12. Auf ab Wege (2)

Finn zögerte und setzte zu einer Bewegung an, aber nur einen Sekundenbruchteil später hatte sich sein Gesichtsausdruck zu einem schiefen leicht selbstironischen Feixen stabilisiert und er zog in Erwartung kommenden Ekels die Schultern hoch. "War ja klar. Das Ding krabbelt hinter mir an der Wand und will, dass ich ihm irgend so ein Kapseldingsda abnehme, was? Ich wette, es wedelt dabei noch aufgeregt mit seinen langen spirrigen Fühlern!"

"Nicht schlecht geraten, Herr Steinmeier." Fiedlers Stimme war angespannt - irgendein Instinkt versuchte ihm gerade wieder mit Nachdruck klarzumachen, dass etwas nicht stimmte. "Aber eigentlich fährt es gerade seine Flügel aus! Drehen Sie sich doch bitte um und nehmen sie ihm die Büchse ab, bevor hier 'ne armlange Blechschabe durch den Lift brummt."

Ein weiteres Mal rang der ehemalige Schauspieler fast unbemerkbar mit sich und seinen widerstrebenden Impulsen. Dann zuckte er lakonisch lässig mit den Achseln und wandte sich gefasst mit einem demonstrativ geseufzten "Na wenn das so ist ..." dem hinter sich vermuteten mechanischen Insekt zu.

In der Tat kauerte dort oben, knapp unter der Decke des Aufzugs, wo die teppichbezogene Wand auf die matt korrodierte Aluminiumabdeckung traf, fühlerwedelnd eine metallisch angelaufene mechanische Chimäre bestehend aus Schabe, Käfer und Schrottsammlung. Die fleckigen Flügeldecken waren leicht gespreizt, die fingerlangen Mandibeln unter denn rötlich irisierenden handtellergroßen Facettenaugen öffneten und schlossen sich ruhelos und unentschlossen, begleitet von leisen Scharr- und Klickgeräuschen. Währenddessen hielten die vorderen beiden Beinpaare ein ovales schwarzes Objekt eng an den ölig glänzenden Brustpanzer der Kreatur gepresst.

Fiedler wich einen unauffälligen Schritt zurück. Offenbar hatte Giorgio seiner "Cucharacha" unzureichende Instruktionen für die Übergabe gegeben und das ... Ding ... wusste nun nicht, wie es sich zu verhalten hatte. Wunderbar. Als wären ein manischer Selbstdarsteller und eine nervöse Beschworene nicht schon unberechenbar genug. Seine Augen hasteten einmal mehr zur Stockwerksanzeige, an der gerade ein vergilbt weißliches Licht hinter der linken Hälfte der Zahl "9" aufgeglommen war. Noch drei Stockwerke - und nicht einmal dann würden sich die Türen öffnen. Außerdem galt es, das Kästchen der Kakerlake möglichst ohne Beschädigung von Inhalt (und Schabe) an sich zu bringen. Seit dem Schwätzchen mit Ghede war die ganze Angelegenheit leicht außer Kontrolle geraten. Das ungute Gefühl in Fiedlers Bauch ballte sich zusammen. Etwas lief gerade gewaltig schief!

Dann geschah alles ganz schnell.

Sina stieß einen unverständlichen Fluch aus und sprang unvermittelt aus dem Stand an die Decke der Aufzugskabine, wo sie sich in Missachtung von Schwerkraft, Naturgesetzen und gesundem Menschenverstand flach an das Metallgitter gepresst festkrallte. Bevor Fiedler reagieren, geschweige denn Steinmeier seine insektenekelinduzierte Starre abschütteln konnte, erschütterte nervenzermürbend mahlendes Kreischen und Knirschen die Fahrstuhlkabine. Das ruckartige Anhalten der Fahrstuhlbewegung holte die beiden Männer von den Füßen. Gleichzeitig erlosch das Licht.

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