4. Verschlungene Wege (4)


Jetzt war es an Fiedler, verblüfft zu sein. "Sie kennen Uhlenbrock?"

"Flüchtig. Ich hatte schon einmal das Vergnügen und bin damals glücklicherweise nicht in seinem Spiegel geendet. Allerdings verzichte ich gerne auf das Erlebnis. Sie haben Ihr Wort gegeben, überflüssiges Misstrauen ist meiner Ansicht nach nicht angebracht. Ich warte hier draußen."

Das war ja einfach. Mehr war nicht nötig, um seine Verfolgerin loszuwerden? "Na dann hole ich Sie nachher hier wieder ab - die Straße rauf ist 'n Mac und gegenüber noch ein Café. Wenn Sie hier nicht sind, suche ich Sie da und wenn Sie da nicht sind, mache ich alleine am Auftrag weiter."

Sina nickte mürrisch, lehnte sich an eine der auf alt gemachten Straßenlaternen im Schmiedeeisen-Look, verschränkte die Arme und materialisierte einen Kopfhörer auf ihren Ohren. Kopfschüttelnd und beschwingten Schrittes ließ Fiedler sie zurück.

Das Innere der Buchhandlung Uhlenspiegel war alles andere als übersichtlich. Hier gab es keine Tische mit ausgelegten Bestsellern und daran angelehnten aber weniger erfolgreichen Trittbrettfahrern, statt dessen stand alles voll mit hohen Regalen, vom Boden bis zur Decke gefüllt mit Büchern gebunden in Karton, Papier, Tuch oder Leder. Ein paar Schritte vom Eingang entfernt war ein kleiner Kassentisch, hinter dem eine junge Frau mit kurzen aschblonden Haaren und mäßig geschmackvoller Kleidung Fiedler freundlich zunickte, bevor sie sich wieder einem Bücherstapel zuwandte und Preisschilder aufklebte.

Zielstrebig suchte Fiedler seinen Weg durch das Labyrinth der verschiedenen mit Literatur unterschiedlicher Art und Thematik vollgestopften Räume. Er stapfte die schmalen ausgetretenen Stufen eine alten gewendelten Holztreppe hinauf in den ersten Stock und hielt dann inne um sich umzusehen. Während im Erdgeschoß doch einige Kunden (vornehmlich Studenten und andere nach Fachliteratur Suchende) in den engen Regalschluchten gestanden hatten, war der erste Stock für gewöhnlich fast menschenleer. Eigentlich entsprach das Konzept der Buchhandlung Uhlenspiegel voll und ganz Fiedlers Geschmack: Seit die beiden "jungen" Uhlenbrocks das Geschäft übernommen hatten, richtete sich ein guter Teil des Buchangebotes in Form von Fachliteratur verschiedenster Gebiete vornehmlich an Normalos und gewährleistete damit sowohl ein gewisses normalweltliches Einkommen als auch die Präsenz des Hauses in der normalen Welt. Im ersten Stock standen dagegen eher antiquarische Bücher standen, für die sich nur wenige Normalbürger interessierten. Hinter diesen verborgen waren zwei Dinge: mehrere Räume mit Grenzgängerliteratur (Encyclopädien, Magiebücher, Chroniken, ...) und Fiedlers eigentliches Ziel, das Studierzimmer von Balthasar Uhlenbrock.

Nach kurzem Umsehen und Orientieren setzte sich Fiedler wieder in Bewegung und ging zwischen den Regalen entlang, einem unsichtbaren Pfad folgend mal links abbiegend, mal ein Regal umrundend und dann wieder innehaltend, um ein Buch in die Hand zu nehmen und wieder zurückzustellen. Schließlich endeten seine Schritte vor schweren dunkelbraunen Holztüre, eingerahmt von Regalen mit dicken, ledergebundenen und gleichzeitig abgewetzt und würdevoll anmutenden Wälzern. Er schüttelte kurz den Kopf: in den letzten Jahren war es deutlich komplizierter geworden, die Türe des alten Uhlenbrock zu erreichen - offenbar setzte sich dieser immer weiter von der Normalität ab. Wenn Balthasar nicht etwas Vorsicht walten ließ, dann lief er Gefahr, zusammen mit seinem Büro irgendwann "aus der Welt" zu fallen und überhaupt nicht mehr Teil davon zu sein. Andererseits wusste Uhlenbrock immer selbst am besten, was er tat ...

Achselzuckend wischte Fiedler alle Bedenken hinweg und klopfte an. Ein paar Atemzüge vergingen, dann drang durch das dämpfende Holz der Türe die tiefe rauhe Stimme eines alten Mannes. "Kommen Sie rein, Herr Fiedler!"

Die Atmosphäre in Uhlenbrocks Büro war geprägt von dicken Teppichen, vollgestopften Regalen vor denen sich weitere Bücher stapelten und dem leichten aber allgegenwärtigen Aroma von Pfeifenrauch. Durch das einzelne kleine Fenster drang ein trüber Strahl Abendlicht, in dessen Licht der gesamte Raum irgendwie trist wirkte. Balthasar Uhlenbrock, ein mittelgroßer mittelschlanker Mann mit grauem Haarkranz, ordentlich gestutztem Bart, dicken Brillengläsern und tief von Sorgen, Leben und Lachen zerfurchtem Gesicht saß hinter einem riesigen, alten, schwarzen Schreibtisch, dessen mächtig aufragende Front wie eine Festungsmauer mitten im Raum stand. Ihm gegenüber dominierte ein übermenschengroßer (bestimmt anderthalb auf zwei Meter messender) Spiegel in einem silbernen mit Zeichen übersähten Rahmen einen nennenswerten Teil der Wand und hatte dort die sonst allgegenwärtigen Bücherregale verdrängt.

"Guten Abend Herr Uhlenbrock. Grässliches Wetter, was?" Fiedler schloss die Türe hinter sich.

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