3. Sonstige Besucher (1)


"Wie ausgesprochen stilsicher! Ich bin beeindruckt." Das amüsierte Lächeln, welches seit dem Aufbruch aus Fiedlers Büro nie vollständig von Sinas Gesicht gewichen war wuchs zu einem breiten Grinsen. "Hat das Reinigungspersonal in eurem schicken neuen Jahrtausend jetzt Nebenjobs als Notare für Grenzgänger?"

"Tja, meine Liebe, lassen Sie sich überraschen. Gerade Frauen in Ihrem Alter sollten wissen, dass der äußere Schein nur all zu oft trügt." Befriedigt realisierte Fiedler, dass Sinas Mimik von Erheiterung zu leichter Empörung wechselte.

Mittlerweile hatte Gruppe von etwa einem Dutzend junger Frauen (allesamt in orangefarbenen Trikots mit der Aufschrift "Tinas Jungesellinnenabschied"), ihre vollständige Blockade des Toilettenhäuschens aufgehoben und verzog sich fröhlich schnatternd in Richtung Rathauscafé. Mit kurzem Schulterblick versicherte sich Fiedler, dass sie gerade keine besondere Aufmerksamkeit auf sich zogen, nickte zufrieden, schritt auf die Türe "Sonstige Besucher" zu und hielt sie mit einer galanten Geste für Sina offen. "Nach Ihnen, gnä' Frau..."

"Für einen Grenzgänger sind Sie ganz schön besorgt, nicht bei Grenzgängerdingen beobachtet zu werden. Achten wir darauf, unser Paradox niedrig zu halten, Herr Fiedler?" Der Spott war zurück in Sinas Stimme.

"Man tut, was der Beruf verlangt." Als die Türe hinter ihnen ins Schloss fiel, standen die beiden in einer von dämmrigem Notlicht erleuchteten Kammer, an deren kahlen Betonwänden einige Besen und Reinigungswerkzeuge in vorhängeschlossgesicherten Gitterkäfigen ihr tristes Dasein fristeten. Gegenüber des Eingangs befand sich gleich noch eine Türe, diesmal aus schwarzem matten Metall - mit einem geschlossenen Sichtschlitz in Augenhöhe.

Auf energisches Klopfen seitens Fiedlers erklangen von der anderen Seite erst gedämpft ein paar schwere Schritte, wie von Stiefeln auf Steinboden in einem großen Raum, dann glitt der Sichtschlitz mit aggressivem Zischen auf und enthüllte ein Gitter, hinter dem eine spiegelnde Glasfläche das fahlgrüne Licht der Deckenlampe in der Abstellkammer reflektierte. "Ja?" Die Männerstimme, die hinter der Tür hervor klang war klar und deutlich hörbar - und wirkte überraschend höflich und freundlich.

"Alexander Fiedler und ein Gast. Ich bin zur Verifikation eines Dokumentes hier und die Dame in meiner Begleitung ist eine Beschworene meines Auftraggebers." Nach einem kurzen Seitenblick zu Sina fügte er lächelnd und mit höflichem Bedauern hinzu: "Leider kann ich nur für meine Person bürgen - über Absichten und Fähigkeiten meiner Begleiterin bin ich nicht informiert."

Wahrscheinlich war es nur seine Magieimmunität, die ihn davor rettete, von Sinas bloßen Blicken getötet zu werden, doch die Stimme auf der anderen Seite der Türe schien völlig unbeeindruckt. "Herr Fiedler und ein beschworener Gast. Sehr wohl. Haben Sie bitte einen Moment Geduld, ich melde Ihren Besuch." Mit erneutem fiesen Zischen schloss sich der Schlitz und Schritte entfernten sich.

In Sinas Stimme lag mehr als nur ein bisschen Fauchen: "Diese Bemerkung war äußerst unangebracht, Herr Fiedler! Ich dachte, Sie hätten verstanden, dass Sie mich als Repräsentanten Ihres Auftraggebers behandeln sollen! Etwas mehr Respekt hielte ich für durchaus angemessen."

Fiedlers Gesicht war die Unschuld selbst, während in seiner Stimme ein leises Lachen mitklang: "Aber aber, meine Liebe, nun fahren Sie doch nicht gleich aus Ihrer selbstgemachten Haut! Natürlich behandle ich Sie genau so, wie ich Herrn Unbehaun als meinen Auftraggeber behandeln würde - aber erst sobald sich die Sache als sauber herausgestellt hat. Bis dahin sind Sie für mich ein potentielles Risiko, das ich meinen Geschäftspartnern nicht einfach so aufbürden möchte. So viel Professionalität muss sein, finden Sie nicht?"

Bevor Sina etwas entgegnen konnte, näherten sich wieder die Schritte von jenseits der Türe. "Herr Fiedler und die beschworene Dame werden bereits erwartet. Ich bitte einzutreten!" Bei den letzten Worten schwang die Türe lautlos auf und enthüllte den Blick durch einen beiseite gezogenen Vorhang auf ein durch bunte hohe Glasfenster mit farbigem Zwielicht erfülltes hohes gotisches Kirchenschiff.

Mit leisem anerkennendem Pfeifen ließ Fiedler etwas Luft zwischen den Zähnen entweichen. "Sie hat umdekoriert - nicht schlecht! Die Geschäfte müssen gut laufen!"

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