9. Querungen (3)


Mit spitzen Fingern begann er eine Zigarette aus der in Fiedlers Tasche wohl etwas malträtierten Packung zu herauszupulen.

Fiedler verzog leicht entnervt das Gesicht. "Oh das - na ja, wir haben hier an der Grenze keine E-Mail, kein Facebook, wenige Telefone und mitunter sehr merkwürdige Gewohnheiten bei der Postzustellung. Ich versuche einen meiner Kontakte zu erreichen, der uns dabei helfen kann, Astrid Kirchners Seele aus der Ödnis wieder hier her zu bringen. Dieser Jemand verwendet gerne Automaten aller Art als 'tote Briefkästen' - das genaue Procedere will und muss ich Ihnen aber ersparen. Jedenfalls erwartet sein Geschäft uns in den nächsten Stunden in einer Kneipe im alten Hafenviertel."

"Sein Geschäft erwartet uns? Normalerweise würde ich sagen, Sie hätten sich verquatscht, aber ..." Skepsis stand auf Finns Gesicht.

"Lassen Sie es auf sich zukommen. Keine Totengötter diesmal." Während Fiedler mit zuversichtlicher Miene voranschritt, schüttelte Finn resigniert den Kopf und begann, eine Zigarette zwischen die Lippen geklemmt, in seinen Jackentaschen zu wühlen.

"Verdammt, kein Feuerzeug!"

"Darf ich helfen?" Sina lächelte zuvorkommend.

"Haben Sie ..." Gerade als Finn seine Hand nach dem erwarteten Feuerzeug ausstrecken wollte, begann die Spitze der Zigarette zu glimmen und eine dünne Rauchfahne stieg auf. "Netter Trick!" Finn zog angetan an seinem Glimmstengel während Fiedler ein paar Schritte weiter vorne die Augen verdrehte und schweigend weiter den Brückenbogen hinaufstapfte. "Was können Sie noch alles?"

"Dies und das." Einmal mehr präsentierte Sina ihr unergründliches Raubtierlächeln. "Ich finde allerdings die Fähigkeit, die Sie gerade eben zur Schau gestellt haben, viel faszinierender. Den Blick eines niedrigen Gottes abweisen - durchaus eine beeindruckende Gabe! Haben Sie so auch den Troll abgewehrt?"

Fiedler konnte förmlich zusehen, wie Finn bei Sinas Worten aufblühte. Die anfängliche Überraschung wich, seine Haltung wurde aufrechter und der Ansatz eines leicht rebellischen, siegesgewohnten und -sicheren Grinsens, das vor seinem hastigen Schritt an die Grenze das Markenzeichen des Schauspielers Finn Steinmeier gewesen war, breitete sich über sein Gesicht aus.

"Klar!"

Sina wirkte angetan und fast schon begeistert - oder imitierte diesen Ausdruck zumindest täuschend echt. "Sie können Ihre Gabe also auch lenken! Nicht schlecht - manche brauchen Jahre, um die entsprechenden Fertigkeiten zu erlernen. Bezieht sich Ihre Fähigkeit nur auf Sie? Ich meine - können Sie auch anderen Leuten so verschwinden lassen? Also mich zum Beispiel? Oder vielleicht sogar unseren wackeren Fiedler?"

Beim letzten Teil von Sinas Anfrage zog Fiedler interessiert die Augenbrauen hoch - die Sache könnte interessante Einsichten liefern. Nun gut, eigentlich war abzusehen gewesen, dass jemand wie Sina nicht einfach Smalltalk betreiben oder einen Fanclub gründen wollte. Nun, zumindest war jetzt klar, wohin sie die Unterhaltung lenken wollte. Finn wirkte wieder ein wenig unsicherer, beherrschte sich aber deutlich. "Ahm - das hab' ich noch nie ausprobiert. Also Sie ... oder Fiedler ... das müsste schon gehen!"

Offenbar reizte der Gedanke an Finns Möglichkeiten Sinas Neugier. "Klasse! Oh bitte! Probieren Sie 's aus! Ich wüsste zu gerne, ob das klappt!" Während Finn noch etwas verstört aber geschmeichelt dreinsah, blickte sie sich um und fuhr fröhlich und aufgeregt fort: "Blöd nur, dass die Normalos uns alle hier sowieso nicht wahrnehmen - aber Fiedler scheint so wenig Paradox zu haben, dass er gesehen wird. Au ja - lassen Sie doch mal Fiedler verschwinden! Ist das in Ordnung, Herr Fiedler?"

 Bei seiner Antwort versuchte Fiedler, sein eigenes Interesse an der Sache zu unterdrücken und maulte nur ein mürrisches "Tun Sie sich keinen Zwang an ...", da sprudelte Sina schon weiter.

"Sehen Sie mal, Finn, da vorne an der Brücke, die zwei Kerle und die Tussi daneben. Die warten offenbar auf irgendwas oder -jemanden und schauen sich die Leute auf der Brücke alle einzeln an. Versuchen Sie mal, die drei von Fiedler abzulenken! Ja? Oh bitte! Ich bin ja so gespannt!"

Finn zögerte einen Moment. "Ahm ... ja, klar - warum nicht. Ich glaube zwar nicht, dass das mit Fiedler funktioniert, weil bei dem doch gar nichts funktioniert - aber was soll schon passieren..."

Er konzentrierte sich.

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