2. Lady in Black (5)


Sichtlich betroffen legte Fiedler den Brief wieder ab. Die Namen Baltungshult und Unbehaun weckten Erinnerungen in ihm, die er lieber sicher unter einer dicken Schicht Vergangenheit und Vergessen begraben gewusst hätte. Damals - es schien ihm in einer anderen Zeit, in einer anderen Welt und irgendwie auch als ein anderer Alexander Fiedler gewesen zu sein - war er als Söldner in der Schlacht von Baltungshult in eine verzweifelte Situation geraten und hatte sich des nackten Überlebens willen in die Schuld von Ebenezer Unbehaun, einem zwielichtigen Magier begeben müssen.

An der Grenze wiegen Versprechen schwer. Für einen Normalmenschen ist es ein leichtes, sein leichtfertig gegebenes Wort wieder zu brechen - was außer ein paar Moralvorstellungen und lockeren Vorgaben der Zivilisation spricht schon dagegen? Wer dort sicher gehen will, erstellt einen Vertrag und lässt sich seine Versprechen schriftlich und einklagbar geben. In der Welt der Grenze aber, erscheinen Gesetze und Vertragswerke der Staaten und Gesellschaften beliebig und nichtig, schließlich ist es dort der tägliche Alltag, dass ein Name, eine Adresse, ja eine ganze Existenz "einfach so" aus Verträgen, Telefonbüchern, Personalausweisen, Akten und Verzeichnissen verschwindet. Was bleibt denn unter Grenzgängern an Sicherheit, wenn nicht das gegebene Wort?

Abgesehen von der schwer beweisbaren Tatsache, dass in der magiedurchtränkten Grenzrealität der Bruch eines ernsthaft gegebenen und mit Namen und Schwur belegten Versprechens durchaus böse Folgen nach sich ziehen konnte, waren Gefallen eine der härtesten Währungen an der Grenze. Wenn jemand einen geschuldeten Gefallen nicht einlöste, musste er davon ausgehen, dass niemand ihn mehr für "kreditwürdig" nehmen und ihm seinerseits einen Gefallen erweisen würde.

Worauf es für Fiedler hinauslief war einfach gesagt: Er schuldete Ebenezer Unbehaun einen Gefallen in der Größenordnung einer Lebensrettung und dieser Gefallen wurde jetzt eingefordert - mit einem auf den ersten Blick unmöglich scheinenden Auftrag. Manche Dinge rächen sich zwar spät aber immer noch viel zu früh.

Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Fiedler zu der ihn mit beinahe unschuldigem Lächeln gegenübersitzenden Sina auf.

"Ich nehme an, der Inhalt dieses Schreibens ist Ihnen bekannt."

Ein Lächeln und leicht angedeutetes Nicken.

"In diesem Fall wissen Sie sicher auch, dass Sie mir als nächsten Schritt eine kleine Überprüfung des Textes und der darin gemachten Behauptungen finanzieren werden. Kennen sie Griselda von Radewitz? Sie ist die Autorität in Durnburg, wenn es um Wahrheit, Lügen und Versprechen geht - und sie ist nicht ganz billig."

Sina erhob sich, grinste weiter und materialisierte die Bomberjacke erneut um ihre Schultern. "Nein, noch nicht, aber mir wurde schon gesagt, dass ich sie kennenlernen würde. Los, brechen wir auf! Ich glaube nicht, das die gute Frau von Radewitz in Ihrem Vorzimmer sitzt."

"Nach Ihnen." Als sich Fiedler Schirm und Lederjacke vom Garderobenhaken hinter seinem Schreibtisch nahm, fügte er noch beiläufig hinzu: "Ich hoffe, Ihr Beschwörer hat sich nicht lumpen lassen, sonst müssen wir am Schluss noch ein paar Brocken Ihrer magischen Substanz als Bezahlung liegen lassen..."

Minuten später standen Fiedler und Sina vor einen kleinen Pavillion am Rande des Durnburger Rathausplatzes, dessen Vorderseite von drei Türen geziert wurde - mit den Beschriftungen "WC Herren", "WC Damen" und "Sonstige Besucher".

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