22. Resolution (1)

Sollte er die Gelegenheit haben, diesen Tag noch einmal von vorne zu beginnen, nahm sich Fiedler fest vor, den Wecker zu ignorieren und einfach im Bett liegen zu bleiben. Jede Situation in die er geriet, schien vertrackter und unangenehmer zu werden als die vorangegangene: Erst war er vor den Männern seines eigentlichen Auftraggebers geflohen, dann hatte es ihn in diese gruselige Totenkultkathedrale in der Unterstadt verschlagen, wo er mangels besseren Plans das schwächste Gruppenmitglied an einem fiesen Geist vorbei in Richtung Totenreich gehen lassen musste. Eigentlich hätte schon das Auftauchen von Victoria Thomas mit ihrer Mitternachtsschlägertruppe nicht sein müssen, aber der Auftritt von Unbehaun und Brack war nun wirklich überflüssig gewesen. Dabei wäre die Situation so schön einfach gewesen, wenn sich Unbehaun einfach geradeheraus auf den Vertrag berufen hätte - aber nein, Unbehaun hatte ihn in offensichtlichem Misstrauen erst einmal ignoriert, dann mit einem Trick Sina festgesetzt und sie als Betrügerin des Vertragsdiebstahls bezichtigt.

Überhaupt: Sina! Wie konnte man die Anweisung, sich zu verstecken und den Kopf unten zu halten denn so interpretieren, dass man eine gegnerische Kämpferin ausschalten und sich als sie ausgeben müsste? Das musste doch schief gehen! Die Krönung hatte sie aber mit ihrem letzten Schachzug geliefert: Gebunden an den Vertrag, galt sie als Unbehauns Vertreterin und war weisungsbefugt wie dieser in Person. Wenn sie ihm also befahl, die Seele der Kirchner vor Unbehaun und Mitternacht zu retten, dann musste er das zumindest versuchen, so wenig Sinn das aus Sicht des echten Unbehauns auch machen mochte. Dank Sinas letzter (zum Glück) Anweisung konnte Unbehaun den Befehl ja noch nicht einmal zurücknehmen. Dafür war Fiedler jetzt zwischen allen Stühlen gestrandet, gebunden an einen nicht mehr einlösbaren Vertrag ohne klar definiertes Endkriterium.

Na ja, mit etwas Glück würden Mitternachts drei Männer fürs Grobe ihn möglichst non-lethal außer Gefecht setzen. Das würde wahrscheinlich Brack genug Zeit geben, Steinmeier die Seelenkapsel abzuknöpfen, wenn dieser wieder aus dem Dunkel um den Brunnen trat. Nicht zu vergessen war dabei aber, dass es weiterhin mehr als fraglich blieb, ob es Finn überhaupt schaffen oder auch nur überleben würde, die Seele mit der Seelenkapsel aus dem Brunnen zu holen und zurückzubringen. Was für ein wahrhaftig beschissener Tag!

Mit grimmigem Gesicht ließ Fiedler seine Finger möglichst geübt mit dem Messer in seiner Hand spielen und versuchte eindrucksvoll und ernstzunehmend zu wirken. Zu seiner großen Verwunderung schien er damit sogar Erfolg zu haben, denn auf einmal bekamen die drei Schlägertypen, die zuvor fies feixend auf ihn zugehalten hatten einen dümmlich verunsicherten Gesichtsausdruck und wandten sich ab. Reflexartig blickte sich Fiedler um. Hatte sich etwas in seinem toten Winkel ergeben, das die drei Männer abgelenkt hatte? Nein, zumindest so weit er es erkennen konnte, war die Szene neben und hinter ihm noch unverändert und allenfalls so einschüchternd, wie es eben eine feuchte Sandsteinwand in einem unterirdischen Gewölbe sein konnte.

1 Kommentar:

Stefan hat gesagt…

Mannmannmann, was für ein Finale! Wie wird das alles enden!?