6. Andererseits (2)


Mit leisem Sirren und dem Singen von Metall zuckten die Klingen zurück und wirbelten durch den Raum, um schließlich in einem dekorativen Halter an der Wand zur Ruhe zu kommen. Die blutbefleckten Spitzen verbargen sich keusch und dezent in edlen schwarzen Ebenholzschnitzereien afrikanischer Kunst. Keuchend sank Brack in sich zusammen, bemüht Haltung und Fassung zu wahren oder wiederzuerringen.

"Ich hatte noch nie ein Faible für die gute Tradition des Tötens der Überbringer schlechter Nachrichten. Schließlich ist es kein einfaches Unterfangen, adäquates Personal wie Sie zu finden." Wenn der Satz Humor enthalten haben sollte, dann war es der Stimme nicht anzumerken. "Belassen Sie mich doch einfach tunlichst in dem Glauben, Sie wären derlei adäquates Personal, dann können Sie sich auch Ihres Lebens sicher sein." Brack nickte und schluckte schmerzhaft, während der Mann am Fenster fortfuhr. "Verfügen Sie über Informationen betreffs Tätigkeit und Verbleib unseres geschätzten Herrn Fiedler?"

Für einen Moment rang Brack nach möglichst 'adäquaten' Worten. "Unsere Leute waren schnellstmöglich bei seinem Büro und haben sich nach ihm erkundigt. Er selbst war nicht anwesend und seine Sekretärin wusste, dass er am frühen Nachmittag Besuch von einer Dame hatte. Nach allem, was ich Erfahrung bringen konnte, ist die Sekretärin eine Normalo - sie bekam keine vernünftige Beschreibung der Besucherin mehr zusammen. Jedenfalls meinte sie, die Fremde hätte Fiedler wohl einen Auftrag gegeben und ihn dann begleitet. Das klang nach unserer Kreatur, war mir aber nicht eindeutig genug." Er hielt kurz inne, sprach dann aber in Ermangelung einer Reaktion seines Gegenübers weiter.

"Ich selbst war bei Griselda von Radewitz, von der Sie vermutet hatten, dass Fiedler sie aufsuchen würde. Leider stellte sich Frau von Radewitz als sehr beschäftigt und ziemlich unkooperativ heraus und ich hielt es für ziemlich unklug, etwas aus ihr herausquetschen zu wollen. Alles was sie rausrückte war, dass das von Ihnen angekündigte Geschäft abgewickelt worden war - und zwar ohne nennenswerte Auffälligkeiten."

Der Mann im Drehstuhl am Fenster hatte mittlerweile seine Ellenbogen auf die Armlehnen des Stuhls gelegt und sein Kinn in nachdenklicher Konzentration auf die gefalteten Hände gestützt. Immer noch wandte er Brack den Rücken zu - was diesem eigentlich gerade ganz angenehm war.

"Irgendwo muss aber etwas schief gegangen sein - sonst hätten wir nicht die Trümmer ihrer Hülle gefunden. Ach ja ... Irene Hasmann, die ich hinzugezogen hatte, weil der Beschwörer ja ausfällt, hat sich die Reste noch einmal angesehen und dabei ein paar Spuren von ziemlich starker Metamagie gefunden - aber keinerlei Überbleibsel der Substanz der Kreatur selbst. Nichts. Sie war ziemlich erstaunt, denn eigentlich, sagte sie, hätte das Wesen wenigstens etwas Restabstrahlung - sie sagte 'Remanenz' - in seinen Gefäßen hinterlassen müssen, selbst wenn es vernichtet wurde."

Die Betonung der letzten Sätze hatte klargemacht, dass Brack sich ihrer Bedeutung so überhaupt nicht sicher war. Nun aber kehrte etwas Selbstsicherheit in ihn zurück: "Ich habe sie dann angewiesen, über die Materialien des Beschwörers eine Verbindung mit dem Wesen aufzubauen - sobald sie es geschafft hat, wird sie sich bei mir melden. Ein ritueller Kontakt zu Fiedler ist ja ausgeschlossen..." Brack biss sich auf die Zunge und der Zusatz "und auf Ihren Befehl haben wir ja den Brief von allen Verbindungen säubern lassen." blieb unausgesprochen.

Erneut füllte ein Moment des Schweigens den Raum. "Adäquat, Brack. Mitnichten gut, aber adäquat." Der Tonfall des Mannes am Fenster war vollkommen widerspruchsresistent. "Offensichtlich tut es Not zu betonen, von welcher Wichtigkeit der Erfolg dieser Unternehmung ist. Bevor Sie also länger Zeit und Talent von Frau Hasmann auf die Angelegenheit verschwenden, senden Sie lieber nach Marina Vanderduhn und entlohnen Sie diese für die Anwendung ihres seherischen Talentes. All zu hoch sollte ihre Forderung nicht ausfallen - wir hatten bereits miteinander zu tun und sie hegt sicherlich nur geringes Bedürfnis, meinen Unmut auf sich zu ziehen. Händigen Sie ihr den Kopf aus, am besten ohne weitergehende Erläuterungen und berichten Sie den Befund. Ach ja - und sehen Sie zu, dass Frau Hasmann sich wieder ihren Studien widmet. Mit dem offenkundigen Wegfall des Beschwörers muss der Zirkel beizeiten an die Beschaffung oder Ausbildung von Ersatz denken."

Brack nickte knapp. "Verstanden. Wird gemacht!" Eilenden Schrittes schickte er sich an, den Raum zu verlassen. Die Wunden an seinem Hals waren bereits nicht mehr zu sehen.

"Brack! Wo haben Sie denn nur Ihren Kopf?" Die Stimme des Mannes am Fenster hatte einen angespannt entnervten Unterton. "Nehmen Sie doch ersatzweise wenigstens den der Puppe mit! Frau Vanderduhn könnte ihn benötigen und außerdem hinterlässt er eine Sauerei auf meinem Parkett."

"Ähm - natürlich!" Peinlich berührt wirbelte Brack herum und hastete mit hochroten Ohren zu dem immer noch mitten im Raum liegenden Schaufensterpuppenteil. Vorsichtig und leicht angeekelt fasste er mit beiden Händen um den zäh triefenden Hals, drückte den Kunststoff leicht zusammen und hob den Kopf an. Aus dem Inneren des Plastikteils drang ein leise mahlendes, feuchtes Geräusch und Brack musste sich unwillkürlich ausmalen, wie die zersplitterten Wände des Keramikgefäßes darin die geleeartige Masse des konservierten Gehirns zerquetschten und aufrieben, zu dessen Schutz sie eigentlich gemacht worden waren. Eine Welle von Übelkeit stieg in ihm hoch, die er sich aber tunlichst nicht anmerken ließ, während er seine zuwidere Fracht aus dem Raum trug.

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