10. Andere Saiten (7)


Weit reichten Bracks Kraft und Reflexe nicht mehr, aber er schaffte es noch, mit einer schlaffen Bewegung die glitzernde, überraschenderweise immer noch intakte Phiole, hochzuheben und sie matt in Richtung der freien Trollhand zu werfen. Dann ergab er sich seinem Schicksal und hoffte auf Frau Hasmanns Fähigkeiten, sein Verständnis von Magie - und dass der Lieblingstrick einer ihm bekannten Fee auch bei diesem Troll funktionierte.

Losgelassen von Bracks nunmehr leblos herabfallenden Armen beschrieb das filigrane gläserne, blutig und ölig verschmierte Gefäß eine flache Parabelflugbahn, die unweigerlich damit enden musste, dass sie über den Rand der Brücke hinaus in die Elm fallen musste. Bevor das aber geschehen konnte, nahm Brack - mit dem seltsamen Gefühl ein unbeteiligter Beobachter zu sein - zu seiner höchsten Zufriedenheit wahr, dass einmal mehr die feeische Neugier des Trolls über dessen Zorn siegte und dass dessen Hand das merkwürdige Wurfgeschoss fing anstatt ihn, sein nun wehrloses Opfer, zu zermalmen. Die Wirkung dieses scheinbar nebensächlichen Ereignisses war immens.

Abrupt endete jede Bewegung des Trolls. Dann lief ein Zittern durch die unförmigen Gliedmaßen, während sich auf dem schartigen verpustelten Gesicht des Trollkopfes ein irgendwie unpassend wirkender Ausdruck des entsetzten Erstaunens ausbreitete. Auch auf dem daneben aus dem Rumpf des Monsters ragende Puppenkopf begannen sich die Züge zu verändern, doch obwohl die Augen der Trollfratze immer hektischer hin und her zuckten, verschwand aus dem zuvor absurd verzerrten Kunstgesicht mehr und mehr die Emotion. Stattdesen hielt das nichtssagende fade Lächeln aller Schaufensterpuppen darauf Einzug. Allein die Augen blieben schartige unnatürlich schwarz klaffende Höhlen, in denen graue Schatten zu flackern schienen.

Unten am Fuß der Brücke stand die gedrungene Gestalt von Irene Hasmann triefend und bis auf die Haut durchnässt, doch völlig unbeirrt von dem auf sie herabprasselnden Regen. Ihre Körperhaltung entbehrte nun jeder Unterwürfigkeit und Unsicherheit. Ein Fuß sicher auf dem Brückensockel ruhend, den anderen mit drohend verhaltener Gewalt auf den am Boden liegenden Puppenkopf aufgesetzt hatte sie die Arme in weiter Geste ausbreitet und den Kopf mit halbgeschlossenen Augen leicht in den Nacken gelegt.

Schon seit ein paar Sekunden verharrte sie in dieser Pose ungeachtet der skeptischen Blicken von Beil und Mohrek. Dann plötzlich - just in dem Moment, als das Troll-Puppen-Monstrum die Phiole fing - hatten sich ihre zuvor gespreizten Finger zu Fäusten geballt und mit untypischer Bestimmtheit, Entschlossenheit und Vehemenz war ein "GEHORCHE MIR! Halt inne!" zwischen ihren Lippen hervorgefaucht. Einige sowohl knappe als auch präzise Anweisungen später war Bracks lebloser Körper hinreichend sanft auf dem Brückenboden abgesetzt - unter ohrenbetäubend lautem Protest- und Wutgebrüll des Trollkopfes, das aber dann durch die nunmehr freie zweite Pranke des Trolls eine deutliche Dämpfung erfuhr.

Stöhnend erwachte Brack, öffnete die Augen, kniff sie schmerzhaft wieder zusammen, orientierte sich so schnell es seine langsam wiederkehrenden Sinne zuließen und ging seine aktuelle Situation durch.

Er war noch am Leben.
Gut.
Er war noch auf der Brücke.
Gut.
Der Troll stand noch vor ihm.
Schmerzhafte Erinnerung.
Der Puppenkopf starrte ausdrucks- und bewegungslos ins Nichts.
Gut.
Der Troll hielt sich mit einer seiner haarigen troll- und menschenblutverschmierten Pranken das brüllende Maul zu.
Absurd aber beruhigend.

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