3. Sonstige Besucher (2)


Sina wirkte weniger beeindruckt. "Nichts was ein begabter Gossenhexer mit einem Händchen für Lichteinfall nicht hinbekommen könnte. Offensichtlich haben Sie noch nie wirklich beeindruckende orthomantische Räumlichkeiten gesehen. Kleopatra zum Beispiel schlief jede Nacht des Monats in einem anderen Zimmer, das sie aber stets durch die gleiche Türe betrat - oder haben Sie sich schon einmal gefragt, wie Noah die ganzen Tiere in sein kleines hölzernes Schiffchen pferchen konnte? ... Aber Sie haben recht. Für diese zweitklassige Ära ist es ganz beachtlich. Können wir jetzt zum Geschäftlichen kommen? Wo ist denn der Lakai, der uns die Türe geöffnet hat?" Sie blickte sich suchend um, fand aber die Türe geschlossen und den hinter ihnen liegenden Teil des Raumes menschenleer.

"Bei Frau von Radewitz ist es üblich, sich ins ... ähm ... Wartezimmer zu setzen, bis man abgeholt wird. Wir haben zwar keinen Termin, wurden aber erwartet - lange kann es also nicht dauern." Schnurstracks hielt Fiedler auf die dünn mit abgewetztem weinroten Samt gepolsterten Kirchenbänke aus dunklem Holz zu.

Offenbar waren sie nicht die einzigen Besucher in der dämmrigen, farbdurchwirkten, gedämpften Stille der Kirche. So weit verstreut wie möglich saßen eine Handvoll weiterer Gestalten auf den ehrwürdig wirkenden Bänken, die meisten von ihnen relativ normal und unauffällig gekleidet. Auffällig waren ein mit etwa drei Metern übergroßer klobiger Kerl aus dessen Kiefern zwei ellenlange Stoßzähne zu sprießen schienen und eine Frau in den hinteren Reihen, deren lange rote Haare sich nach oben reckten und dabei wie Flammen züngelten. Manche studierten konzentriert irgendwelche Schriftstücke, die sie vor sich hatten, einige saßen einfach da und warteten und andere hatten scheinbar den Kopf in stiller Andacht gesenkt. Allen Anwesenden gemein war eine gewisse Bedachtheit darauf, sich nur um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern und die Privatsphäre der anderen nicht zu verletzen.

Nach ein paar Minuten des Wartens in einer mittleren Reihe trat eine mittelgroße zierliche Frau in dunkelgrauem Nadelstreifenanzug mit schulterlangen Haaren und schwer schätzbarem Alter zwischen 40 und 60 aus einem Seiteneingang vorne im Kirchenschiff und eilte mit leisen Schritten eine auf Sina und Fiedler zu.

"Aha, Griselda nimmt sich persönlich für uns Zeit..." in Fiedlers Flüstern lag Erstaunen.

Bei den beiden angekommen, lächelte die Dame professionell, blickte kurz von einem zum anderen und sprach sie mit gedämpfter Stimme an: "Herr Fiedler, Frau ... ich kann Sie Sina nennen?"

Als sie das kurze Nicken seitens Sina gesehen hatte, fuhr sie fort: "Wenn ich sie in mein Büro bitten darf?" Die beiden Besucher erhoben sich leise und folgten Griselda von Radewitz zum Beichtstuhl an der linken Seite.

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