23. Auf ein Wort (4)

Sein erstes Ziel nach dem Verlassen der Durnburger Unterstadt war “Die Weiße Taube” gewesen, ein Café in den Gassen der Altstadt. In der weißen Taube gab es nicht nur qualitativ hochwertige Heiß- und Kaltgetränke zu fairen Preisen, vielmehr diente das Lokal als Zentrale für den Rabenzirkel, wie Mitternacht oder Libra et Liber ein Bund von Grenzgängern mit erheblichem Einfluss. Zwar hatte der öffentliche Teil der “Taube” um diese Uhrzeit schon geschlossen gehabt, der Nachtwächter des Rabenzirkels war aber dennoch dort gewesen, um dringende Anliegen entgegenzunehmen. Irgendwie musste Fiedler dann auch dringlich und eindringlich genug gewirkt haben, so dass der Mann von der Nachtwache den Versuch aufgegeben hatte, ihn abzuwimmeln.
Man hatte ihn hier erwartet. Im Grunde war das keine Überraschung. Er hatte beim Rabenzirkel um eine Audienz bei der Gräfin gebeten, ihres Zeichens die als kompliziert bekannte Anführerin des durchaus mächtigen Bundes, und war daraufhin zum Schloss geschickt worden, wo sie sich wohl in einer längeren politischen Debatte mit anderen Mitgliedern des Rates befand. Beim Gedanken an die bevorstehende Diskussion kamen Fiedler einmal mehr Zweifel, ob ihm die Idee, ein Ratsmitglied (und dann noch die Gräfin) für seinen Auftrag einzuspannen in einem ausgeruhteren Zustand nicht als leicht fahrlässige Verzweiflungstat erschienen wäre.
Das Geräusch absatzbewehrter Damenschuhe, die mit zügigen, entschlossenen aber mitnichten hastigen Schritten den gepflasterten Weg vom Schloss herankamen, riss Fiedler aus seinen Gedanken. Keine Zeit mehr für Zweifel - jetzt galt es, die Fäden zusammenzuführen und dabei den Kopf auf den Schultern zu bewahren. Das schuldete er seinem Ruf - und irgendwie schuldete er das auch Steinmeier. In Missachtung von Nässe, Kälte, Hunger, Bedenken und sonstigen Unbehagens wurde Fiedlers Miene “detektivtypisch” gelassen und professionell, er korrigierte seine Haltung zu “aufrecht aber lässig” und stellte sicher, dass er der sich nähernden Respektsperson erst einmal ungezwungen den Rücken zuwandte. Showtime!
“Guten Abend Herr Fiedler!” In der Stimme der Gräfin schwangen neben der gebotenen Höflichkeit etwas Ärger, Ungeduld aber auch eine Prise Neugier mit. “Wenngleich ich die Gelegenheit genieße, nach der stickigen Luft im Saal etwas frische Luft zu schnappen - fassen Sie sich kurz, ich habe zu tun. Welche Gefahr schwebt über unser aller Leben, dass sie mich unbedingt sofort sprechen müssen? Um was geht es?”
Mit einer betont gelassene Bewegung wandte sich Fiedler zu ihr um, nahm den zuvor zwischen die Zähne geklemmten Zigarillo aus dem Mund bevor er mit gelassener Höflichkeit aber unterschwellig grimmigem Unterton antwortete. “Ich grüße Sie, Frau Gräfin und es ehrt mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben mich anzuhören. Jedoch muss ich Sie gleich in zweierlei Hinsicht enttäuschen: Zunächst kann ich aber nach den Geschehnissen der letzten Stunden nicht aufrichtig sagen, dass der Abend ‘gut’ wäre. Außerdem geht es höchstens um eine Handvoll an Leben und zumindest zwei davon sind sowieso nicht mehr zu retten.” Er ließ eine wohldimensionierte Pause folgen und wahrte einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck, während sich auf der aristokratischen Miene seiner Gegenüber Skepsis und Unmut ausbreiteten. “Dennoch bin ich davon überzeugt, dass Sie sich für die Sache durchaus interessieren könnten - und dass zumindest zwei der involvierten und in gewisser Weise gefährdeten Leben für Sie persönlich von großer Bedeutung sind.”
Damit hatte er seinen Eröffnungszug getan. Mal sehen, wie die Gräfin ihn aufnahm. Gelassener als zuvor nahm Fiedler einen Zug aus seinem Glimmstengel und entließ einer Antwort harrend eine kleine Rauchwolke in den Abendhimmel. Es fiel ihm leichter, das Spiel zu spielen, als über dessen Folgen nachzudenken.

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