11. Automatismen (1)

Satt schmatzend war die dreckige Schwingtür der Kneipe ins Schloss gefallen. Abgestandener Rauch und Schweiß lagen in der Luft und bissen in den Augen der Neuankömmlinge, die sich gerade im schummrigen Lampenlicht des Lokals zu orientieren versuchten. Draußen in der dunklen, vom säuerlichen Geruch nach feuchtem alten Mauerwerk durchdrungenen Seitengasse verhallte gedämpft von der Entfernung das röhrende Brüllen einer großen gequälten Kreatur.

Drinnen rang Steinmeier mit der thematischen Einordnung seiner Rolle und Situation: "Ich soll Ihnen also als roter Faden dienen, so quasi als Leitstrahl, der Sie zu Astrid führt? So eine Art Navigationssystem für diese ... Anderwelt? Abgefahren!" Er verstellte seine Stimme und formulierte monoton und abgehackt: "Am nächsten verfallenen Altar einer mordlüsternen Gottheit wenden Sie bitte und ..." Resigniert seufzend verstummte er, wohl realisierend, dass ihm niemand die angemessene Beachtung schenkte.

Fiedler sah sich aufmerksam in dem mit Menschen, Rauch und Sitzgelegenheiten erfüllten Raum um und versuchte, möglichst rasch die Gegebenheiten - insbesondere die Ein- und Ausgänge  - einzuordnen. Es war nicht immer eindeutig, wo sich Giorgos 'Höhle' in ein Lokal einfügen würde, aber wofür hatte ein Detektiv denn bitte seinen Instinkt? War dort in der Ecke durch den Qualm ein Durchgang zu einem dunkleren Teil des Gebäudes zu erkennen? Fiedler setzte zunächst vorsichtig, dann entschlossener Kurs durch das ungeordnete Durcheinander von Tischen und Gästen, das sich in Richtung der immer deutlicher erkennbaren Passage stetig ausdünnte. Beiläufig registrierte er dabei, dass Sina in einem unbeobachteten Moment ihre Bomberjacke dematerialisiert hatte. Finn wiederum war offenbar mit seinem kleinen Vortrag fertig und folgte ihm schulterzuckend.

Das Durchschreiten des Durchgangs glich dem Schritt durch einen Vorhang. Über wenige Meter wich das raunende Geräusch der Gespräche unter den Gästen. Das trübe verrauchte Licht der Kneipe wurde verdrängt von diffusem bunten Blinken, gelegentlich unterbrochen sowohl von nahezu völliger Dunkelheit als auch von grellen Blitzen, begleitet von Surren, Rattern, Klacken und dem elektronischen Gedudel von Automaten. Genau der Ort, den er gesucht hatte.


Vor Fiedler öffnete sich ein überraschend großer Raum, dessen Halbdunkel erfüllt wurde von Reihe um Reihe durch Geräusch- und Lichtsignale nach Aufmerksamkeit heischender Spielautomaten unterschiedlichster Bauart. Neben den kastenförmigen Silhouetten von "einarmigen Banditen" drängten sich Videospielgeräte verschiedenen Alters mit flirrenden Bildschirmen und seltsamen Eingabemöglichkeiten.

"’Ne Spielhölle. Sowas habt ihr bei euch an der Grenze? Na ja, viel ist hier ja nicht los..." Steinmeier hatte zu Fiedler und Sina aufgeschlossen und versuchte mit zusammengekniffenen Augen die offenbar von Menschen unbehelligte Maschinenlegion vor ihm zu überschauen.

Auch Sina wirkte zumindest ansatzweise beeindruckt, was sich in einem leichten Anstieg ihrer linken Augenbraue äußerte. "In der Tat eine charmante Lokalität. Sagen Sie, geschätzter Fiedler, verfügen alle Ihre Bekannten über orthomantische Spielereien wie die Kapelle in der Besenkammer oder diesen nomadischen Raum hier?"

Mit einer lässigen Bewegung winkte Fiedler ab. "Mit Orthomantie hat das hier eher wenig zu tun. Die passendste Erklärung ist wohl, dass dieser Ort dem guten Giorgio mehr oder weniger ... zugelaufen ist. Der Raum wandert nach irgendeinem obskuren Muster durch die Stadt - ich glaube auch mit einem oder zwei Stopps in Metropolis. Giorgio hat ihn für sich entdeckt und dann besetzt. Wenn man den Gerüchten glauben kann, war ein Teil der Automaten vorher schon hier und Giorgio hat nur ein paar seiner 'Sammlerstücke' dazugestellt."


"Dieser ‘Giorgio’ klingt wie ein Mann von Uhrwerk." Sina zog mit unverhohlener Abscheu auch noch die andere Augenbraue hoch, aber Fiedler winkte mit trockenem Lachen ab.

"Behalten Sie das mal besser für sich, Verehrteste. Das Vorurteil hat er mittlerweile schon so oft an den Kopf geworfen bekommen, dass er manchmal ziemlich gereizt darauf reagiert" - er  zwinkerte Sina verschwörerisch zu - "wobei er für Sie ja vielleicht eine Ausnahme macht." Bevor sich die Beschworene ereifern konnte, fuhr er unter hastig unterdrücktem Lachen seitens Finn Steinmeiers fort: "Aber mal im Ernst: Giorgio hat mit Uhrwerk in etwa so viel am Hut, wie Sie mit dem guten Samedi. Das sollte als Information genügen und viel mehr weiß ich über die Sache auch nicht." In Gedanken fügte er noch hinzu: "... und selbst wenn, würde ich Sie darüber sicherlich nicht in Kenntnis setzen."

Sina lächelte mit offensichtlich gespieltem Mitgefühl: "Sie brauchen sich für Ihren Mangel an Wissen nicht zu schämen, dieses Problem plagt viele Menschen mit ihren Limitierungen und ihrer Lebensspanne. Besinnen Sie sich doch lieber auf Ihre paar Stärken und stellen Sie uns ein weiteres obskures Mitglied der Durnburger Unterstadt vor, ja?"

Anstatt das Geplänkel mit einer passenden Erwiderung fortzusetzen, bedachte Fiedler seine Gegenüber mit einem etwas abschätzigen, irgendwie siegesbewussten Lächeln und schien für einen Moment auf etwas zu warten. Keine Sekunde später durchdrang eine whiskey- und zigarettenraue Männerstimme das klimpernde und surrende Klanggewitter: "Hey Fiedler! Bring doch mal das beschworene Schätzchen hier rüber, damit sich der obskure Durnburger mal ein Bild von dieser Quadratzicke machen kann, ohne gleich seine Score zu verbocken!"

Keine Kommentare: