War da ein momentaner Anflug von Anspannung bei
seiner beschworenen Begleiterin erkennbar gewesen? Fiedler musterte
sie so unauffällig wie möglich. Nein, Sina wirkte gelassen und
ruhig - und hatte offenbar seinen Blick bemerkt, denn sie zwinkerte
ihm verschwörerisch zu, während sie mit leisen Schritten
weiterging.
Am Beichtstuhl angekommen teilten sich schwere
Samtvorhänge und alte dicke Holzbohlen pochten und knarrten leise
unter ihren Schritten beim Betreten des Gestühls. Vor ihnen hatte
Frau von Radewitz im muffigen Dämmerlicht schon eine unauffällige
hölzerne Tür an der Rückwand geöffnet und hielt diese für ihre
Kunden geöffnet. Der dahinterliegende durch drei Kronleuchter und
mehrere Kerzen erhellte fensterlose Saal im Stil der Renaissance
kontrastierte deutlich mit der Erwartung, die an das Hinterzimmer
eines Beichtgestühls gestellt werden könnte - was aber offenbar
keinen der Anwesenden störte. Mittig im Raum unter dem größten der
drei Lüster stand auf dem kunstvoll in schwarz weißen Mustern
gelegten Marmorboden ein Tisch, groß genug für acht oder zehn
Personen, dessen polierte Platte ebenfalls aus Marmor bestand.
Griselda von Radewitz hiel zielstrebig auf das
entfernte Ende der Tafel zu. „Nehmen Sie doch bitte beide Platz! Es
freut mich, Sie einmal mehr als meinen Kunden begrüßen zu dürfen,
Herr Fiedler. Ich nehme an, Sie haben das zu prüfende Dokument bei
sich?“
„Das zu prüfende Dokument? Darf ich daraus
messerscharf kombinieren, dass Sie uns nicht nur erwartet haben und
über die Person meiner Begleiterin im Vorfeld informiert waren,
sondern, dass Sie auch schon wissen, worum es geht?“ In Fiedlers
Stimme schwang mehr als eine Spur von Ironie mit?
Griselda lachte kurz und angemessen: „Ich denke
nicht, dass diese Schlussfolgerung eine große Herausforderung für
Ihre legendären detektivischen Fähigkeiten war. Natürlich haben
Sie Recht: Ihr Anliegen ist mir bereits angekündigt worden.“
(Fiedler notierte routinemäßig, dass sie es stets vermied, die seit
der Ankündigung verstrichene Zeit zu erwähnen.) „Mir ist auch
klar, das mein Vorwissen in der Angelegenheit mich im Grunde nicht
vertrauenswürdiger macht. Allerdings denke ich, Sie arbeiten lange
genug mit mir zusammen, um sich meiner Integrität sicher sein zu
können. Sollten Sie natürlich aus irgendwelchen Gründen Zweifel
hegen, steht es Ihnen selbstverständlich frei, die Dienste eines
anderen Experten in Anspruch zu nehmen – ich werde es Ihnen
sicherlich nicht krumm nehmen.“
Schon bevor sie den letzten Satz vollendet hatte,
schüttelte Fiedler den Kopf: „Ihre Integrität will ich nun
wirklich nicht anzweifeln, Frau von Radewitz, und wenn ich an unsere
bisherigen Geschäfte zurückdenke, sehe ich auch keinen Grund dafür.
Außerdem,“ ein sarkastischer Zug schlich sich um Fiedlers
Mundwinkel, als er mit einem Seitenblick auf Sina fortfuhr „scheint
der Verfasser des zu prüfenden Dokumentes Ihre Dienste bereits im
Voraus gebucht zu haben, was mir die üblicherweise lästige
Diskussion um die Spesenabrechnung erleichtert.“ Mit leicht
großspurig wirkender Geste fischte Fiedler den Umschlag aus der
Innentasche seiner Lederjacke und platzierte ihn vor sich auf dem
glänzenden Marmor der Tischplatte. „Voilà. Das zu prüfende
Dokument.“
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