Es gab Tage, da war sich Fiedler sicher, jeden
Pflasterstein in der Altstadt mit Vornamen zu kennen. Derzeit musste
er sich aber mürrisch eingestehen, dass er etwas suchte und
irgendwie nicht fand - dieser verdammte Regen spülte ihm offenbar
den Verstand aus dem Kopf. Es kostete ihn glatte zehn Minuten
Fußmarsch durch die regennassen Gassen bis es endlich fand, was er
gesucht hatte. Das Ziel endlich vor Augen, hielt er schnurstracks auf
den Zigarettenautomaten unter dem leckenden Vordach der verlassenen
Bushaltestelle zu.
Unter Sinas leicht erstaunten und mehr als nur
leicht skeptischen Blicken zog er den papierumwickelten Hosenknopf
aus der Jackentasche, überprüfte noch einmal, dass die beschriftete
Serviettenbanderole richtig saß und beförderte dann den Knopf in
den Einwurf des Automaten. Aus dem Gerät drang leises mechanisches
Klackern, dann rollte der Knopf samt Banderole wieder heraus. Ohne
eine Miene zu verziehen nahm ihn Fiedler wieder auf und warf ihn noch
einmal ein. Beim dritten Versuch schließlich verblieb der Knopf in
den Eingeweiden der Maschine und Fiedler wandte sich zufrieden zu
seiner ein wenig zweifelnd dreinblickenden Begleiterin um.
"So. Auf zu Uhlenbrock! Die haben nur bis
18:00 geöffnet - und ich will den guten Balthasar nicht aus seinem
wohlverdienten Feierabend klingeln."
"Was auch immer Sie sagen - und Glückwunsch
zu Ihrer Entscheidung lieber nicht rauchen zu wollen, das ist viel
gesünder. Dabei hätte ich gedacht, dass der Trick mit dem Knopf
schon seit fünfzig Jahren nicht mehr funktioniert..." Sina
klang gespielt gelangweilt und fast schon maulig.
"Wissen Sie, anders als Sie bin ich sowohl in
dieser Stadt als auch in diesem Jahrhundert zuhause. Vertrauen Sie
mir - ich weiß schon, was ich tue. Kümmern Sie sich lieber weiter
darum, ihre mühsam manifestierte Haut nicht nass werden zu lassen!"
Wortlos und zügig gingen die beiden Grenzbewohner
durch die frühabendliche Durnburger Altstadt bis Sina schließlich
das Schweigen brach. "Wer ist dieser früh zu Bett gehende
Uhlenbrock?"
Fiedler grinste in sich hinein. Sieben Minuten und
zwölf Sekunden war seine Begleiterin beleidigt gewesen bis die
Neugier gesiegt hatte. Bei aller Stichelei - ihre Menschlichkeit und
ihre Reaktionen machten es ihm leicht, sich mit dem Gedanken ihrer
Anwesenheit anzufreunden. Im Laufe seiner Karriere als Detektiv und
noch viel mehr in seinem Leben zuvor als Söldner hatte schon viele
weitaus schlimmere Beschworene erlebt - und die meisten davon hatten
einen auf "guter Geist" gemacht. Dieses Exemplar hier war
offenbar einfach so, wie sie war - unverhohlen Beschworene und
unverhohlen Mensch. Natürlich spielte sie nicht mit offenen Karten
(wer tat das schon?), aber wenigstens machte sie keinen Hehl draus.
Trotzdem musste er sie für einige Zeit loswerden um alleine mit
Uhlenbrock zu sprechen und wenn es ging auch um Giorgios
Nachrichtensystem nicht gänzlich preiszugeben.
"Uhlenbrock? Ach ein alter Bücherfritze. Ihm
gehört die Buchhandlung da drüben!" Mit der linken Hand
gestikulierte er in Richtung eines ehrwürdig wirkenden
Altstadthauses, das sich zwischen zwei pastellfarben renovierten
Häusern mit dem mangelndem Charme der 60er Jahre einzwängte. In den
relativ kleinen und altmodisch wirkenden Schaufenstern zur Straße
hin lagen Reihen um Reihen von Büchern und über dem Eingang des
Gebäudes prangte eine metallene Eule, die in ihren Klauen einen
Handspiegel hielt. Darüber prangte von Wetter und Zeit mattierte
Schriftzug "Uhlenspiegel - Buchhandlung und Antiquariat" in
grausilbernen Lettern.
Als der erwartete spitzfindige Kommentar zu lange
ausgeblieben war, drehte sich Fiedler zu Sina um und war überrascht
festzustellen, dass sie das Gebäude mit großen Augen ansah.
"Balthasar Uhlenbrock - der Spiegelmagier im
Hinterzimmer, nicht wahr? Danke, Herr Fiedler, zu dem Herren gehen
Sie alleine."
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