Sina wirkte weniger beeindruckt. "Nichts was
ein begabter Gossenhexer mit einem Händchen für Lichteinfall nicht
hinbekommen könnte. Offensichtlich haben Sie noch nie wirklich
beeindruckende orthomantische Räumlichkeiten gesehen. Kleopatra zum
Beispiel schlief jede Nacht des Monats in einem anderen Zimmer, das
sie aber stets durch die gleiche Türe betrat - oder haben Sie sich
schon einmal gefragt, wie Noah die ganzen Tiere in sein kleines
hölzernes Schiffchen pferchen konnte? ... Aber Sie haben recht. Für
diese zweitklassige Ära ist es ganz beachtlich. Können wir jetzt
zum Geschäftlichen kommen? Wo ist denn der Lakai, der uns die Türe
geöffnet hat?" Sie blickte sich suchend um, fand aber die Türe
geschlossen und den hinter ihnen liegenden Teil des Raumes
menschenleer.
"Bei Frau von Radewitz ist es üblich, sich
ins ... ähm ... Wartezimmer zu setzen, bis man abgeholt wird. Wir
haben zwar keinen Termin, wurden aber erwartet - lange kann es also
nicht dauern." Schnurstracks hielt Fiedler auf die dünn mit
abgewetztem weinroten Samt gepolsterten Kirchenbänke aus dunklem
Holz zu.
Offenbar waren sie nicht die einzigen Besucher in
der dämmrigen, farbdurchwirkten, gedämpften Stille der Kirche. So
weit verstreut wie möglich saßen eine Handvoll weiterer Gestalten
auf den ehrwürdig wirkenden Bänken, die meisten von ihnen relativ
normal und unauffällig gekleidet. Auffällig waren ein mit etwa drei
Metern übergroßer klobiger Kerl aus dessen Kiefern zwei ellenlange
Stoßzähne zu sprießen schienen und eine Frau in den hinteren
Reihen, deren lange rote Haare sich nach oben reckten und dabei wie
Flammen züngelten. Manche studierten konzentriert irgendwelche
Schriftstücke, die sie vor sich hatten, einige saßen einfach da und
warteten und andere hatten scheinbar den Kopf in stiller Andacht
gesenkt. Allen Anwesenden gemein war eine gewisse Bedachtheit darauf,
sich nur um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern und die
Privatsphäre der anderen nicht zu verletzen.
Nach ein paar Minuten des Wartens in einer
mittleren Reihe trat eine mittelgroße zierliche Frau in dunkelgrauem
Nadelstreifenanzug mit schulterlangen Haaren und schwer schätzbarem
Alter zwischen 40 und 60 aus einem Seiteneingang vorne im
Kirchenschiff und eilte mit leisen Schritten eine auf Sina und
Fiedler zu.
"Aha, Griselda nimmt sich persönlich für
uns Zeit..." in Fiedlers Flüstern lag Erstaunen.
Bei den beiden angekommen, lächelte die Dame
professionell, blickte kurz von einem zum anderen und sprach sie mit
gedämpfter Stimme an: "Herr Fiedler, Frau ... ich kann Sie Sina
nennen?"
Als sie das kurze Nicken seitens Sina gesehen
hatte, fuhr sie fort: "Wenn ich sie in mein Büro bitten darf?"
Die beiden Besucher erhoben sich leise und folgten Griselda von
Radewitz zum Beichtstuhl an der linken Seite.
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