewandt: “Alles Halt! Das ist ein besonderer Protegé des Legats und der Mann darf auf keinen Fall durch uns zu Schaden kommen!” Fiedler griente sarkastisch, ließ das schlechte Schauspiel über sich ergehen und wartete, bis er wieder angesprochen wurde. “Was treiben Sie denn hier unten? Nehmen Sie sich in Acht - hier gibt es einen recht gefährlichen Geist, der sich als Schutzzauber um einen Brunnen in der Mitte des Raumes gelegt hat. Bleiben Sie also besser am Rand des Raumes, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!”
“Danke für die rührende Fürsorge, Verehrteste! An Ihnen hat der Legat doch wahrlich ein vorbildliches Mitglied verloren.” Hinter Fiedlers sarkastischem Grinsen spielte sich vor Fiedlers innerem Auge noch einmal der  Wutanfall seines Freundes Boris ab, seines Zeichens Würdenträger der sich ‘Legat’ nennenden Verbindung, als besagte Victoria Thomas sich mit einem eleganten Winkelzug zum konkurrierenden Bund ‘Mitternacht’ abgesetzt hatte. Mit einer wohl abgewogenen Prise Schärfe im freundlichen Ton fuhr er fort: “Da ich Ihre Intelligenz nicht unnötig beleidigen möchte, werde ich nicht einmal vortäuschen, Ihre geheuchelten Worte ernst zu nehmen. Lassen Sie uns einfach ignorieren, dass Ihre Häscher gerade versucht haben, mich zu packen und dass Ihre Schützin meiner Begleiterin gerade einen Pfeil in die Brust verpasst hat. Lassen Sie uns stattdessen doch einfach im Sinne des Durnburger Vertrages verhandeln und Klartext reden.”
Angespannt in die Dunkelheit lauschend machte er eine Pause, um der Gegenseite Zeit zum Bedenken und Reagieren zu geben. Die Antwort kam bald und sie klang verärgert, frustriert und höhnisch - genau wie er es erwartet hatte. “Klartext!” Das Wort wurde geradezu ausgespien. “Na gut, wenn Sie Ihrer Situation unbedingt ins Auge sehen wollen, zögern wir die Sache eben hinaus. Wenn es Klartext ist, der Sie glücklich macht...” Man konnte das Augenrollen seitens Frau Thomas gut erahnen. “Verhandeln wir also, wie es die Herren des Rates so gerne tun: Sie, Herr Fiedler, sind dabei, eine Seele aus diesem Brunnen zu holen, auf deren Besitz Sie kein Recht haben. Sollten Sie uns diese Seele aushändigen oder uns Ihren Weg die Seele zu bergen zugänglich machen, erhalten Sie freies Geleit an die Oberfläche. Vielleicht sollten Sie in Ihre Entscheidung einbeziehen, dass wir in jeder Form der Auseinandersetzung sicherlich die Oberhand behalten würden.”
Es ging also tatsächlich um die Kirchner! Eher nebenher wog Fiedler ab, woher Mitternacht und deren Agenten von der Sache wussten: Ein Verrat der Ratten lag natürlich nahe, erklärte aber nicht Victoria Thomas' offensichtlich zielgerichtete Motivation. Wenn er etwas aus der Thomas herauskitzeln konnte, dann würde er vielleicht sowohl Zeit gewinnen als auch etwas über Unbehauns Motive erfahren. Widersprach das seinem Vertrag? Er dachte lieber nicht weiter darüber nach, der Zweck heiligte nun mal die Mittel. Verborgen von der Dunkelheit erneuerte sich das Grinsen auf Fiedlers Gesicht - diesmal eine Spur waghalsiger und markiger als davor.
“Hatte ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie mich nicht für dumm verkaufen sollen? Wenn Sie darauf aus wären, mich kaltzustellen, hätten Sie das längst getan, Schätzchen. Sie kennen meinen Ruf und wissen also, dass es verdammt schwer ist, aus mir etwas herauszupressen - egal ob mit Folter oder Magie. Seien Sie also zur Abwechslung mal ehrlich zu sich selbst, Lady: So etwas wie 'Klartext' ist gerade das Beste, was sie von mir kriegen können.” Die lässig selbstbewusst-verwegene Privatdetektivstimme gelang Fiedler diesmal geradezu filmreif. Er setzte nach. “Was lässt Sie eigentlich glauben, dass Ihr Verein mehr Recht hat die fragliche Seele zu besitzen als meine Herren Auftraggeber?” Gespannt lauerte er auf die Antwort.

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