10. Andere Saiten (8)


Offenbar hatte Irene Hasmann tatsächlich die Kontrolle über den Teil des Trollmonsters an sich gerissen, der die Puppe war und anscheinend war der Rest des Trolls schwach genug, als dass die Puppe ihn komplett übernehmen konnte. Wie konnte es geschehen, dass etwas so Künstliches und Totes wie diese ... Puppenmumie auf ein Feenwesen wie diesen Troll aufgepfropft wurde? Brack erschauerte vor Ekel bei dem Gedanken, dann besann er sich auf sein ursprüngliches Vorhaben. Es wurde Zeit Fragen zu stellen. Er rappelte sich auf, stellte mit Befriedigung fest, dass seine Beine zwar noch schmerzten aber nicht mehr gebrochen waren und wandte sich seinem bizarren Gegenüber zu.

Unten, am Fuß der Brücke erahnte Irene Hasmann sein Vorhaben: "Steh ihm Rede und Antwort, Kreatur, als wäre er dein Herr!" Ein angestrengtes Keuchen hatte sich in ihre Stimme geschlichen.

Nach einem vorsichtigen Räuspern - Lunge und Stimme schienen hinreichend intakt - hob Brack die Stimme in Richtung das Puppenkopfes.
"Hörst du mich, Kreatur?"
Langsam und gleichgültig wandte sich das stumpf aus seinen Augenhöhlen glotzende Puppengesicht zu Brack und eine kratzend knarrende Stimme, deren Klang an das Kratzen von Fingernägeln über Plastik erinnerte, begleitete die dazu völlig asynchronen klappenden Bewegungen des Kunststoffkiefers.
"Ja."
"Kannst du mir von den Geschehnissen seit deiner Beschwörung erzählen?"
"Ja."

Brack fluchte leise aber herzhaft. Verdammt, wann würde er endlich lernen, diesen Beschworenen klare Handlungsanweisungen zu geben. Viel Zeit hatte er nicht. Sein Gehirn raste. Er formulierte neu: "Berichte kurz, was geschehen ist, seit du zuletzt beschworen wurdest!" Für einen Moment war ihm, als würde die Puppenfratze einen Anflug von Grinsen zeigen, dann fing sie in an in monotonem Stakkatorhythmus zu sprechen.

"Ich kam in diese Welt. Ich wurde an diese Form gebunden. Ich musste mich dem Bann meines Beschwörers fügen. Ich erhielt meinen Auftrag und Befehl." Ein Anflug von Widerwillen hatte sich über das Kunststoffgesicht des Puppenkopfes gelegt.

"Ich musste erst einen Brief zu dem Menschen Alexander Fiedler bringen, dessen Ort auf einer Karte verzeichnet war. Ich sollte ihm folgen. Ich sollte dafür sorgen, dass er zumindest den Geist der Menschin Astrid Kirchner aus dem Tod zurückholt aber nichts über meine Herren oder mich in Erfahrung bringt. Ich sollte in jedem Fall die Unversehrtheit meiner Herren und deren Interessen wahren." Nach diesem Satz kehrte die Puppenfratze in ihre ausdruckslose Maskenhaltung zurück, der Sprachrhythmus wurde aber weicher.

"Gemäß dem Wortlaut meiner Befehle machte ich mich auf den direkten Weg zu dem Ort, an dem ich den Brief übergeben sollte, konnte diesen aber nicht erreichen. Ein Menschengeist, viel älter und mächtiger als ich, manifestierte über mir in Gestalt eines Greifvogels, stieß herab, nahm die Form einer Raubkatze an und attackierte meine Substanz. Da meine Zerstörung die Ausführung des Auftrags und damit die Interessen meiner Auftraggeber gefährdet hätte, wehrte ich mich, konnte aber dem überlegenen Gegner nichts entgegensetzen." Tief in den Augenhöhlen des Puppenkopfes glomm ein grünlich blauer Funke auf. War es Zorn über die Niederlage oder fühlte das Wesen etwas anderes? Brack vermochte es nicht einzuschätzen und ohne Unterbrechung fuhr der Geist mit seinem Bericht fort.

"Nachdem der Menschengeist meinen physischen Körper zerfetzt hatte, verschlang er meine eigentliche Substanz, schloss mich in sich ein und isolierte mich, ohne mein Sein zu beschädigen. Über mehrere Stunden eures Zeitlaufes weiß ich darauf nichts zu berichten. Meine nächste Wahrnehmung war, dass mich der Geist ausschied und meine Substanz gewaltsam in die Struktur dieser Brücke und dieses Trolles trieb.

Während ich mit dem Troll um die Kontrolle über Domäne und Substanz rang, starb mein Beschwörer. Ich wurde frei, aber auch schwächer, und der Troll machte mich zu einem Teil seines manifestierten Bildes. Etwas Zeit verging wohl so, dann betratest du die Brücke und als die Frau und du mein Herr wurdet, war ich stark genug, den Troll zu unterwerfen, verlor dafür aber meine Freiheit. Das ist mein Bericht." Die Puppe verstummte.

Missmutig und frustriert verzog Brack die Lippen und nickte leicht mit dem immer noch etwas dröhnenden Kopf.

Unergiebig. Höchst unergiebig.

Dann verformten sich die Augenhöhlen der Plastikfratze zu einem gehässigen Ausdruck und die zuvor starren Lippen warfen sich spöttisch auf: "Meine Herrin kann mich nicht mehr lange halten. Sie wird mich auflösen und du wirst niemals erfahren, was ich dir hätte sagen können!" Höhnisches Gelächter brandete aus der Kehle des Puppenkopfes herauf.

Am Fuß der Brücke sank die schweiß- und regenüberströmte Irene Hasmann langsam und vor Anstrengung zitternd auf die Knie und begann konzentriert aber keuchend die Worte des Auflösungsritus zu rezitieren, den sie aus den Aufzeichnungen des Beschwörers kopiert hatte.

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