4. Verschlungene Wege (6)


Für einen kurzen Moment starrte der Detektiv seinem eigenen Spiegelbild entgegen und nahm am Rande wahr, dass sein Aussehen nach diesem Regentag eher dem eines begossenen Terriers ähnelte als dem scharfsinnigen Privatschnüffler, als den er sich begriff. Bevor er sich jedoch an dieser Tatsache stören, geschweige denn etwas an ihr ändern konnte, wurde das zuvor klare Glas des Spiegels milchig trüb, als hätte ein unsichtbarer Riese dagegen gehaucht. Jedoch währte auch dieser Zustand nicht lange und in Wellenringen von innen nach außen, wie ein Tropfen, der in einen stillen Bergsee fällt, breitete sich glänzende Schwärze über die Fläche aus.

Als der gesamte Spiegel von schimmerndem Schwarz ausgefüllt war, erklang Uhlenbrocks Stimme ruhig und sachlich von hinter dem Schreibtisch: "Ihre erste Frage muss ich mit einem uneindeutigen Nein beantworten: Till Haubold hält sich entweder nicht in der Stadt auf oder er hat Vorkehrungen getroffen, um nicht über magische Mittel aufspürbar zu sein."

Fiedler brummte eine unwillige Bestätigung. Ein alter Hase unter den Grenzgängern, wie Haubold einer war, hatte sowohl Gründe als auch Möglichkeiten, sich vor einfacher Wahrnehmungsmagie, wie sie Uhlenbrock gerade einsetzte zu verstecken. Für seine Belange war es aber gleichgültig, ob Haubold abwesend oder beschäftigt war - in beiden Fällen konnte er nicht auf ihn zurückgreifen. Andererseits wäre Haubold wahrscheinlich auch zu vorsichtig gewesen, um bei der Sache mitzumachen...

Mittlerweile hatte eine erneute Wellenfront ihre Kreise über den Spiegel gezogen und das Bild zeigte nun das Bild eines gepflegt wirkenden Mannes Anfang 30, der auf einem einfachen Bett in einen recht kahlen Raum lag und in einem Buch las. Fiedler verdrehte die Augen. "Vergessen Sie es, Balthasar, natürlich sitzt Leymann noch seine Haftstrafe ab. ich habe verdrängt, dass er eingebuchtet wurde - und im Gefängnis ist er mir sowas von unnütz."

"Gut, dann wechsle ich zu Steinmeier. Wie war gleich der Vorname?"

"Finn."

"Ah ja. Gut. Das ist eindeutig in dieser Stadt."

Ein weiterer Wellenschlag, ein weiterer Bildwechsel und im Spiegel zeigte sich das Abbild eines hageren Mannes Mitte zwanzig mit unbändigen langen krausen Haaren, der in einer zerschlissenen und völlig durchnässten Jeansjacke auf dem Schoß einer gußeisernen Frauenstatue saß und mit Steinen nach ein paar Vögeln warf. Unter ihm zogen die grün-grauen Fluten der Elm ihren Weg in Richtung Meer und vor ihm spannte sich in schmalem eleganten Bogen die moderne überdachte Plastik-, Glas- und Betonkonstruktion der Neuen Schlosserbrücke durch das Bild.

"Na bitte. Wenigstens einer, der wirkt, als hätte er nichts besseres zu tun!" Fiedlers Stimme schwankte zwischen Sarkasmus und Zufriedenheit. Dann runzelte er die Stirn. "Ahm ... Sie sind doch immer bestens informiert, Balthasar. Hat die Neue Schlosserbrücke denn noch den Troll?"

"Ja, soweit ich unterrichtet bin schon. Soll ich ihn ins Bild holen?"

"Nein, nicht nötig. Mit dem kriege ich keine Probleme." ...und Finn offenbar auch nicht, fügte er unausgesprochen hinzu.

"Eine Kleinigkeit vielleicht noch: Könnten Sie mir einen kurzen Ausblick von den Ausgängen der Buchhandlung geben? Ich möchte wissen, wo sich meine Begleiterin und Aufpasserin gerade aufhält."

Uhlenbrock lachte trocken. "Ich würde Sie auch gleich auf die Brücke bringen, wenn das bei Ihnen möglich wäre. Damit wären Sie eine Verfolgerin sicherlich los."

"Danke, aber da bin ich eben schwierig.“ Fiedler feixte routiniert „Vielleicht komme ich aber auf ihr Angebot zurück, Balthasar, und bitte Sie darum, mir einen Ihrer legendären Schleichwege hier heraus zu öffnen."

Der Spiegel trübte sich erneut und zeigte nun zwei Bilder nebeneinander, deren Grenze in einem unscharfen Streifen verlief. Auf beiden Hälften sah man ein unterschiedliches Stück Straße - jeweils vor und hinter dem Buchgeschäft. Bei genauerer Betrachtung wäre einem Normalmenschen allerdings der Umstand merkwürdig vorgekommen, dass auf beiden Bildern die selbe schwarzhaarige orientalisch anmutende Frau mit schwarzer Bomberjacke, Kopfhörern und gelangweilter Körpersprache zu sehen war, die einmal an einem Laternenpfahl und einmal an einer Hauswand lehnte. Sina.

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