4. Verschlungene Wege (7)


"Das ist Ihre Begleiterin?" Uhlenbrocks Tonfall zeugte von Überraschung. "Na dass diese Dame an zwei Orten gleichzeitig sein kann, das verwundert mich nur wenig! Wissen Sie, was Sie sich da eingehandelt haben, Alexander?"
Offenbar konnte sich auch der alte Uhlenbrock an Fiedlers nicht-ganz-menschliche Eskorte erinnern. „Hmmm. Die Dame erwähnte bereits, dass Sie sich kennen. Irgendwie erklärt das einiges. Wären Sie so freundlich, mir ein paar Einsichten zu vermitteln, Balthasar? So ganz unverbindlich versteht sich..."

"Wir hatten geschäftlich miteinander zu tun. Lief alles klaglos und ohne Probleme. Natürlich konnte ich nicht umhin, die spezielle Natur der Dame zu bemerken. Wenn ich meinen Augen und meinem Spiegel trauen darf, handelt es sich bei ihr um einen Geist aus der Domäne des Menschen. Mittleres Kaliber für eine Beschworene, wenn man so etwas überhaupt richtig einschätzen kann, mit einer Aura, die nach einer ziemlich seltenen oder alten Form von kollektiver Magie aussieht. Irgendetwas Schamanistisches oder Animistisches, so genau kann ich das nicht sagen. Der Grund dafür, dass ich mich noch so deutlich an sie erinnere, ist aber die faszinierende Form von konsentueller Blutmagie, aus der ihre Grundessenz besteht. Die Dame ist magisch gesehen aus ganz schön hartem Holz und wahrscheinlich wesentlich älter, als sie aussieht - ich würde auf vierstellig tippen." Uhlenbrock grinste verschmitzt. "Aber das wissen Sie wahrscheinlich schon, Alexander. Ich zweifle jedoch daran, ob ihr", er deutete auf Sina, "klar ist, dass ich sie kein zweites Mal vor meinem Spiegel brauche, um so viel über sie herauszufinden."

"Tja, ich hatte schon vermutet, dass sie nicht auf den Anblick ihres Spiegelbildes erpicht wäre, aber in diesem Fall..." Fiedlers anfängliches Erstaunen war einem professionell amüsierten Ton gewichen. "Sie hat nämlich ernste Vorbehalte dagegen, Ihre Räumlichkeiten zu betreten."

"Das finde ich ja fast schon betrüblich. Mir war nicht klar, dass ich eine solche Wirkung auf meine Geschäftspartner habe!" Über das zerfurchte Gesicht des alten Mannes zog sich gespieltes Bedauern gemischt mit schelmischem Grinsen. "Ich nehme an, Sie würden das Gebäude gerne verlassen, ohne Ihre liebreizende Begleiterin darüber in Kenntnis zu setzen?“

"Da liegen Sie einmal mehr vollkommen richtig."

"Dann lassen Sie uns doch einmal sicherheitshalber einen Blick in die U-Bahn Station werfen..." Erneut schloss Uhlenbrock die Augen und das Spiegelbild wallte kurz auf. Diesmal verfestigte es sich als eine leuchtstoffröhrenfahle Ansicht der Haltestelle 'Brechtstraße' der Durnburger U-Bahn. Einige Pendler standen auf dem Beton des Bahnsteigs, ein Mädchen kämpfte mit dem altersschwachen Getränkeautomaten und auf einer der vier Bänke schlief ein verwahrlost wirkender Mann. Kein Zeichen für Sinas Anwesenheit.

"Die Luft wirkt rein." konstatierte Fiedler leicht angespannt.

"Dann will ich Ihnen mal die Türe zu meinem – wie sagten Sie – Schleichweg öffnen. Zu schade, dass ich Sie mit Ihrer Magieimmunität nicht gleich an Ihrem Ziel absetzen kann."

"Ich sehe das positiv. Alles hat auch seine guten Seiten und so halte ich mich wenigstens an die Paradigmen der Normalität. Ihnen scheint Ihr Paradox ja offensichtlich nicht so wichtig zu sein, Balthasar."

Uhlenbrock blickte Fiedler ernst und irgendwie triumphierend an. "Für Sie mag es ja sein, dass die Normalität mit ihren Verträgen, Gesetzen und ihrer Verwaltung eine notwendige Unannehmlichkeit darstellt, aber ich habe mich lange genug mit Steuern und Lizenzen herumgeschlagen. Wissen Sie, Alexander, seit mein Sohn den Laden übernommen hat, gebe ich zwar Acht, dass ich Teil seines Lebens - und damit in der Normalität verankert - bleibe, ansonsten kann mich die Normale Welt am", er stockte, "... ersparen Sie mir das Goethe Zitat, ja?" Der alte Spiegelmagier hatte sich ein bisschen in Rage geredet und fing sich wieder, während Fiedler gleichzeitig etwas perplex und belustigt wirkte. "Also was ist nun? Wollen wir?"

"Sehr gerne!" Fiedler stand auf. "Es war mir ein Vergnügen, Herr Uhlenbrock - und besten Dank!"

Ein mahlendes und knirschendes Geräusch drang gedämpft von irgendwo hinter dem massiven Spiegel, dann löste sich dieser von einem Moment auf den anderen von der Wand und schwebte gewichtslos und wie an einer unsichtbaren Schnur geführt in Stück in den Raum und zur Seite. Hinter ihm offenbarte sich eine Öffnung in der gut einen Meter dicken Mauer, an deren schlecht erleuchtetem Ende eine graue, nicht mehr ganz modern wirkende Feuerschutztür zu sehen war, über der in verwaschenem Grün ein Notausgangssymbol glomm.

Eine knappe aber ehrliche Verbeugung in Uhlenbrocks Richtung und Fiedler verließ das Studierzimmer und die Buchhandlung durch den nun offenen und sorgsam vor Wahrnehmungsmagie abgeschirmten Ausgang. Einige Augenblicke sah Uhlenbrock im Spiegel zu, wie der Detektiv ein fahlgelb erleuchtetes Betontreppenhaus hinuntereilte, um dann aus einer nichtssagenden Seitentüre auf dem Bahnsteig der U-Bahn-Station zu treten. Schließlich schnalzte der alte Mann kurz mit der Zunge schüttelte leicht den Kopf und wandte sich erneut dem metallenen Baum mit den daran baumelnden Glasplättchen zu. "Reisende soll man nicht aufhalten ... lassen."

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