23. Auf ein Wort (6)

Zu Fiedlers großen Erleichterung zeigte die Gräfin eine Reaktion und antwortete immer noch unmutig, aber weniger ablehnend als zuvor: “Ungewöhnlich, in der Tat, aber es kommt mitunter vor, dass sich ein beschworenes Wesen gegen seinen Beschwörer auflehnt. Wenn Sie Ihren Vertrag aufgrund eines solchen Kunstfehlers Ihres Auftraggebers nicht erfüllen können, dann benötigen Sie sicher nicht meine persönliche Unterstützung. Ein einfaches Gesuch an den Rat oder ein Schiedsgericht sollte das doch lösen. Konnten Sie Ihren Auftrag denn erfüllen?”
So ging also die Argumentation. Fiedler begriff, dass der von der Gräfin vorgeschlagene Lösungspfad eventuell gangbar gewesen wäre, wenn nicht Unbehaun Sina in seinen Bannkreis gezwungen hätte. Dennoch hatte sie sich nicht weit genug aus der Deckung gewagt, als dass er sie packen konnte. Oder war sie gar nicht involviert? Mutwillig ignorierte er die Frage zu seinem Auftrag.
“In den meisten Fällen hätten Sie Recht. Gerade die Freifrau von Radewitz würde sich auch hier wieder in ihrer Funktion als Vertrauensperson und als ermächtigte Schiedsfrau anbieten, da sie den Fall bereits kennt. Was die Sache aber deutlich erschwert ist der Umstand, dass es sich bei dem Auftraggeber um niemand geringeren handelt als Ebenezer Unbehaun, das Oberhaupt von Libra et Liber. Sicherlich können auch einem erfahrener Meister wie Herrn Unbehaun Fehler unterlaufen. Ich bin mir jedoch sehr sicher, dass er die Beschworene, die eben zuvor als sein Geschöpf aufgetreten war, zuvor noch kein einziges Mal gesehen hatte. Deren Verhalten deutete übrigens in die gleiche Richtung, denn sie versuchte, sich vor ihm zu verstecken.” Fiedler schüttelte demonstrativ den Kopf, bevor er die Gräfin eindringlich anblickte. “Was ich an der Sache nicht verstehe und wo Sie mir vielleicht weiterhelfen können: Wenn die Beschworene nicht von Unbehaun gerufen und beauftragt war, wie konnte sich dann Griselda von Radewitz dazu hinreißen lassen, deren Identität zu bestätigen? Sie hat erst die Echtheit eines Briefes von Unbehaun bestätigt, in dem er eine Beschworene als seine Vertreterin einsetzt, und dann die falsche Beschworene als diese Vertreterin identifiziert! Kann es sein, dass Ihre Schwester getäuscht worden ist? Die Möglichkeiten von Bestechung oder falschem Spiel aus eigenen Interessen schließe ich bei ihr natürlich aus.”
Gleichzeitig mit einer fachlichen und persönlichen Frage konfrontiert, legten sich einige Denk- oder Sorgenfalten auf das gepflegte aber bejahrte Gesicht der Gräfin, bevor sie entgegnete. “Ihre Frage ist recht privat. Ich bin bereit, Ihnen eine Antwort zu geben, wenn ich Ihr Wort habe, dass sie meine Auskunft für sich behalten.”

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