5. Brückenschläge (3)


"Tja, einen Versuch war's wert." Man musste Fiedler zugestehen, dass er trotz der etwas ungewöhnlichen Entwicklung der Ereignisse die Fassung behalten hatte. Die wütende aber noch wortlose Sina ignorierend, wandte er sich an Finn: "Herr Steinmeier, dass ist meine Geschäftspartnerin Sina..." Er machte eine vorstellende Geste. "... und Sina, das ist Finn Steinmeier, ein Bekannter von mir, der uns bei der anstehenden Sache sehr nützlich sein könnte - wenn wir ihn zur Mitarbeit überreden können."

"So schnell kommen Sie mir nicht davon, Fiedler!" Sina schäumte vor Wut. "So eine Sache wie mit dem Bücherladen kommt nicht wieder vor, haben Sie das verstanden?" Fiedler schaute ihr gelassen ins Gesicht, was sie offenbar noch weiter in Rage brachte, während Finn sie einfach nur mit offenem Mund anstarrte.

"Was glauben Sie eigentlich, was hier los ist? Sie haben mir ihr Wort gegeben - und es dann bis zur Unkenntlichkeit verbogen und verdreht!" Fiedlers Augenbrauen wölbten sich leicht, während Finns Blick leicht unruhig wurde. Außer ihnen Dreien war kein Mensch mehr auf der Brücke.

"Ist Ihr kleines matschiges Geborenengehirn so weichgeklopft oder -gesoffen, dass Sie sich nicht mehr an einen Vertrag erinnern oder halten können? Behandelt man so seinen Auftraggeber?" Der Gesichtsausdruck von Fiedler war jetzt irgendetwas zwischen Interesse und Skepsis, und er wich ein wenig zurück. Finn setzte dazu an etwas zu sagen, brachte aber kein Wort heraus. Irgendwie schienen die beiden Ufer der Elm weiter auseinander gerückt zu sein, das Wasser unter der Brücke wilder und reißender zu werden, und ohne Rücksicht auf die Gesetze von Raum und Zeit zu nehmen, machte das Plexiglasdach mehr und mehr Platz.

"Wenn Sie so eine Nummer noch ein mal abziehen, Fiedler, dann Sorge ich dafür, dass Sie ohne mich keinen Schritt mehr tun können - und zwar mit aller gebotener Gewalt!" Fiedler machte einen weiteren Schritt zurück und blickte irgendwo nach links oben an Sinas Gesicht vorbei. Jetzt konnte auch Finn genug Willenskraft zusammenraffen, um seiner offenkundlichen Panik die Gestalt eines Wortes zu geben:

"Troll!"


Troll. Der Begriff beschrieb das Wesen, das nunmehr bloß einen Schritt hinter Sina stand nur unzureichend. Von seinen riesigen, mit klauenartigen Zehennägeln und zahlreichen Warzen bewehrten Füßen ragte es als etwa dreieinhalb Meter hohes Ungetüm in die Höhe, wobei sein von struppig-räudigem Fell und ölig braun-schwarzer Haut bedeckter ungeschlachter Körper, sowohl an Schultern als auch am feisten Wanst eine Breite von etwa zwei Metern aufwies. Der klobige Kopf über dieser knotigen massigen Gestalt aus Muskeln, Fett und verknöcherten Auswüchsen wies ein zerklüftetes, lederhäutiges Gesicht mit kleinen wässrig schwarzen Augen, einer pustelübersäten Knollennase und einem überproportionierten Mund auf, durch dessen Unterlippe zahlreiche gelbe, schartige Reißzähne aus leicht eiternden, entzündeten Öffnungen stießen.

Für einen kurzen Augenblick herrschte völlige Stille auf der Brückenplattform - sogar Sina hielt inne. Dann öffnete sich das klaffende Maul des Trolls und begleitet von weißlichen Speichelfäden und übelkeitserregendem fauligen Gestank grollte schlecht artikuliert die nach Brutalität, Gier und stumpfem Geist klingende Grabesstimme des Wesens: "Ich fress' mit Haut, Haar und Genuss ..." eine gewaltige Pranke mit dolchartigen Klauen streckte sich nach Sina aus "... wer auf die Brücke setzt den ..."

Keine Kommentare: