"Guten Tag, der Herr, was darf ich Ihnen
bringen?" Mit professionell-freundlichem Lächeln fixierte der
junge adrett gekleidete Kellner vom "Café Hinterhof" den
lässig auf der gepolsterten Eckbank fläzenden Alexander Fiedler.
"Zwei doppelte Espresso bitte."
Ein kurzes Nicken, eine Notiz, dann waren Sina und
Fiedler wieder alleine am Tisch in dem halbwegs gut besuchten Café.
"Respekt, Fiedler, ich habe schon lange
keinen Grenzgänger mehr erlebt, der von einem Kellner ohne weiteres
angesprochen wurde - müssen Sie am Schluss auch noch bezahlen?"
Sina sah sich um. "Mal im Ernst - wieso bleiben Sie so nahe an
der Normalität? Das muss doch verflixt schwierig sein?"
"Wissen Sie, mein Spezialgebiet sind Fälle,
in die beide Seiten des Schleiers verwickelt sind - Grenzweltler und
Normalos – und da ist es ziemlich praktisch, wenn man von allen
Beteiligten wahrgenommen wird. Allerdings reicht es nicht, wenn man
ab und zu mal gesehen wird, sondern man muss halbwegs Teil des
Systems sein. Ein Normalo will von einem Privatdetektiv wie mir auch
mal 'ne Lizenz und 'nen Ausweis sehen und so Dinger sind auch
tierisch nützlich, wenn man mit den Bullen auf der anderen Seite
zusammenarbeiten möchte oder muss. Also ist es für mich quasi
geschäftlich wichtig, so wenig Paradox aufzusammeln wie möglich.
Sie verstehen?"
Fiedler setzte sich ein wenig auf und lehnte sich
dann mit einem Ellbogen auf den Tisch zwischen ihnen.
"Wenn wir aber schon bei persönlichen Fragen
sind, meine Liebe, lassen Sie mich doch ein bisschen in Ihrer
Privatsphäre herumschnüffeln." Sinas Ausdruck blieb gelassen,
doch ihre Augen stellten sichtlich auf Fiedlers Gesicht scharf -
messerscharf. "Ich bin kein Experte, was Beschworene angeht,
aber ich habe schon ein paar von Ihresgleichen erlebt. Wenn ich
überlege, wie Sie sich darstellen, sich geben, auf Menschen und
Menscheleien reagieren, - verdammt, Sie trinken Kaffee - würde ich
sagen, dass Sie wahrscheinlich keine Anderweltlerin und kein
Konstrukt sind, sondern ein Geist dieser Welt. Für eine ruhelose
oder verfluchte Seele sind Sie zu gelassen und positiv, für einen
einfachen hilfreichen Geist haben Sie zu viel Biss. Außerdem
scheinen Sie nicht besonders positiv Ihrem Beschwörer gegenüber
eingestellt zu sein - eine generelle Abneigung gegen das
Beschworenwerden oder eine persönliche Sache zwischen Ihnen und
Herrn Unbehaun?"
Die Frage blieb im Raum stehen und beide warteten
ab, bis der Kellner herangekommen war, zwei modern wirkende
Kaffeetassen zwischen sie gestellt hatte und wieder verschwunden war.
"Sie sagen, Sie kennen sich mit unsereins
aus, Fiedler? Dann erwarten Sie jetzt sicher keine Antwort. Was
zwischen Herrn Unbehaun und mir ist, geht Sie nichts an. Lassen Sie
uns doch über sinnvollere Dinge sprechen. Wie wollen Sie an die
Sache heran gehen?"
Während Sinas Antwort hatte sich Fiedler eine der
beiden Tassen geschnappt, mehrere Löffel Zucker hinein rieseln
lassen und sich mit dem schwarzen dampfenden Gebräu wieder zurück
an die Wand gelehnt.
"Nun ja ..." ein gedankenverlorenes
Schlürfen am Kaffee "... bei allem, was ich über ihn weiß,
gehe ich nicht davon aus, dass Herr Unbehaun mich ohne nähere
Überlegung engagiert hat. Es ist anzunehmen, dass er die klassischen
Wege, Frau Kirchner über Medien, Geisterbeschwörer und ähnliche
Leichenschänder aufzuspüren schon so weitestgehend durchprobiert
hat. Aber selbst wenn dem so sein sollte - wieso heuert er mich an?
Weil ich ihm einen Gefallen schulde? Unwahrscheinlich, meinen Sie
nicht? Vor allem, bei dem beachtlichen Aufwand, den dazu noch
getrieben hat - das Siegel, Frau von Radewitz, Sie ..."
Fiedler ließ das Satzende offen und nippte abermals an seinem Kaffee. Auch Sina hatte sich inzwischen die Tasse genommen,
noch mehr Zucker als Fiedler hinein gefüllt, umgerührt, genussvoll
daran gerochen, genippt und sich dann mit unschuldig erwartungsvollem
Gesicht auf ihren Gegenüber konzentriert.
"Nein, Verehrteste, wie ich bereits zuvor
schon sagte - Ihr Herr und Meister hat gerade mich für den Job
ausgesucht, weil ich dabei war ... oder zumindest beinahe." Ein
weiterer kleiner Schluck schwarzen süßen Espressos verschwand
zwischen Fiedlers Lippen. "Wahrscheinlich wissen Sie das besser
als ich: Dinge finden sich viel einfacher, wenn man ein Ende eines
Fadens in der Hand hat, an dem sie hängen. Offenbar glaubt Unbehaun,
ich hätte einen solchen Faden, oder würde leicht an einen kommen.
Mal sehen, ob er damit richtig liegt."
Fiedlers Gesicht wurde ernst und er blickte auf
das silberne Ziffernblatt der abgenutzten Uhr an seinem Arm. Zehn
Minuten vor fünf. Noch etwas Zeit. Sein Blick wanderte wieder
hinüber zu Sina und ihrer fast schon zärtlich gehaltenen
Espressotasse. In der Tat ziemlich menschlich - eine Beschworene, die
ein Faible für (zugegebenermaßen guten) Kaffee besaß und diesen
zudem noch trank. Offensichtlich hatte sie das Menschsein entweder
selbst erfahren oder auf irgendeine Art sehr zu schätzen gelernt. Er
fragte sich, wie alt die Dame wohl sein mochte. Jahrzehnte?
Jahrhunderte? Jahrtausende? Beschworene waren schwer einzuschätzen.
1 Kommentar:
Update: Auf besonderen Wunsch von Herrn Fiedler persönlich wurde der Modus Operandi des Kaffeeschlürfens "enthakt" :-)
So viel Zeit muss sein...
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