12. Auf ab Wege (3)

Fiedlers Reflexe funktionierten routiniert. Er hatte Übung darin, in Dunkelheit und Tumult auf's Maul zu fallen. Stattdessen beanspruchte eine viel drängendere Frage seine Aufmerksamkeit: Was geschah gerade, warum geschah es und darüber hinaus - wie war die Situation zu bewältigen? Fiedler machte Kontakt mit dem kunststoffbelegten Boden, rollte sich über die Schulter ab und versuchte, die anderen in der Dunkelheit auszumachen.

Ein paar Meter weiter schlug Steinmeier schimpfend am anderen Ende des Aufzugs auf. Von oben kam ein schrill kratzendes, dann schlagendes Geräusch; offenbar machte sich Sina in irgendeiner Weise am Lift zu schaffen. Konnte sie für die aktuelle Lage verantwortlich sein? Rasch besann er sich seines Auftrags, verdrängte den aufkeimenden Gedanken und konzentrierte sich statt dessen darauf, die im Dunklen noch ein wenig unsympathischere Präsenz der mechanischen Schabe zu lokalisieren.

Wie zur Antwort gab ihm ein dumpfer Schlag, gefolgt von vielbeinigem Klackern grob 30 cm neben seinem Gesicht, die Antwort auf diese Frage. Verdammt, er war viel näher an der Wand gelandet als abgeschätzt. Instinktiv prallte er vor dem vermuteten Metallinsekt zurück und verfluchte seine unbeholfene Position. Dann rappelte er sich mit unterdrücktem Ächzen in die Hocke auf. Sie mussten so schnell wie möglich den Aufzug verlassen. Aber - bei allem gelben Schnee auf den Thules Gletschern - ohne Giorgios vermaledeite Seelenkapsel hatte er keinen blassen Schimmer, wie er Astrid Kirchner aus der Ödnis abtransportieren sollte.

"Steinmeier! Haben Sie die Kapsel!?"

Die Antwort klang gepresst eine halbe Bedenksekunde später aus der Dunkelheit: "Ja, ich hab' das Teil. Macht mal jemand Licht oder könnt ihr hier alle im Dunklen sehen?" Steinmeiers Stimme schnappte vor Anspannung fast über.

Draußen im Aufzugschacht krachte etwas Mechanisches, gab nach und die Fahrstuhlkabine begann kreischend, schnarrend und scheinbar widerstrebend Zentimeter um Zentimeter nach unten abzusacken.

"Bei Odins eisigen Eiern - das fehlt gerade noch!" Die Anstrengung das Gleichgewicht zu behalten und aufzustehen ließ Fiedlers Stimme tonlos keuchen. "Steinmeier, raus hier! Sina, helfen Sie uns hoch!"

Von der Position der Beschworenen an der Decke ertönte ein heftig dröhnender Schlag, gefolgt von metallischem Scheppern, als mit brachialer Gewalt eine klemmende Gitterluke aus ihrer Verankerung geschlagen wurde. Ein schmaler, fließender, nur ansatzweise menschlich wirkender Schatten wischte durch die nun klaffende rechteckige Lücke in der Decke, durch die kraftloses Dämmerlicht in die völlige Dunkelheit in der Kabine sickerte. Sekunden verdunkelte draußen Sinas durchaus (wieder?) menschlich wirkende Silhouette die Öffnung und ein schlanker, vollständig in rauhes schwarzes Leder gekleideter Arm reckte sich in die Kabine.


Ohne langes Fackeln griff Fiedler beherzt nach der angebotenen Hilfestellung und setzte gerade zu einem angestrengten Klimmzug an, als ihn der feste Griff der behandschuhten Damenhand kraftvoll und scheinbar mühelos zur Luke hochzog, wo er begann, sich durch die enge Öffnung nach draußen zu zwängen.

Aus den Augenwinkeln registrierte er, dass ihm Steinmeier aus dem Dreivierteldunkel herablassend belustigt bei seinen Bemühungen zusah. Offenbar hatte er beim ersten Schlag Halt an einer Wand gefunden und daher aktuell weniger Probleme damit, seine aufrechte Position zu behalten. "Aber aber, keine Panik die Damen und Herren." Von der ursprünglichen Angst war fast nichts mehr in Finns Stimme zu hören.

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