5. Brückenschläge (2)


Hoch oben über den Dächern Durnburgs zog ein Falke seine Kreise am technicolorgrauen Himmel. Von den herabregnenden Tropfen ungestört und unberührt war alle Konzentration des Wesens auf das Ziel seiner Jagd gerichtet: Alexander Fiedler.

Ein wenig hatte sie ihn unterschätzt (oder vielmehr nicht ihn selbst, sondern diesen Uhlenbrock) doch es wäre doch gelacht, wenn sie seiner nicht bald wieder habhaft werden könnte. Jedenfalls hatte sie so herausgefunden, was von ihm zu halten war. Sicher, sein gegebenes Wort würde er irgendwie retten können und sich geschickt herausreden - den Spielraum hatte sie ihm schließlich gelassen. Aber offenbar waren das Vertrauen und die Sympathie, die Fiedler Unbehaun entgegen brachte, noch eine Spur geringer, als sie es vermutet hatte. Oder aber, er hasste es einfach, bespitzelt zu werden.

Nichts desto trotz war er ihr entwischt und hatte sogar den Trick mit der Mehrfachpräsenz umgangen. Als ihr klar geworden war, dass er sie gelinkt haben musste, hatte sie sofort alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel genutzt, ihn wieder aufzuspüren. Doch wie findet man mit Hilfe von Magie einen Mann, der von Magie nicht betroffen wird? Allerdings wurde man auch als Beschworene nicht so alt wie Sina es war, ohne ein paar Dinge zu lernen...

Irgendwo unter dem grauen Mantel der verregneten Stadt wurde ein Name ausgesprochen: "Alexander Fiedler". Die Worte trieben und taumelten durch die Luft und der Wind wehte ihre Bedeutung vor sich her, hinauf, bis dorthin, wo Sina in Falkengestalt ihre Bahnen zog und mit ihren magischen Sinnen auf eben diese Worte lauerte.

Zwei kräftige Flügelschläge gegen den Sturm, ein Schrei des Triumphs verhallte, dann stieß der Raubvogel vom Himmel, hinab auf einen schmalen glänzenden Streif, der sich über die grüngrauen Fluten der Elm zog - hinab auf sein Ziel.

"Schön, dass Sie sich noch an mich erinnern, Herr Steinmeier!" Fiedler bemühte sich, möglichst freundlich und verbindlich zu klingen.

"Vergessen werde ich Sie wohl kaum, schließlich haben Sie mich ja durch einschneidende Momente meines Lebens begleitet - oder sollte ich sagen: sich maßgeblich daran beteiligt, dass ich auf diesem verdammten Abstellgleis der Realität gelandet bin?" Der Regen rann in dünnen verzweigten Strömen aus Finns völlig durchnässter Haarmähne über sein Gesicht, als er sich trotzig aufrichtete. "Weshalb tauchen Sie hier denn jetzt auf? Wollen Sie noch etwas von mir? Meine Seele? Oder muss ich Sie dadurch enttäuschen, dass ich eigentlich nicht wirklich vorhatte von der Brücke zu springen?"

Im Laufe seines Lebens war Fiedler schon viel zu oft angefeindet worden, um sich von Finns Worten auch nur ansatzweise berühren zu lassen. "Erstens, mein werter Herr Steinmeier, war es Ihre eigene Entscheidung, zur Welt der Grenze überzutreten und nicht in der Normalität zu verbleiben - diese Wahlfreiheit haben nicht viele. Zweitens habe ich Ihnen Verbindungen verschafft, mit deren Hilfe Sie durchaus in der Lage hätten sein müssen, zumindest ein einigermaßen geregeltes Leben als Grenzgänger zu führen, wozu ich mitnichten verpflichtet war und drittens ..." Fiedler legte eine kleine Kunstpause ein "... drittens möchte ich Ihnen ein Geschäft vorschlagen, bei dem für Sie vielleicht mehr als nur ein materieller Gewinn herausspringt."

"Verbindungen? Meinen Sie etwa diese schäbige Wohnung, in die Sie mich einquartiert haben und wo mich ständig diese Typen mit ihren komischen Fragen heimgesucht haben? Die Typen, die mich gelöchert haben, um herauszufinden, was meine beschissene Gabe ist, damit sie mich für ihre eigenen Zwecke einspannen können? Ich sage Ihnen mal was, Herr Fiedler: Ich bin keine Ressource, die Ihre Freunde für irgendetwas einsetzen können. Ich bin Finn Steinmeier. Ich bin Künstler, ich bin Schauspieler - und bis ich in Ihre komischen Geschäfte verwickelt wurde, war ich ein Star!"

Es war Finn vollkommen egal, wie vernünftig oder fair seine Vorwürfe und Anschuldigungen sein mochten. Er musste einfach irgendjemanden anschreien und für seine Misere verantwortlich machen - und Fiedler war gerade da. Außerdem gab es sicherlich Menschen in der Stadt, die unschuldiger an dem ganzen Dreck waren.

Gerade holte er zu einer weiteren Schimpftirade aus, um einer Antwort von Fiedler zuvor zu kommen, der offenbar ebenfalls etwas sagen wollte, da glitt plötzlich aus dem Dämmergrau des Himmels die schnittig schmale Silhouette eines Raubvogels zwischen zwei Brückenpfeilern hindurch und landete neben Fiedler auf dem glattpolierten Edelstahlgeländer. Beide Männer drehten überrascht und verblüfft ihre Köpfe zu dem nun dort sitzenden schwarzglänzenden Falken, als dessen kleine Gestalt ohne jeglichen Übergang ersetzt wurde durch die einer schlanken dunkelhaarigen Frau mit engen Jeans, Bomberjacke und Blicken, die Fiedler eigentlich dazu veranlasst haben müssten, freiwillig in Staub zu zerfallen.

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