Scheinbar in Gedanken versunken riss er einen
schmalen Streifen Papier von einer der dünnen mit blassen
Werbeaufdrucken versehenen Servietten ab und strich ihn auf dem
dunkelbraun lackierten Holz des Cafétischs glatt. Dann griff er mit
blinder Sicherheit in die rechte Innentasche seiner Lederjacke und
zückte seinen weißen abgegriffenen Kugelschreiber, mit dem er
seinen Namen und das Wort "Heute" auf den dünnen
Papierstreifen. Ein aufmerksamer Beobachter hätte dabei feststellen
können, dass Fiedlers Hand dabei um ein mattschwarzes Objekt
herumgreifen musste, das eine Pistole hätte sein können.
Nichts trübte die naive Unschuld in Sinas
Gesicht, doch in ihrer Stimme perlte Ironie. "Führen Sie
Tagebuch?" Mit einer Mischung aus Coolness und Neugier neigte
sich Sina etwas näher zum Tisch und konzentrierte ihre
Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf die Tasse in ihrer Hand.
"Ja, ich notiere mir, wie ich heute heiße.
Wenn Sie sich vielleicht bei der Gelegenheit auch ein wenig nützlich
machen wollen, dann könnten Sie beispielsweise einen Knopf
auftreiben."
"Einen Knopf?"
"Einen Knopf. Wie in 'Hosenknopf'. Nicht zu
groß - etwa so wie die Dinger an Ihrem Oberteil. Ob Plastik, Metall,
Holz oder Horn ist mir egal ... ich hoffe, Sie haben die Erfindung
des Plastiks nicht verpasst – oder gar die des Knopfes."
Mit unverhohlenem Amüsement lehnte sich Sina
wieder in ihren Stuhl zurück. "Einen Knopf. Wenn das alles ist,
was Sie brauchen, um glücklich zu sein. Ich hoffe, Sie leben daran
jetzt keine seltsamen oder gar langweiligen Fantasien aus ..."
Lässig und beiläufig beugte sie sich seitlich nach links zum Boden
hinunter.
Just in diesem Moment erlagen ein paar
Polyesterfasern an der Hose des Kellners der mit jedem Waschgang
stärker an ihnen zehrenden Materialermüdung. Der Faden, den sie
ausmachten riss und gab den von ihm gehaltenen schwarzen schlichten
Knopf den Kräften der Spannung und der Gravitation zum Spiel frei.
Lautlos rutschte der Knopf das von Nadelstreifen gezierte Hosenbein
hinunter, glitt über den Umschlag, prallte mit leisem Klicken auf
den Boden, sprang einmal, zweimal, dreimal auf und rollte und
kullerte dann zwischen und unter den Tischen des Cafés hindurch über
eine Strecke von etwa zwei Metern und dreiunddreißig Zentimetern.
In einer fließenden Bewegung fasste Sina den
einher kullernden Knopf, hob ihn auf und hielt ihn Fiedler hin. "Da.
Sonst noch etwas?"
"Danke. Nein." Fiedler nahm den Knopf
entgegen, wog ihn in der Hand und schätzte ihn mit prüfendem Blick.
Dann befand er ihn für tauglich und umwickelte ihn erstaunlich flink
mit dem Serviettenstreifen. Mit den Worten "Das sollte gehen –
und wir auch." stand er auf, sah noch einmal kurz auf seine
Armbanduhr und legte einen Geldschein auf den Tisch.
Sina, die sich ebenfalls erhoben hatte, stutzte.
"Sie zahlen wirklich in einem Normalo-Café?" Dann, nach
einem kurzen Moment schien in ihrem Gesicht zum ersten Mal seit
Fiedler sie gesehen hatte so etwas wie ein Funke von Sympathie.
"Respekt."
"Selbstverständlich prelle ich meine Zeche
nicht!" In Fiedlers Stimme lag beinahe Entrüstung. "Und
natürlich ist es hart, das Paradox unten zu halten - aber hey,"
er kniff ein Auge halb zu und grinste schief "Professionalität
verlangt eben Opfer."
Mit diesen Worten drehte er Sina den Rücken zu
(worauf die ihm eine genervte Grimasse schnitt) und machte sich auf
den Weg zur Tür nach draußen, wo langsam der Regen abflaute. In
ihrer fließenden Art ging ihm Sina hinterher, nickte höflich, als
er ihr die Türe aufhielt und wartete scheinbar gelangweilt ins große
Panoramafenster des Cafés starrend, während Fiedler wieder einmal
den Kragen seiner Lederjacke hochkrempelte. Drinnen hatte der junge
Kellner offenbar die Abrechnung an seiner Stehkasse erledigt und
bemerkte wohl gerade, dass die Gäste am Ecktisch gegangen waren,
ohne dass er kassiert hätte. Gerade als er eilig in die Richtung los
laufen wollte, verloren seine Beinkleider mangels Knopf den Halt und
rutschten ein Stück nach unten - was seinem Bewegungsablauf zu einem
slapstickartigen Stocken verhalf.
Diebisch grinsend zog Sina die Stirn kraus und
knurrte etwas wie "na da haben wir auch schon besseres gesehen",
wandte sich vom Fenster ab, hinter dem der peinlich berührte Kellner
gerade hastig in der Küche verschwand und folgte der im Grau des
trüben Spätnachmittages verschwindenden Gestalt des Detektivs.
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