4. Verschlungene Wege (1)


"Guten Tag, der Herr, was darf ich Ihnen bringen?" Mit professionell-freundlichem Lächeln fixierte der junge adrett gekleidete Kellner vom "Café Hinterhof" den lässig auf der gepolsterten Eckbank fläzenden Alexander Fiedler.

"Zwei doppelte Espresso bitte."

Ein kurzes Nicken, eine Notiz, dann waren Sina und Fiedler wieder alleine am Tisch in dem halbwegs gut besuchten Café.

"Respekt, Fiedler, ich habe schon lange keinen Grenzgänger mehr erlebt, der von einem Kellner ohne weiteres angesprochen wurde - müssen Sie am Schluss auch noch bezahlen?" Sina sah sich um. "Mal im Ernst - wieso bleiben Sie so nahe an der Normalität? Das muss doch verflixt schwierig sein?"

"Wissen Sie, mein Spezialgebiet sind Fälle, in die beide Seiten des Schleiers verwickelt sind - Grenzweltler und Normalos – und da ist es ziemlich praktisch, wenn man von allen Beteiligten wahrgenommen wird. Allerdings reicht es nicht, wenn man ab und zu mal gesehen wird, sondern man muss halbwegs Teil des Systems sein. Ein Normalo will von einem Privatdetektiv wie mir auch mal 'ne Lizenz und 'nen Ausweis sehen und so Dinger sind auch tierisch nützlich, wenn man mit den Bullen auf der anderen Seite zusammenarbeiten möchte oder muss. Also ist es für mich quasi geschäftlich wichtig, so wenig Paradox aufzusammeln wie möglich. Sie verstehen?"

Fiedler setzte sich ein wenig auf und lehnte sich dann mit einem Ellbogen auf den Tisch zwischen ihnen.

"Wenn wir aber schon bei persönlichen Fragen sind, meine Liebe, lassen Sie mich doch ein bisschen in Ihrer Privatsphäre herumschnüffeln." Sinas Ausdruck blieb gelassen, doch ihre Augen stellten sichtlich auf Fiedlers Gesicht scharf - messerscharf. "Ich bin kein Experte, was Beschworene angeht, aber ich habe schon ein paar von Ihresgleichen erlebt. Wenn ich überlege, wie Sie sich darstellen, sich geben, auf Menschen und Menscheleien reagieren, - verdammt, Sie trinken Kaffee - würde ich sagen, dass Sie wahrscheinlich keine Anderweltlerin und kein Konstrukt sind, sondern ein Geist dieser Welt. Für eine ruhelose oder verfluchte Seele sind Sie zu gelassen und positiv, für einen einfachen hilfreichen Geist haben Sie zu viel Biss. Außerdem scheinen Sie nicht besonders positiv Ihrem Beschwörer gegenüber eingestellt zu sein - eine generelle Abneigung gegen das Beschworenwerden oder eine persönliche Sache zwischen Ihnen und Herrn Unbehaun?"

Die Frage blieb im Raum stehen und beide warteten ab, bis der Kellner herangekommen war, zwei modern wirkende Kaffeetassen zwischen sie gestellt hatte und wieder verschwunden war.

"Sie sagen, Sie kennen sich mit unsereins aus, Fiedler? Dann erwarten Sie jetzt sicher keine Antwort. Was zwischen Herrn Unbehaun und mir ist, geht Sie nichts an. Lassen Sie uns doch über sinnvollere Dinge sprechen. Wie wollen Sie an die Sache heran gehen?"

Während Sinas Antwort hatte sich Fiedler eine der beiden Tassen geschnappt, mehrere Löffel Zucker hinein rieseln lassen und sich mit dem schwarzen dampfenden Gebräu wieder zurück an die Wand gelehnt.

"Nun ja ..." ein gedankenverlorenes Schlürfen am Kaffee "... bei allem, was ich über ihn weiß, gehe ich nicht davon aus, dass Herr Unbehaun mich ohne nähere Überlegung engagiert hat. Es ist anzunehmen, dass er die klassischen Wege, Frau Kirchner über Medien, Geisterbeschwörer und ähnliche Leichenschänder aufzuspüren schon so weitestgehend durchprobiert hat. Aber selbst wenn dem so sein sollte - wieso heuert er mich an? Weil ich ihm einen Gefallen schulde? Unwahrscheinlich, meinen Sie nicht? Vor allem, bei dem beachtlichen Aufwand, den dazu noch getrieben hat - das Siegel, Frau von Radewitz, Sie ..."

Fiedler ließ das Satzende offen und nippte abermals an seinem Kaffee. Auch Sina hatte sich inzwischen die Tasse genommen, noch mehr Zucker als Fiedler hinein gefüllt, umgerührt, genussvoll daran gerochen, genippt und sich dann mit unschuldig erwartungsvollem Gesicht auf ihren Gegenüber konzentriert.

"Nein, Verehrteste, wie ich bereits zuvor schon sagte - Ihr Herr und Meister hat gerade mich für den Job ausgesucht, weil ich dabei war ... oder zumindest beinahe." Ein weiterer kleiner Schluck schwarzen süßen Espressos verschwand zwischen Fiedlers Lippen. "Wahrscheinlich wissen Sie das besser als ich: Dinge finden sich viel einfacher, wenn man ein Ende eines Fadens in der Hand hat, an dem sie hängen. Offenbar glaubt Unbehaun, ich hätte einen solchen Faden, oder würde leicht an einen kommen. Mal sehen, ob er damit richtig liegt."

Fiedlers Gesicht wurde ernst und er blickte auf das silberne Ziffernblatt der abgenutzten Uhr an seinem Arm. Zehn Minuten vor fünf. Noch etwas Zeit. Sein Blick wanderte wieder hinüber zu Sina und ihrer fast schon zärtlich gehaltenen Espressotasse. In der Tat ziemlich menschlich - eine Beschworene, die ein Faible für (zugegebenermaßen guten) Kaffee besaß und diesen zudem noch trank. Offensichtlich hatte sie das Menschsein entweder selbst erfahren oder auf irgendeine Art sehr zu schätzen gelernt. Er fragte sich, wie alt die Dame wohl sein mochte. Jahrzehnte? Jahrhunderte? Jahrtausende? Beschworene waren schwer einzuschätzen.

1 Kommentar:

Bernhard hat gesagt…

Update: Auf besonderen Wunsch von Herrn Fiedler persönlich wurde der Modus Operandi des Kaffeeschlürfens "enthakt" :-)

So viel Zeit muss sein...