Jetzt war es an Fiedler, verblüfft zu sein. "Sie
kennen Uhlenbrock?"
"Flüchtig. Ich hatte schon einmal das
Vergnügen und bin damals glücklicherweise nicht in seinem Spiegel
geendet. Allerdings verzichte ich gerne auf das Erlebnis. Sie haben
Ihr Wort gegeben, überflüssiges Misstrauen ist meiner Ansicht nach
nicht angebracht. Ich warte hier draußen."
Das war ja einfach. Mehr war nicht nötig, um
seine Verfolgerin loszuwerden? "Na dann hole ich Sie nachher
hier wieder ab - die Straße rauf ist 'n Mac und gegenüber noch ein
Café. Wenn Sie hier nicht sind, suche ich Sie da und wenn Sie da
nicht sind, mache ich alleine am Auftrag weiter."
Sina nickte mürrisch, lehnte sich an eine der auf
alt gemachten Straßenlaternen im Schmiedeeisen-Look, verschränkte
die Arme und materialisierte einen Kopfhörer auf ihren Ohren.
Kopfschüttelnd und beschwingten Schrittes ließ Fiedler sie zurück.
Das Innere der Buchhandlung Uhlenspiegel war alles
andere als übersichtlich. Hier gab es keine Tische mit ausgelegten
Bestsellern und daran angelehnten aber weniger erfolgreichen
Trittbrettfahrern, statt dessen stand alles voll mit hohen Regalen,
vom Boden bis zur Decke gefüllt mit Büchern gebunden in Karton,
Papier, Tuch oder Leder. Ein paar Schritte vom Eingang entfernt war
ein kleiner Kassentisch, hinter dem eine junge Frau mit kurzen
aschblonden Haaren und mäßig geschmackvoller Kleidung Fiedler
freundlich zunickte, bevor sie sich wieder einem Bücherstapel
zuwandte und Preisschilder aufklebte.
Zielstrebig suchte Fiedler seinen Weg durch das
Labyrinth der verschiedenen mit Literatur unterschiedlicher Art und
Thematik vollgestopften Räume. Er stapfte die schmalen ausgetretenen
Stufen eine alten gewendelten Holztreppe hinauf in den ersten Stock
und hielt dann inne um sich umzusehen. Während im Erdgeschoß doch
einige Kunden (vornehmlich Studenten und andere nach Fachliteratur
Suchende) in den engen Regalschluchten gestanden hatten, war der
erste Stock für gewöhnlich fast menschenleer. Eigentlich entsprach
das Konzept der Buchhandlung Uhlenspiegel voll und ganz Fiedlers
Geschmack: Seit die beiden "jungen" Uhlenbrocks das
Geschäft übernommen hatten, richtete sich ein guter Teil des
Buchangebotes in Form von Fachliteratur verschiedenster Gebiete
vornehmlich an Normalos und gewährleistete damit sowohl ein gewisses
normalweltliches Einkommen als auch die Präsenz des Hauses in der
normalen Welt. Im ersten Stock standen dagegen eher antiquarische
Bücher standen, für die sich nur wenige Normalbürger
interessierten. Hinter diesen verborgen waren zwei Dinge: mehrere
Räume mit Grenzgängerliteratur (Encyclopädien, Magiebücher,
Chroniken, ...) und Fiedlers eigentliches Ziel, das Studierzimmer von
Balthasar Uhlenbrock.
Nach kurzem Umsehen und Orientieren setzte sich
Fiedler wieder in Bewegung und ging zwischen den Regalen entlang,
einem unsichtbaren Pfad folgend mal links abbiegend, mal ein Regal
umrundend und dann wieder innehaltend, um ein Buch in die Hand zu
nehmen und wieder zurückzustellen. Schließlich endeten seine
Schritte vor schweren dunkelbraunen Holztüre, eingerahmt von Regalen
mit dicken, ledergebundenen und gleichzeitig abgewetzt und würdevoll
anmutenden Wälzern. Er schüttelte kurz den Kopf: in den letzten
Jahren war es deutlich komplizierter geworden, die Türe des alten
Uhlenbrock zu erreichen - offenbar setzte sich dieser immer weiter
von der Normalität ab. Wenn Balthasar nicht etwas Vorsicht walten
ließ, dann lief er Gefahr, zusammen mit seinem Büro irgendwann "aus
der Welt" zu fallen und überhaupt nicht mehr Teil davon zu
sein. Andererseits wusste Uhlenbrock immer selbst am besten, was er
tat ...
Achselzuckend wischte Fiedler alle Bedenken hinweg
und klopfte an. Ein paar Atemzüge vergingen, dann drang durch das
dämpfende Holz der Türe die tiefe rauhe Stimme eines alten Mannes.
"Kommen Sie rein, Herr Fiedler!"
Die Atmosphäre in Uhlenbrocks Büro war geprägt
von dicken Teppichen, vollgestopften Regalen vor denen sich weitere
Bücher stapelten und dem leichten aber allgegenwärtigen Aroma von
Pfeifenrauch. Durch das einzelne kleine Fenster drang ein trüber
Strahl Abendlicht, in dessen Licht der gesamte Raum irgendwie trist
wirkte. Balthasar Uhlenbrock, ein mittelgroßer mittelschlanker Mann
mit grauem Haarkranz, ordentlich gestutztem Bart, dicken
Brillengläsern und tief von Sorgen, Leben und Lachen zerfurchtem
Gesicht saß hinter einem riesigen, alten, schwarzen Schreibtisch,
dessen mächtig aufragende Front wie eine Festungsmauer mitten im
Raum stand. Ihm gegenüber dominierte ein übermenschengroßer
(bestimmt anderthalb auf zwei Meter messender) Spiegel in einem
silbernen mit Zeichen übersähten Rahmen einen nennenswerten Teil
der Wand und hatte dort die sonst allgegenwärtigen Bücherregale
verdrängt.
"Guten Abend Herr Uhlenbrock. Grässliches
Wetter, was?" Fiedler schloss die Türe hinter sich.
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