4. Verschlungene Wege (2)


Scheinbar in Gedanken versunken riss er einen schmalen Streifen Papier von einer der dünnen mit blassen Werbeaufdrucken versehenen Servietten ab und strich ihn auf dem dunkelbraun lackierten Holz des Cafétischs glatt. Dann griff er mit blinder Sicherheit in die rechte Innentasche seiner Lederjacke und zückte seinen weißen abgegriffenen Kugelschreiber, mit dem er seinen Namen und das Wort "Heute" auf den dünnen Papierstreifen. Ein aufmerksamer Beobachter hätte dabei feststellen können, dass Fiedlers Hand dabei um ein mattschwarzes Objekt herumgreifen musste, das eine Pistole hätte sein können.

Nichts trübte die naive Unschuld in Sinas Gesicht, doch in ihrer Stimme perlte Ironie. "Führen Sie Tagebuch?" Mit einer Mischung aus Coolness und Neugier neigte sich Sina etwas näher zum Tisch und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf die Tasse in ihrer Hand.

"Ja, ich notiere mir, wie ich heute heiße. Wenn Sie sich vielleicht bei der Gelegenheit auch ein wenig nützlich machen wollen, dann könnten Sie beispielsweise einen Knopf auftreiben."

"Einen Knopf?"

"Einen Knopf. Wie in 'Hosenknopf'. Nicht zu groß - etwa so wie die Dinger an Ihrem Oberteil. Ob Plastik, Metall, Holz oder Horn ist mir egal ... ich hoffe, Sie haben die Erfindung des Plastiks nicht verpasst – oder gar die des Knopfes."

Mit unverhohlenem Amüsement lehnte sich Sina wieder in ihren Stuhl zurück. "Einen Knopf. Wenn das alles ist, was Sie brauchen, um glücklich zu sein. Ich hoffe, Sie leben daran jetzt keine seltsamen oder gar langweiligen Fantasien aus ..." Lässig und beiläufig beugte sie sich seitlich nach links zum Boden hinunter.

Just in diesem Moment erlagen ein paar Polyesterfasern an der Hose des Kellners der mit jedem Waschgang stärker an ihnen zehrenden Materialermüdung. Der Faden, den sie ausmachten riss und gab den von ihm gehaltenen schwarzen schlichten Knopf den Kräften der Spannung und der Gravitation zum Spiel frei. Lautlos rutschte der Knopf das von Nadelstreifen gezierte Hosenbein hinunter, glitt über den Umschlag, prallte mit leisem Klicken auf den Boden, sprang einmal, zweimal, dreimal auf und rollte und kullerte dann zwischen und unter den Tischen des Cafés hindurch über eine Strecke von etwa zwei Metern und dreiunddreißig Zentimetern.

In einer fließenden Bewegung fasste Sina den einher kullernden Knopf, hob ihn auf und hielt ihn Fiedler hin. "Da. Sonst noch etwas?"

"Danke. Nein." Fiedler nahm den Knopf entgegen, wog ihn in der Hand und schätzte ihn mit prüfendem Blick. Dann befand er ihn für tauglich und umwickelte ihn erstaunlich flink mit dem Serviettenstreifen. Mit den Worten "Das sollte gehen – und wir auch." stand er auf, sah noch einmal kurz auf seine Armbanduhr und legte einen Geldschein auf den Tisch.

Sina, die sich ebenfalls erhoben hatte, stutzte. "Sie zahlen wirklich in einem Normalo-Café?" Dann, nach einem kurzen Moment schien in ihrem Gesicht zum ersten Mal seit Fiedler sie gesehen hatte so etwas wie ein Funke von Sympathie. "Respekt."

"Selbstverständlich prelle ich meine Zeche nicht!" In Fiedlers Stimme lag beinahe Entrüstung. "Und natürlich ist es hart, das Paradox unten zu halten - aber hey," er kniff ein Auge halb zu und grinste schief "Professionalität verlangt eben Opfer."

Mit diesen Worten drehte er Sina den Rücken zu (worauf die ihm eine genervte Grimasse schnitt) und machte sich auf den Weg zur Tür nach draußen, wo langsam der Regen abflaute. In ihrer fließenden Art ging ihm Sina hinterher, nickte höflich, als er ihr die Türe aufhielt und wartete scheinbar gelangweilt ins große Panoramafenster des Cafés starrend, während Fiedler wieder einmal den Kragen seiner Lederjacke hochkrempelte. Drinnen hatte der junge Kellner offenbar die Abrechnung an seiner Stehkasse erledigt und bemerkte wohl gerade, dass die Gäste am Ecktisch gegangen waren, ohne dass er kassiert hätte. Gerade als er eilig in die Richtung los laufen wollte, verloren seine Beinkleider mangels Knopf den Halt und rutschten ein Stück nach unten - was seinem Bewegungsablauf zu einem slapstickartigen Stocken verhalf.

Diebisch grinsend zog Sina die Stirn kraus und knurrte etwas wie "na da haben wir auch schon besseres gesehen", wandte sich vom Fenster ab, hinter dem der peinlich berührte Kellner gerade hastig in der Küche verschwand und folgte der im Grau des trüben Spätnachmittages verschwindenden Gestalt des Detektivs.

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