11. Automatismen (3)

Giorgio zögerte, balancierte die Flipperkugel für ein paar Sekunden auf einer abgerundeten Spitze zwischen zwei Bumpern und musterte einen zeitlos ewigen Augenblick lang Fiedler und seine Begleitung aus wässrig graugrünen Augen. Fast zwanghaft folgte Steinmeiers Blick der Spielkugel, wie sie sich wie in Zeitlupe langsam nach links neigte und zu rollen begann. Just in dem Moment, als die Stahlkugel Kontakt mit dem Gummiwulst des mechanisch klackenden Bumpers machte, kehrte Giorgios Aufmerksamkeit ruckartig zum Spiel zurück.

"Nach links zur Bonusarea," konstatierte er laut.  "Der Automat vertraut dir, Fiedler, und ich bin bis jetzt gut damit gefahren, das auch zu tun. Du kannst dir das Teil unter deinen Bedingungen ausleihen. Meine Spielzeuge und ich haben in letzter Zeit so viel Ärger mit Uhrwerk, dass uns etwas weniger Stress ganz recht kommt - und ich wüsste schon einen weiteren Gefallen, den du mir tun könntest. Allerdings verspreche ich dir, dass du dafür ordentlich bluten müsstest! Du hilfst dir also selbst, wenn du mir die Falle in einem Stück zurück bringst!" Das raue Lachen klang diesmal etwas gedämpfter.

Fiedler nickte unbegeistert und streckte die Hand aus. "Ist gut. Wir haben einen Deal?"

Ohne seine Augen vom Spiel abzuwenden ließ Giorgio den rechten Flipperknopf los, verpasste dem Gerät einen herzhaften Stoß mit der Hüfte, der die Kugel auf eine weite Trajektorie über die Spielfläche schickte und schlug lässig ein. "Deal."

Eilig zuckte die Hand wieder zurück zum Automaten. "Mildred, bring doch mal den Gästen die Seelenkapsel!"

Aus dem Schatten unter dem Spielautomaten drang erst ein filigranes Klappern, dann mechanisches Scharren, als eine etwa unterarmlange gedrungene flach insektenartig anmutende Kreatur durch die Schatten der Maschinen rasch davon huschte. Fiedler, der Girogios mechanische Helferkreaturen bereits hinreichend kannte,  wandte sich einmal mehr neugierig zu seinen beiden Begleitern um. Wie vermutet zeigte Finn Steinmeiers Gesicht eine ausgewogene Mischung aus Überraschung, Ekel und einem gut verhohlenen Hauch von Angst. Schmunzelnd blickte der Detektiv weiter zu Sina - und wurde überrascht: Anstatt der erwarteten verächtlichen Mine mit hochgezogenen Augenbrauen fixierte ihn ein nüchterner ernster Blick.

"Das sollte hier besser schnell gehen, Fiedler. Wir bekommen Gesellschaft. Keine Zeit für Spielchen. Leider."

Also doch. Ohne nennenswertes Zögern nickte Fiedler, sah sich in der halbdunkler Spielhalle um und drehte sich dann wieder zu Giorgio, der ebenfalls Sina eines kurzen überraschten Blickes gewürdigt hatte.

"Hast du 'ne Hintertür, die uns hier raus bringt?"

Giorgios Stimme verriet, dass ihm die Aussage unbequem war. "Im Prinzip ja - kommt allerdings darauf an, wo du rauskommen willst."

"Komm schon, red' nicht rum!"

"Du wirst's nicht mögen, aber aus der Halle gibt's nur einen Ausgang in die Bar und einen in die große Stadt."

Sina sog scharf Luft ein. "DIE große Stadt?"

Giorgio nickte und versetzte gleichzeitig dem Flipper einen weiteren Hüftstoß. "Yupp. Metropolis."

Laute Stimmen drangen aus Richtung des Schankraumes, nur um gleich wieder abzuebben. Zähneknirschend rang Fiedler einen Moment lang mit sich, bis er schließlich gehetzt und resigniert mit den Schultern zuckte. "Nur Ärger mit der Sache! Wo geht's hin?"

Ohne sich von seinem Spiel abzuwenden, zeigte Giorgio in die dunkelste Ecke hinter den sichtbaren Reihen von Spielautomaten. "Da hinten gibt's einen alten Aufzug. Keine Ahnung wohin er eigentlich führen sollte - die Türen gehen nicht auf. Fahrt zum zwölften Stock und klettert durch die Dachluke nach draußen, eine Leiter steht in der Kabine. Vom Dach aus steigt ihr dann im Schacht durch die Türe im dreizehnten Stock aus. Euer Ankunftsort ist immer irgendwo in einem industrialisierten Viertel - leider kann ich euch nicht sagen, wo genau."

Den protestierenden Finn Steinmeier am Arm packend knurrte Fiedler ein kurzes "na besten Dank!", eilte los, gefolgt von einer ungewohnt unruhigen und wachsamen Sina und ließ einen kopfschüttelnden flipperspielenden Giorgio hinter sich. "Wenn die mir Ärger machen, setze ich dir das auf die Rechnung, Fiedler, verstanden?"

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