23. Auf ein Wort (9)

Die Lippen der Gräfin komprimierten sich zu schmalen bleichen Strichen und zwischen ihren Augenbrauen vertieften sich drei steile Falten, als sie einige Momente lang wort- und regungslos nachdachte, die Blicke fest mit Fiedlers verschränkt. Dann atmete sie einmal etwas tiefer durch und nickte ein weiteres Mal, diesmal deutlich und zustimmend.
“Gut. Ich akzeptiere. Ihr zweites Ziel kann ich allerdings nicht erzwingen, jedoch werde ich alles in meiner Macht aber auch Verantwortung Stehende tun, um die Entscheidung so möglich zu machen. Dabei werde ich aber weder meine Person noch die meiner Schwester und natürlich auch nicht das Wohl des Zirkels aufs Spiel setzen. Eine Forderung meinerseits hätte ich aber noch, Herr Fiedler: Was auch immer Sie tun, sagen oder anderweitig äußern - halten Sie meine Schwester Griselda aus der Sache heraus. Nehmen Sie an?”
“Selbstverständlich nehme ich an. Der Handel gilt.” Fiedler versuchte so seriös wie möglich zu wirken.
Ein weiteres Mal musterte ihn die Gräfin, diesmal von oben bis unten. “Dann ist wohl alles Notwendige besprochen, nicht wahr? Entschuldigen Sie mich bitte, aber ich muss mich wieder meiner anderweitigen Verpflichtungen annehmen. Manche Debatten müssen auch einmal zu Ende geführt werden. Auf Wiedersehen, Herr Fiedler. Vielleicht zu einer erfreulicheren Gelegenheit.”
Bevor der Detektiv etwas entgegnen konnte, hatte sie sich abgewandt und eilte mit entschlossenen aber angemessenen Schritten davon in Richtung Schloss. Zögernd blickte Fiedler ihr hinterher. War er tatsächlich ungeschoren davongekommen? Sicherlich nicht. Für den Moment hatte er sich wohl durchsetzen können - aber die Sache würde sicherlich mehr als nur ein Nachspiel haben. Er musste Unbehaun die Angelegenheit erklären. Gut, das würde sicher unangenehm werden, sollte aber ohne negative Folgen machbar sein, so lange er aufrichtig bei der Wahrheit blieb - bis auf sein Gespräch mit der Gräfin. Sicher würde der Magier nicht darüber erfreut sein, dass die Seele der Kirchner verloren gegangen war. Mit etwas Glück konnte die Gräfin ihm und seinem Bund aber genug Honig ums Maul schmieren, so dass er den Verlust rasch vergessen oder als Erfolg verbuchen würde.
Wie es allerdings mit Astrid Kirchner und ihrem frisch gebackenen “Untermieter” Finn Steinmeier weitergehen sollte, war ihm ein Rätsel. So lange sie in der Seelenkapsel gefangen waren, würde es Gruppen wie Mitternacht, Libra et Liber, den Rabenzirkel oder Leute wie die Thomas, Unbehaun und die Gräfin geben, die sich das Medium und seinen Zugang zum Orakel für ihre eigenen Zwecke zu Nutze machen wollten. Ein Artefakt wie die Seelenkapsel war schnell an sich gerissen - und die Anzahl durch Gewalt, Intrige und Niedertracht von Hand zu Hand wandernder mächtiger Artefakte war nicht unerheblich. Normalerweise wäre sein Impuls gewesen, die Kapsel irgendwo wegschließen zu lassen. Diesmal würde das aber bedeuten, Steinmeier und die Kirchner zu einer Existenz in absoluter Gefangenschaft zu verdammen - falls das für in einer Dose eingesperrte Geister überhaupt einen Unterschied machte.
Fiedler erstarrte: Erst jetzt realisierte er, dass es sich bei dem handschmeichelnd metallenen Gegenstand in seinen Händen gar nicht um das Röhrchen des Zigarillos handelte, sondern eben gerade um die besagte Seelenkapsel! Seit über einer Minute musste er geistesabwesend mit dem Ding gespielt haben - und das unter den wachsamen Augen der Gräfin! Wie konnte es sein, dass sie ihn nicht einmal darauf angesprochen hatte? Er wusste mit absoluter Sicherheit, dass sie das Artefakt kannte und von Laternen und Gebäuden drang noch genug Licht hier in den Burghof, als dass selbst eine ältere Dame die Kapsel klar in seinen Händen erkennen musste. Es war kaum denkbar, dass die Gräfin im gegebenen Kontext nicht sofort eine Verbindung zwischen der Kapsel in seinen Händen und der Seele der Kirchner ziehen musste. Nur von Steinmeier wusste sie wahrscheinlich nichts...
Verdammt, Steinmeier!
Die überfällige Erkenntnis traf den übermüdeten Detektiv wie ein Blitz. Offensichtlich war dessen Gabe für diesen kleinen aber feinen Effekt verantwortlich! Fiedlers Züge hellten sich auf. Wenn Steinmeier die Anwesenheit der Seelenkapsel nach seinem Belieben verschleiern konnte, sah die Zukunft des Artefakts natürlich deutlich rosiger aus. Andererseits…  Wer wusste schon, was die Zukunft beinhaltete?
Die Kirchner!
Fiedler wurde klar, dass er die Antwort auf alle seine Fragen im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand hielt. Nun musste er nur noch einen Weg finden, mit den Insassen der Kapsel zu sprechen.

1 Kommentar:

Stefan hat gesagt…

Natürlich - aber wie? Oh, ich bin seeeehr neugierig :-)