4. Verschlungene Wege (3)


Es gab Tage, da war sich Fiedler sicher, jeden Pflasterstein in der Altstadt mit Vornamen zu kennen. Derzeit musste er sich aber mürrisch eingestehen, dass er etwas suchte und irgendwie nicht fand - dieser verdammte Regen spülte ihm offenbar den Verstand aus dem Kopf. Es kostete ihn glatte zehn Minuten Fußmarsch durch die regennassen Gassen bis es endlich fand, was er gesucht hatte. Das Ziel endlich vor Augen, hielt er schnurstracks auf den Zigarettenautomaten unter dem leckenden Vordach der verlassenen Bushaltestelle zu.

Unter Sinas leicht erstaunten und mehr als nur leicht skeptischen Blicken zog er den papierumwickelten Hosenknopf aus der Jackentasche, überprüfte noch einmal, dass die beschriftete Serviettenbanderole richtig saß und beförderte dann den Knopf in den Einwurf des Automaten. Aus dem Gerät drang leises mechanisches Klackern, dann rollte der Knopf samt Banderole wieder heraus. Ohne eine Miene zu verziehen nahm ihn Fiedler wieder auf und warf ihn noch einmal ein. Beim dritten Versuch schließlich verblieb der Knopf in den Eingeweiden der Maschine und Fiedler wandte sich zufrieden zu seiner ein wenig zweifelnd dreinblickenden Begleiterin um.

"So. Auf zu Uhlenbrock! Die haben nur bis 18:00 geöffnet - und ich will den guten Balthasar nicht aus seinem wohlverdienten Feierabend klingeln."

"Was auch immer Sie sagen - und Glückwunsch zu Ihrer Entscheidung lieber nicht rauchen zu wollen, das ist viel gesünder. Dabei hätte ich gedacht, dass der Trick mit dem Knopf schon seit fünfzig Jahren nicht mehr funktioniert..." Sina klang gespielt gelangweilt und fast schon maulig.

"Wissen Sie, anders als Sie bin ich sowohl in dieser Stadt als auch in diesem Jahrhundert zuhause. Vertrauen Sie mir - ich weiß schon, was ich tue. Kümmern Sie sich lieber weiter darum, ihre mühsam manifestierte Haut nicht nass werden zu lassen!"

Wortlos und zügig gingen die beiden Grenzbewohner durch die frühabendliche Durnburger Altstadt bis Sina schließlich das Schweigen brach. "Wer ist dieser früh zu Bett gehende Uhlenbrock?"

Fiedler grinste in sich hinein. Sieben Minuten und zwölf Sekunden war seine Begleiterin beleidigt gewesen bis die Neugier gesiegt hatte. Bei aller Stichelei - ihre Menschlichkeit und ihre Reaktionen machten es ihm leicht, sich mit dem Gedanken ihrer Anwesenheit anzufreunden. Im Laufe seiner Karriere als Detektiv und noch viel mehr in seinem Leben zuvor als Söldner hatte schon viele weitaus schlimmere Beschworene erlebt - und die meisten davon hatten einen auf "guter Geist" gemacht. Dieses Exemplar hier war offenbar einfach so, wie sie war - unverhohlen Beschworene und unverhohlen Mensch. Natürlich spielte sie nicht mit offenen Karten (wer tat das schon?), aber wenigstens machte sie keinen Hehl draus. Trotzdem musste er sie für einige Zeit loswerden um alleine mit Uhlenbrock zu sprechen und wenn es ging auch um Giorgios Nachrichtensystem nicht gänzlich preiszugeben.

"Uhlenbrock? Ach ein alter Bücherfritze. Ihm gehört die Buchhandlung da drüben!" Mit der linken Hand gestikulierte er in Richtung eines ehrwürdig wirkenden Altstadthauses, das sich zwischen zwei pastellfarben renovierten Häusern mit dem mangelndem Charme der 60er Jahre einzwängte. In den relativ kleinen und altmodisch wirkenden Schaufenstern zur Straße hin lagen Reihen um Reihen von Büchern und über dem Eingang des Gebäudes prangte eine metallene Eule, die in ihren Klauen einen Handspiegel hielt. Darüber prangte von Wetter und Zeit mattierte Schriftzug "Uhlenspiegel - Buchhandlung und Antiquariat" in grausilbernen Lettern.

Als der erwartete spitzfindige Kommentar zu lange ausgeblieben war, drehte sich Fiedler zu Sina um und war überrascht festzustellen, dass sie das Gebäude mit großen Augen ansah.

"Balthasar Uhlenbrock - der Spiegelmagier im Hinterzimmer, nicht wahr? Danke, Herr Fiedler, zu dem Herren gehen Sie alleine."

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