"Das ist Ihre Begleiterin?" Uhlenbrocks
Tonfall zeugte von Überraschung. "Na dass diese Dame an zwei
Orten gleichzeitig sein kann, das verwundert mich nur wenig! Wissen
Sie, was Sie sich da eingehandelt haben, Alexander?"
Offenbar konnte sich auch der alte Uhlenbrock an
Fiedlers nicht-ganz-menschliche Eskorte erinnern. „Hmmm. Die Dame
erwähnte bereits, dass Sie sich kennen. Irgendwie erklärt das
einiges. Wären Sie so freundlich, mir ein paar Einsichten zu
vermitteln, Balthasar? So ganz unverbindlich versteht sich..."
"Wir hatten geschäftlich miteinander zu tun.
Lief alles klaglos und ohne Probleme. Natürlich konnte ich nicht
umhin, die spezielle Natur der Dame zu bemerken. Wenn ich meinen
Augen und meinem Spiegel trauen darf, handelt es sich bei ihr um
einen Geist aus der Domäne des Menschen. Mittleres Kaliber für eine
Beschworene, wenn man so etwas überhaupt richtig einschätzen kann,
mit einer Aura, die nach einer ziemlich seltenen oder alten Form von
kollektiver Magie aussieht. Irgendetwas Schamanistisches oder
Animistisches, so genau kann ich das nicht sagen. Der Grund dafür,
dass ich mich noch so deutlich an sie erinnere, ist aber die
faszinierende Form von konsentueller Blutmagie, aus der ihre
Grundessenz besteht. Die Dame ist magisch gesehen aus ganz schön
hartem Holz und wahrscheinlich wesentlich älter, als sie aussieht -
ich würde auf vierstellig tippen." Uhlenbrock grinste
verschmitzt. "Aber das wissen Sie wahrscheinlich schon,
Alexander. Ich zweifle jedoch daran, ob ihr", er deutete auf
Sina, "klar ist, dass ich sie kein zweites Mal vor meinem
Spiegel brauche, um so viel über sie herauszufinden."
"Tja, ich hatte schon vermutet, dass sie
nicht auf den Anblick ihres Spiegelbildes erpicht wäre, aber in
diesem Fall..." Fiedlers anfängliches Erstaunen war einem
professionell amüsierten Ton gewichen. "Sie hat nämlich ernste
Vorbehalte dagegen, Ihre Räumlichkeiten zu betreten."
"Das finde ich ja fast schon betrüblich. Mir
war nicht klar, dass ich eine solche Wirkung auf meine
Geschäftspartner habe!" Über das zerfurchte Gesicht des alten
Mannes zog sich gespieltes Bedauern gemischt mit schelmischem
Grinsen. "Ich nehme an, Sie würden das Gebäude gerne
verlassen, ohne Ihre liebreizende Begleiterin darüber in Kenntnis zu
setzen?“
"Da liegen Sie einmal mehr vollkommen
richtig."
"Dann lassen Sie uns doch einmal
sicherheitshalber einen Blick in die U-Bahn Station werfen..."
Erneut schloss Uhlenbrock die Augen und das Spiegelbild wallte kurz
auf. Diesmal verfestigte es sich als eine leuchtstoffröhrenfahle
Ansicht der Haltestelle 'Brechtstraße' der Durnburger U-Bahn. Einige
Pendler standen auf dem Beton des Bahnsteigs, ein Mädchen kämpfte
mit dem altersschwachen Getränkeautomaten und auf einer der vier
Bänke schlief ein verwahrlost wirkender Mann. Kein Zeichen für
Sinas Anwesenheit.
"Die Luft wirkt rein." konstatierte
Fiedler leicht angespannt.
"Dann will ich Ihnen mal die Türe zu meinem
– wie sagten Sie – Schleichweg öffnen. Zu schade, dass ich Sie
mit Ihrer Magieimmunität nicht gleich an Ihrem Ziel absetzen kann."
"Ich sehe das positiv. Alles hat auch seine
guten Seiten und so halte ich mich wenigstens an die Paradigmen der
Normalität. Ihnen scheint Ihr Paradox ja offensichtlich nicht so
wichtig zu sein, Balthasar."
Uhlenbrock blickte Fiedler ernst und irgendwie
triumphierend an. "Für Sie mag es ja sein, dass die Normalität
mit ihren Verträgen, Gesetzen und ihrer Verwaltung eine notwendige
Unannehmlichkeit darstellt, aber ich habe mich lange genug mit
Steuern und Lizenzen herumgeschlagen. Wissen Sie, Alexander, seit
mein Sohn den Laden übernommen hat, gebe ich zwar Acht, dass ich
Teil seines Lebens - und damit in der Normalität verankert - bleibe,
ansonsten kann mich die Normale Welt am", er stockte, "...
ersparen Sie mir das Goethe Zitat, ja?" Der alte Spiegelmagier
hatte sich ein bisschen in Rage geredet und fing sich wieder, während
Fiedler gleichzeitig etwas perplex und belustigt wirkte. "Also
was ist nun? Wollen wir?"
"Sehr gerne!" Fiedler stand auf. "Es
war mir ein Vergnügen, Herr Uhlenbrock - und besten Dank!"
Ein mahlendes und knirschendes Geräusch drang
gedämpft von irgendwo hinter dem massiven Spiegel, dann löste sich
dieser von einem Moment auf den anderen von der Wand und schwebte
gewichtslos und wie an einer unsichtbaren Schnur geführt in Stück
in den Raum und zur Seite. Hinter ihm offenbarte sich eine Öffnung
in der gut einen Meter dicken Mauer, an deren schlecht erleuchtetem
Ende eine graue, nicht mehr ganz modern wirkende Feuerschutztür zu
sehen war, über der in verwaschenem Grün ein Notausgangssymbol
glomm.
Eine
knappe aber ehrliche Verbeugung in Uhlenbrocks Richtung und Fiedler
verließ das Studierzimmer und die Buchhandlung durch den nun offenen
und sorgsam vor Wahrnehmungsmagie abgeschirmten Ausgang. Einige
Augenblicke sah Uhlenbrock im
Spiegel zu, wie der Detektiv
ein fahlgelb erleuchtetes
Betontreppenhaus hinuntereilte, um dann aus einer nichtssagenden
Seitentüre auf dem
Bahnsteig der U-Bahn-Station
zu treten. Schließlich
schnalzte der alte Mann
kurz mit der Zunge schüttelte leicht den Kopf und wandte sich erneut
dem metallenen Baum mit den daran baumelnden Glasplättchen zu.
"Reisende soll man nicht aufhalten ... lassen."
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